Arbeit und Innovation
Wie Wandel gestaltet werden kann

Fortschreitende Digitalisierung ändert die Arbeitswelt grundlegend. Welche Auswirkungen das hat, hängt auch davon ab, ob es im Betrieb gelingt, die Beschäftigten fit für den Wandel zu machen.

28. März 201828. 3. 2018


Allein dieses Fachvokabular: Cyber-physische Systeme, Augmented Reality, Internet der Dinge; allein diese technischen Möglichkeiten: Maschinen, die vernetzt sind, Roboter, die Hand in Hand mit Menschen arbeiten, Algorithmen, die die Büroarbeit revolutionieren. Dazu die steigende Zahl von Studien: jede Woche eine neue, die einem um die Ohren flattert, mit immer neuen Zahlen, Prognosen, Befürchtungen, Erklärungen – es ist ganz schön viel.

„Es ist alles schön und gut“, sagt Markus Schaubel, ein ruhiger, besonnener Mann, 54 Jahre alt, seit vier Jahren Betriebsratsvorsitzender bei Kolbenschmidt in Neckarsulm, seit 20 Jahren Betriebsrat, seit 1979 im Unternehmen, ein Mann, der viel gehört und viel gesehen hat. „Man darf das Wichtigste nicht außer Acht lassen“, sagt Markus Schaubel.


Das Wichtigste? Was ist das?

Das ist ganz einfach, sagt Markus Schaubel. „Am Ende entscheidet sich auf dem Hallenboden, in jedem einzelnen Betrieb, an jedem einzelnen Arbeitsplatz und bei jedem einzelnen Beschäftigten, ob Digitalisierung ein Erfolg wird. Etwas, das sich gut gestalten lässt. Oder ob sie zerstörerisch wirkt.“ Um sie aber überhaupt gestalten zu können, müssten vorher ein paar elementare Fragen beantwortet werden. Zum Beispiel: Welche Arbeitsplätze in welchen Abteilungen werden durch digitale Technik bedroht? Wie verändern sich welche Tätigkeiten? Welche Qualifikationen braucht welcher Beschäftigte? Schließlich: Wie kann sichergestellt werden, dass der Beschäftigte die Qualifikation erhält?

„Genau das waren die Fragen, mit denen wir in das Projekt ‚Arbeit Innovation‘ gegangen sind“, sagt Markus Schaubel. „Unser Ziel als Betriebsrat ist es, ein in sich stimmiges Qualifizierungssystem zu entwickeln, um auf die bevorstehenden Veränderungen reagieren zu können.“

Vor einem Jahr haben sie sich auf den Weg gemacht, noch sind sie nicht am Ziel, aber sie haben bereits ein gutes Stück geschafft. Das ist wichtig – denn dass die Veränderungen kommen werden und dass sie groß sein werden, das zeigt sich immer deutlicher.

Rund 900 Menschen arbeiten bei Kolbenschmidt in Neckarsulm, die Beschäftigten stellen hier Klein- und Großkolben für große Automobilhersteller und für Werften her. Etwa ein Drittel der Kolleginnen und Kollegen arbeitet in der Produktion, der Rest ist in klassischen Angestelltenbereichen beschäftigt, vor allem in Forschung und Entwicklung. „Mit dem Strukturwandel, in dem die gesamte Automobilindustrie derzeit steckt, haben auch wir zu kämpfen“, sagt Markus Schaubel. Vernetze Fahrzeuge, automatisiertes Fahren, natürlich die Diskussion um den Elektroantrieb – alles Faktoren, die die Arbeit in Neckarsulm wandeln.


Neue Kompetenzen

„Der Strukturwandel hat in den vergangenen Jahren bereits zu einem schleichenden Personalabbau geführt“, sagt Markus Schaubel. „Bislang konnten wir den aber immer etwa mit Altersteilzeitregelungen sozial abfedern und abfangen.“ Solche personalpolitischen Instrumente allerdings, das ist abzusehen, werden angesichts des bevorstehenden Umbruchs nicht mehr ausreichen. „Uns ist klar, wenn wir Beschäftigung halten wollen, dann müssen wir ganz anders als bisher auf die Qualifizierung der Beschäftigten setzen. Dann brauchen wir Änderungen bei der beruflichen Erstausbildung, eine Erweiterung der Lerninhalte. Und wir brauchen Weiterbildungsangebote, die fester Teil der Personalpolitik sind.“

Damit all das aber gelingen kann, ist zuvor ein Überblick über den Qualifizierungsstand der Beschäftigten und die kommenden Herausforderungen nötig. Erst wenn man weiß, welche Fähig- und Fertigkeiten vorhanden sind und welche zukünftig gefordert werden, kann man ableiten, wie und wohin sich Beschäftigte weiterbilden müssen. Welche Qualifikationen sie erwerben müssen.

Bei Kolbenschmidt haben sie deshalb eine Befragung der Führungskräfte gestartet. Das Projektteam wollte wissen, wo nach Ansicht der Führungskräfte zukünftige Qualifizierungsschwerpunkte im jeweiligen Bereich liegen und wie sie sich die Zusammensetzung ihres Bereichs in Zukunft vorstellen. In einem zweiten Schritt werden detaillierte Beschäftigtenbefragungen konzipiert. „Die wird es in allen Abteilungen geben“, sagt Markus Schaubel.

Wichtig dabei: Es werden nicht nur Fragen zur persönlichen Entwicklung und zum Wandel der derzeit ausgeführten Tätigkeiten gestellt. Es wird auch gefragt, welche Ängste und welche Befürchtungen die Kolleginnen und Kollegen umtreiben. „Es ist wichtig zu wissen, welche Qualifizierung ein Beschäftigter braucht“, sagt Markus Schaubel. „Es ist aber ebenso entscheidend, dafür zu sorgen, dass die Kolleginnen und Kollegen die Veränderungen, die auf sie zukommen, annehmen und ihre Scheu vor digitaler Technik verlieren.“

Genau das ist der Punkt, genau das ist das Anliegen von Ronny Urlass. So kamen er und sein Team zu „Arbeit Innovation“. „Mir geht es darum, eine Akzeptanz der Beschäftigten für Veränderungen herzustellen“, sagt der 42-Jährige. „Ich will, dass digitale Technik didaktisch gut eingeführt wird, sodass die Kolleginnen und Kollegen ihre Berührungsangst verlieren.


Andere Qualifizierung

Ronny Urlass arbeitet bei den Elbe Flugzeugwerken in Dresden, insgesamt 1300 Menschen sind hier beschäftigt. Sie rüsten Passagiermaschinen in Frachtflugzeuge um, arbeiten in der Flugzeugwartung, stellen Fußbodenplatten für die komplette Airbus-Linie her. Für jede Tätigkeit, für jeden einzelnen Arbeitsschritt gibt es eine sogenannte Jobcard. Auf dieser finden sich detaillierte Arbeitsbeschreibungen, Barcodes, mit denen Arbeitsbeginn und -ende nachgewiesen werden. „Wir müssen alle Fertigungsschritte dokumentieren“, sagt Ronny Urlass, „das ist bei uns sicherheitsrelevant.“

Die bislang papierhafte Jobcard soll nun in eine digitale Version umgewandelt werden, die Beschäftigten sollen künftig am besten mit einem Tablet ausgestattet zu ihrem Arbeitsplatz gehen. „Sie sollen es aber nicht einfach so in die Hand gedrückt bekommen“, sagt Ronny Urlass. „Wir wollen es richtig einführen.“

Mit seinem Projekt hat der Betriebsrat einen innovativen, beteiligungsorientierten Ansatz gewählt: Zehn geschulte Beschäftigte sollen die digitale Jobkarte im Piloteinsatz erproben: Sie sollen Rückmeldungen geben, die es möglich machen, die Technik, die Bedienung weiterzuentwickeln. Vor allem aber sollen sie später Schulungen der Kolleginnen und Kollegen übernehmen. „Wir sind gerade dabei, die zehn Multiplikatoren mit didaktischen Kompetenzen zu qualifizieren und interne Schulungsunterlagen zu konzipieren. Unser Ziel ist es, dass alle betroffenen Kollegen Schulungen bekommen und diese Bestandteil der Ausbildung werden.“

Bis dahin aber ist es noch ein weiter Weg. Auch für Markus Schaubel und sein Team bei Kolbenschmidt. „Wenn wir die Befragungen in den einzelnen Bereichen abgeschlossen haben, sehen wir klarer, welcher Beschäftigte welche Qualifikation braucht“, sagt der 54-Jährige. Zusammen mit der Personalabteilung will der Betriebsrat dementsprechend dann das Weiterbildungskonzept ausrichten. „Es geht uns nicht um hübsche Absichtserklärungen“, sagt Markus Schaubel. „Wir brauchen hier ganz konkrete Maßnahmen.“

Zukunft der Arbeit

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