Industriestandort Deutschland
Wir kämpfen um unsere Industrie - Kompromiss bei Musashi

Unsere Industrie baut ab, verlagert, schließt – oft nur für ein, zwei Prozent mehr Gewinn, ohne Plan und klare Perspektiven. Beschäftigte kämpfen gemeinsam mit der IG Metall um ihre Zukunft. Beim Autozulieferer Musashi gab es kurz vor Beginn des Streiks eine Einigung in der tariflichen Schlichtung.

26. September 202526. 9. 2025 |
Aktualisiert am 10. Dezember 202510. 12. 2025


Unsere Werkshallen und Hütten brennen. Überall bauen Industriebetriebe Arbeitsplätze ab, verlagern, schließen. 10 000 Arbeitsplätze gehen jeden Monat verloren. Besonders betroffen: Die Auto- und Zuliefererindustrie. Über 50 000 Arbeitsplätze gingen hier allein in den letzten 12 Monaten verloren. 

Viele Industrieunternehmen wollen die Beschäftigten allein für die aktuelle Krise und die Transformation bezahlen lassen – obwohl es die Manager waren, die jahrelang verpennt haben in die Zukunft zu investieren. Jetzt fällt ihnen nichts Besseres ein als Personalabbau, Verlagerungen und Schließungen.

Schuld sei die Politik – und der teure Standort Deutschland, heißt es. Dabei liegt der Anteil der Lohnkosten in der Metall- und Elektroindustrie bei gerade mal 17,7 Prozent vom Umsatz (2024). Und die Dividenden steigen weiter: Für das Geschäftsjahr 2024 schütteten die 160 Unternehmen aus DAX, MDAX und SDAX 63 Milliarden Euro an ihre Aktionäre aus, allein die 40 DAX-Konzerne fast 54 Milliarden – der dritte Rekord in Folge.
 

Arbeitgeber müssen sich zum Industriestandort bekennen 

Ja: Es ist höchste Zeit, dass die Politik handelt. Seit Monaten führt die IG Metall Gespräche mit der Bundesregierung. Es gab einen Stahlgipfel, einen Autodialog – und endlich auch Ergebnisse: Schutzzölle gegen Dumping beim Stahl sollen bald kommen. Eine flexibilere CO2-Regulierung bei Autos ist im Gespräch. In Brüssel kommen wir beim »Local-Content« voran: Bei öffentlichen Aufträgen soll die europäische Stahlindustrie bevorzugt werden. Und ab 1. Januar haben wir endlich den verbilligten Industriestrompreis, den die IG Metall seit Jahren fordert. 

Die Politik kommt in die Gänge. Jetzt sind endlich auch die Arbeitgeber gefordert: Statt abzubauen müssen sie sich zum Industriestandort Deutschland bekennen, investieren und gemeinsam mit uns als Sozialpartner Verantwortung übernehmen, fordert Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall. „Wir brauchen endlich ein klares Bekenntnis der Unternehmen zum Industriestandort Deutschland und den Schlussstrich unter den Stellenabbau.“

In den Betrieben halten Beschäftigte und IG Metall dagegen und kämpfen gegen den Kahlschlag, für die Zukunft von Standorten und Arbeitsplätzen.


„Angrif ist die beste Verteidigung“: Solidarischer Kampf an allen Musashi-Standorten

Das Aus zweier Werke konnten sie nicht stoppen. Doch die Musashi-Beschäftigten – über 80 Prozent sind in der IG Metall – hielten zusammen, an allen Standorten: Abbau reduziert, Abfindungen verdoppelt, Jobs in Deutschland gesichert. 

„Wir, die wir unsere Jobs verlieren, haben für die Zukunft derer gekämpft, die bleiben. Und die, die bleiben, haben für höhere Abfindungen für uns gekämpft“, meint Heiko Liebscher, Betriebsrat bei Musashi Machining in Leinefelde (Thüringen), das bis März 2027 schließen wird.

Kurz vor Beginn des Streiks an allen deutschen Standorten des Autozulieferers Musashi – für den über 90 Prozent in der Urabstimmung gestimmt hatten – gab es doch noch eine Verhandlungslösung in der Schlichtung, nach drei Monaten Kampf, endlosen Verhandlungen, Demos und Warnstreiks.

Bitter: Zwei Werke schließen bis März 2027 Hannoversch Münden (Niedersachsen) und das Machining-Werk in Leinefelde. Doch ursprünglich wollte die Geschäftsleitung auch das andere Werk (Forging) in Leinefelde zumachen. Sie haben durch ihren gemeinsamen Kampf den geplanten Abbau am Standort Lüchow (Niedersachsen) fast halbiert (70 statt 130 Jobs weg), die Schließungen um ein Jahr verzögert und die angebotenen Abfindungen verdoppelt, mit bis zu 6500 Euro extra für IG Metall-Mitglieder. Zudem haben sie Sicherheit für die übrigen erreicht: Die Teile der Werke, die schließen, gehen  an die verbleibenden deutschen Standorte, etwa im rheinland-pfälzischen Nahetal, die dafür eine Garantie erhalten. IG Metall-Mitglieder dort – über 80 Prozent der Beschäftigten – haben bis 2028 Kündigungsschutz.

Auch auf der Mitgliederversammlung in Hannoversch Münden gibt es Beifall, trotz der Schließung. Sie waren eng beteiligt, haben mit entschieden. Mehr war nicht zu holen. Über die Schließung von Werken entscheidet nach deutschem Recht allein der Arbeitgeber, der am Geldhahn sitzt. Betriebsräte und IG Metall können sie nur teurer und schwerer machen.

Das Management drohte sogar, alle deutsche Standorte in die Insolvenz zu schicken und versuchte, den Streik gerichtlich verbieten zu lassen. Ohne Erfolg. Der Druck, den die IG Metall durch den drohenden Streik und ihr Netzwerk aufbaute, wurde schließlich zu groß. Die Kunden, etwa VW und Daimler Truck, drohten wegen fehlender Lieferungen mit Schadenersatzklagen. Die Betriebsräte dort sprachen mit ihren Managern. Busse zum Streik bei Musashi waren bereits bestellt. Die spanischen Gewerkschaften verhinderten die Entsendung von Streikbrechern. Und die japanischen Gewerkschaften bauten Kontakt zur Konzernleitung von Musashi in Japan auf, die endlich noch mal 20 Millionen Euro drauflegte.


Geschäftsleitung droht mit Insolvenz und spaltet – aber sie halten zusammen

Rückblick: Im Juni 2025 verkündet die Geschäftsleitung von Musashi Deutschland, dass sie zwei Standorte komplett schließen und einen weiteren halbieren will. »Die haben uns kein Wort von Abbau gesagt«, kritisiert Paul Alexander, Betriebsrat in Hannoversch Münden, der im Transformations-Lenkungsausschuss mit der Arbeitgeberseite an Planungen für die Zukunft arbeitete. Auch im Aufsichtsrat gab es keinerlei Informationen.

Der Abbau soll angeblich nur die Standorte Hann. Münden, Leinefelde und Lüchow treffen. Den Beschäftigten an der Nahe, in Bad Sobernheim, Bockenau und Grolsheim erzählen die Manager: Ihr profitiert sogar – auf Kosten der anderen (wenn auch ohne irgendwelchen Sicherheiten). Die IG Metall, Vertrauensleute und Betriebsräte halten dagegen, mit Videobotschaften und zig Gesprächen im Betrieb. 

Am Ende stimmen auch an der Nahe 87,4 Prozent für den Streik. Sie verzichten sogar auf Geld für die Abfindungen der anderen. »Dafür bekommen sie von uns die Teile. Das haben wir nur durch unsere Solidarität erreicht«, meint der Hann. Mündener Betriebsratsratsvorsitzende Karl Koch, der mitverhandelt hat und 2027 nach 39 Jahren mit den anderen rausgeht. »Wir gehen –  aber wir gehen als Sieger vom Platz, mit geradem Rücken.«

Jungheinrich will Lüneburg schließen – Streik für Sozialtarif

Seit dem 20. November streiken die Beschäftigten bei Jungheinrich in Lüneburg. Trotz Rekordgewinn will die Geschäftsführung das Werk schließen – und weigert sich, mit der IG Metall zu verhandeln. Nach Protestaktionen und Warnstreiks haben 90 Prozent der Beschäftigten in einer Urabstimmung für Streik gestimmt.

Im Juli verkündete die Geschäftsführung des Gabelstaplerbauers Jungheinrich auf der Betriebsversammlung ihre Pläne zur Schließung bis 2027. „Das kam völlig aus dem Nichts“, kritisiert Steffen Schwarz, Betriebsrat und Mitglied des Aufsichtsrats. „Wir haben sie dann aus der Betriebsversammlung rausgeschmissen.“

380 Beschäftigte sind von den Schließungsplänen in Lüneburg betroffen – allerdings plant die Geschäftsleitung angeblich nur die Produktion mit 300 Beschäftigten zu schließen. Insgesamt will Jungheinrich 1000 Arbeitsplätze im Unternehmen abbauen. Nichts davon hatte sich in den letzten Monaten angedeutet. Die Geschäftsführung hatte sogar das Ziel ausgegeben, dass der Umsatz bis 2030 – in nur fünf Jahren – verdoppelt werden soll.

Was den Betriebsrat und Elektriker Steffen Schwarz besonders ärgert: Die Schließungspläne wurden ihnen von einem Manager verkündet, der erst seit zwei Jahren im Unternehmen ist. Seit Steffen Schwarz damals vor 27 Jahren als Leiharbeiter mithilfe des Betriebsrats fest übernommen wurde, hat Lüneburg dem Konzern immer Gewinne gebracht. Und dann das. 

„Das Werk in Lüneburg schreibt schwarze Zahlen, fertigt erfolgreich Spezial- und Kleinserien – und soll trotzdem geschlossen werden – nur damit sich die Rendite in den Chefetagen um ein paar Kommastellen verbessert“, kritisiert Lennard Aldag, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Celle-Lüneburg. „Wir fordern den Abschluss eines Sozialtarifvertrag. Die Beschäftigten sind bereit, für ihre Zukunft zu kämpfen. Die Beschäftigten wollen Zukunft, keine Abwicklung. Jungheinrich spielt mit Existenzen, als wären sie bloße Zahlen in einer Excel-Tabelle. Das lassen wir nicht zu – wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz!“

 

Streik bei Jungheinrich in Lüneburg im November 2025

Streik bei Jungheinrich in Lüneburg im November 2025

 

„Ein Unternehmen hat den Menschen zu dienen“ – Zukunft oder Widerstand

Das Vorgehen des Jungheinrich-Managements ist ein Tabubruch aus Sicht von Beschäftigten und IG Metall. Firmengründer Friedrich Jungheinrich hatte vor mehr als 70 Jahren immer gesagt: „Ein Unternehmen ist kein Selbstzweck. Es hat den Menschen zu dienen.“

Die Verlagerungspläne können zudem aus Sicht der Beschäftigten gar nicht funktionieren, schon gar kein Auseinanderreißen von Konstruktion und Montage. Sie bauen passgenaue Sonderlösungen für die Kunden: Gabelstapler mit breiterer Gabel, mit Dorn, Stempel oder Greifklaue, mit angepasstem Cockpit. Das geht nicht nach Bauanleitung. Sondern nur mit Handwerk und Improvisation, viel Fachwissen, Erfahrung und Kooperation.

„Wir gehen täglich in die Montage, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Hier konstruieren und woanders bauen? Das geht im Sonderbau nicht. Das ist Selbstmord“, meint Yusuf Cengiz. Der Ingenieur und Leiter der IG Metall-Vertrauensleute kam wie der Betriebsratsvorsitzende Sven Nolte vor Jahren über einen Ingenieurdienstleister. Nun geht er bei ihren Streikdemos mit dem Megafon voran. 
„Unsere On-Off-Streikstrategie geht auf. Die Logistik versinkt im Chaos und Kunden rufen wütend an“, berichtet Florian Rebstock von der IG Metall Celle-Lüneburg, der den Streik leitet. „Jetzt ist Zeit, dass die Familien Wolf und Lange ihren Vorstand an den Verhandlungstisch schicken. Nur so können sie den Sonderbau retten, nur in Lüneburg funktioniert er.“


Bosch: Abbau von 22 000 Stellen

Selbst ehemals betont soziale Unternehmen wie Bosch bauen ab: 22 000 Arbeitsplätze sollen dort bis 2030 wegfallen. Viele Standorte sollen teilweise halbiert, das Werk in Waiblingen ganz geschlossen werden. Zu Redaktionsschluss laufen gerade Gespräche. Und an allen Bosch-Standorten demonstrieren Beschäftigte für ihre Zukunft. Sie kämpfen gemeinsam. Zur Demo in Wablingen etwa kamen auch Hunderte Bosch-Beschäftigte anderer Standorte bundesweit. Sie fordern Investitionen an ihren deutschen Standorten. Und dass das Management nicht einfach nur Stellen abbaut, sondern sich endlich mit ihnen an einen Tisch setzt, um Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln, neue Produkte und neue Geschäftsmodelle. 

 

2000 Beschäftigte demonstrierten gegen die Schließungspläne bei Bosch in Waiblingen.


„Statt wie vereinbart an den Standorten über Zukunftsbilder zu verhandeln, sollen nun erneut Tausende Menschen das Unternehmen verlassen“, kritisiert der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Bosch-Geschäftssektors Mobility, Frank Sell. „Es steht außer Frage, dass die Situation in der deutschen und europäischen Automobil- und Zulieferindustrie sehr angespannt ist. Einen Personalabbau dieser historischen Größenordnung – ohne gleichzeitige Zusagen zur Sicherung unserer Standorte in Deutschland – lehnen wir jedoch entschieden ab!“

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