22. August 2012
Mädchen in Kfz-Berufen
Lippenstift und Motoröl
Von technischen Berufen lassen Mädchen lieber die Finger, weil sie sich das nicht zutrauen und weil sie glauben, dass Jungs das besser können. Erfahrungen von Kfz-Mechatronikerinnen belegen hingegen, dass Mädchen in diesem typischen Männernberuf durchaus ihre Frau stehen und erfolgreich sind.

Jugendliche können in Deutschland unter 350 verschiedenen Ausbildungsberufen wählen. Doch die meisten Mädchen entscheiden sich oft für „typische Frauenberufe“ im Büro, Einzelhandel oder im sozialen Bereich. Schade, denn die Mädchen unterschätzen zu Unrecht ihre technische Begabung und lassen Chancen auf eine attraktive Laufbahn ungenutzt. Denn in Kfz-Berufen sind die Verdienste gut und die Entwicklungschancen noch besser.

Der Beruf des Kfz-Mechatronikers ist bei Jungs nach wie vor der Spitzenreiter bei den Ausbildungsberufen. Bei Mädchen rangiert er auf Platz 58 ziemlich weit hinten. Die Ausbildungszahlen sind entsprechend. Im Kfz-Handwerk liegt der Anteil von Mädchen unter den Kfz-Mechatronikern bei 2,3 Prozent, in der Industrie bei gut acht Prozent. Dabei hat sich der Beruf stark gewandelt. Statt mit ölverschmierten Händen im dreckigen Blaumann Schrauben anzuziehen, erfordert die Arbeit am Auto heute genaue Kenntnis von Mess- und Diagnosegeräten. Muskelkraft spielt eine untergeordnete Rolle. Köpfchen ist gefragt.


Betrieblich Räume bereits ein Hinderniss

Die Vorurteile sind trotzdem weiterhin groß, auch bei den Betrieben selbst. Wenn Mädchen einen Ausbildungsplatz als Kfz-Mechatronikerin suchen, werden sie gerne abgewimmelt mit dem lapidaren Hinweis, dass der Betrieb keine Wasch- und Umkleideräume für Frauen hat. Manchmal ist es auch so, dass die Männer lieber „unter sich“ bleiben wollen.

Die Frauen, die es trotzdem geschafft haben und einen Kfz-Beruf ausüben, wurden jetzt in einer Studie des Bundesinstituts für Berufliche Bildung (BIBB) befragt. In der Untersuchung mit dem beziehungsreichen Titel „Lippenstift und Motoröl“ (ISBN-Nummer 978-3-7639-5031-7) forschte die Autorin Bärbel Bertram nach den Motiven junger Kfz-Mechatronikerinnen bei der Berufswahl und nach ihren Erfahrungen.


Selbstbewusst und durchsetzungsstark

Viele fanden Zugang zu dem Beruf, weil sie im Elternhaus oder bei Bekannten positive Erfahrungen mit Technik gemacht hatten. „Ich habe oft meinem Vater beim Basteln am Motorrad zugeschaut, das fand ich total spannend“, berichtet ein Mädchen. Beim Girls Day oder Praktikum im Betrieb wurde vielen klar: „Was Technisches ist mein Ding.“

Im Ausbildungsalltag erweisen sich Kfz-Mechatronikerinnen als gleich gut oder sogar besser als ihre männlichen Kollegen. Wer den Beruf wählt, hat nicht nur Interesse an Technik, sondern auch Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen. So wie die 24-jährige Lisa Törmer. Sie hat bei Audi in Ingolstadt eine Lehre zur Kfz-Mechatronikerin erfolgreich absolviert. In ihrer Gruppe war sie das einzige Mädchen. Dass sie sich den Schneid nicht abkaufen lässt, sieht man auch daran, dass sie heute die Vorsitzende der Jugend- und Ausbildungsvertretung bei Audi ist. „Wichtig ist, nicht gleich aufgeben, wenn mal was nicht so gut klappt“, rät Törmer ihren Berufskolleginnen.


Händchen für Feinarbeiten

„Klar fehlt uns Mädchen manchmal die Kraft, wenn eine Schraube zu fest sitzt“, berichtet Stefanie Baumgartner, die im ersten Lehrjahr als Kfz-Mechatronikerin bei Audi arbeitet. „Dafür haben wir Mädchen andere Stärken, uns fällt die Arbeitsplanung leichter und wir haben ein Händchen für Feinarbeiten.“ Ausbilder schätzen die gemischten Teams mit Mädchen und Jungen. Die Atmosphäre ist dann eine andere.

Vom Können und den Noten her stehen die Mädchen ihren männlichen Kolegen in nichts nach. Technikkompetenz ist weder männlich noch weiblich, schreibt die Autorin der Studie, Bärbel Bertram. Die Hürde zu einem technischen Beruf existiert eher im Kopf. Wenn die meisten Freundinnen eine Ausbildung im Büro vorziehen, braucht man viel Selbstbewusstsein, stattdessen im Blaumann in der Werkstatt zu arbeiten.


Attraktive Aufstiegschancen

Doch es gibt gute Gründe für einen Beruf wie Kfz-Mechatronikerin. Die Verdienstmöglichkeiten, die oft über denen typischer Frauenberufe liegen, sind das eine. Nach der Ausbildung gibt es zudem viele Wege, sich weiter zu qualifizieren. Etwa zur Meisterin im Kfz-Techniker-Handwerk. Draufsatteln kann man auch zur geprüften Automobil-Serviceberaterin und zur Service-Technikerin.

Ein weiterer Schritt ist der Weg zur Betriebswirtin im Kfz-Gewerbe. das bietet etwa die Bundesfachschule in Northeim (Südniedersachsen) an. In elf Monaten werden Kfz-Mechatroniker, Automobilkaufleute und Kfz-Meister in einer praxisorientierten Ausbildung zum Betriebswirt ausgebildet. Eine abgeschlossenen Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin eröffnet auch den Weg zum Studium, zum Beispiel Maschinenbau in der Fachrichtung Fahrzeugtechnik.


Umdenken findet statt

Junge Frauen sollten also unbedingt über den Tellerrand schauen und auch eher männerdominierte Berufe in Betracht ziehen. Frauenberufe sind in der Regel durch geringe Entlohnung, ungünstige Arbeitsbedingungen, schlechte Beschäftigungssicherheit, begrenzte Aufstiegsmöglichkeiten und wenig gesellschaftliche Anerkennung gekennzeichnet. Laut BIBB-Studie beginnen immer mehr Unternehmen umzudenken und stellen zunehmend weibliche Azubis ein. Denn gute Fachkräfte sind gesucht, und da geht es um Können und nicht um das Geschlecht.


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