Zukunft für unsere Industrie | Boge Simmern
Verlagerung mal andersrum – von China nach Simmern

Ihr Werk sollte 2026 geschlossen werden. Das verkündete die Geschäftsführung des Autozulieferers Boge Rubber & Plastics in Simmern letzten November. Doch mit Warnstreiks erkämpften sie sich Tarifverhandlungen – und erreichten die Verlagerung von Eisenbahnersatzteilen aus China nach Simmern.

25. Juni 202525. 6. 2025 |
Aktualisiert am 4. Juli 20254. 7. 2025


Die Schließung des Autozulieferers Boge Rubber & Plastics in Simmern (Rheinland-Pfalz) Ende 2026 ist vom Tisch. Die Konzernmutter Zhuzhou Times New Material Technology (TMT) verlagert dazu die Fertigung von Eisenbahnersatzteilen aus China nach Simmern und investiert mindestens 7 Millionen Euro.

Dadurch sind die rund 300 Beschäftigten von Boge nicht mehr allein vom Auto abhängig, sondern haben künftig mit Fahrwerksteilen für Züge ein zweites Standbein.

Das setzte die IG Metall in direkten Verhandlungen mit der chinesischen Konzernspitze in einem Transformationstarifvertrag durch – mit Beteiligung, fantasievollen Aktionen und Warnstreiks. Die Belegschaft von Boge ist zu 98,3 Prozent in der IG Metall organisiert.

„Die Solidarität der Beschäftigten bei Boge hat gegen den Trend tarifgebundene Industriearbeitsplätze gesichert – mit einer Verlagerung mal andersherum“, erklärt Verhandlungsführer Uwe Zabel von der IG Metall Mitte. „Wir haben die Transformation fair, ökologisch und gerecht gestaltet, mit Beteiligung der Beschäftigten.“


95,1 Prozent für Annahme des Tarifergebnisses

Nach der Tarifkommission der IG Metall bei Boge in Simmern haben nun auch die Mitglieder der IG Metall im Betrieb das Verhandlungsergebnis angenommen. Bei einer geheimen Urwahl stimmten 95,1 Prozent mit Ja. Am Freitag präsentierte die IG Metall das Ergebnis bei einer Betriebs- und Mitgliederversammlung vor dem Werk.

Auch die rheinland-pfälzische Arbeits- und Sozialministerin Dörte Schall, die sich mit eingeschaltet hatte, gratulierte dort den Beschäftigten. „Die Investoren wissen, dass Ihr hier gute Arbeit liefert.“

IG Metall und Beschäftige hatten bereits eine „Woche des Widerstands“ ab Anfang Juli vorbereitet, sowie eine Urabstimmung über einen unbefristeten Streik, der viele Autowerke lahmgelegt hätte. Boge liefert an Mercedes, Audi, VW und Volvo. Doch der Streik ist nun nicht mehr nötig.

„Dieses Ergebnis ist sensationell – ein Erfolg der Solidarität“, meint Jörg Köhlinger, Bezirksleiter der IG Metall Mitte, der auf der Betriebs- und Mitgliederversammlung den Tarifvertrag unterschrieben hat. „Erstmals werden Produkte, die bereits nach China verlagert waren, wieder zurückverlagert, von China nach Simmern. Das war aber nur möglich, weil die Belegschaft kampfbereit war. In Betrieben, wo sich die Beschäftigten nicht wehren, beschließt die Geschäftsleitung mit einem Federstrich die Schließung und zieht sie auch durch.“


Mit Warnstreiks Verhandlungen erzwungen 

Anfang November vergangenen Jahres hatte die Geschäftsleitung von Boge in Simmern verkündet, dass das Werk 2026 schließen soll. Die rund 300 Beschäftigten fertigen dort Motor- und Fahrwerkslager für Verbrennerautos, unter anderem für Audi, Mercedes, Volkswagen und Volvo. Immer wieder hatte der Betriebsrat Pläne und Investitionen für die Zukunft eingefordert. 

Die IG Metall forderte das Unternehmen zu Verhandlungen über einen Sozialtarifvertrag auf, doch die Geschäftsleitung weigerte sich. Nach Warnstreiks und Auseinandersetzungen vor Gericht erreichte die IG Metall schließlich im Januar eine tarifliche Verfahrens- und Prozessvereinbarung: Beschäftigte und Geschäftsführung erarbeiten gemeinsam in paritätischen Arbeitsgruppen Lösungen zur Sicherung von Standort und Arbeitsplätzen, gesteuert von einem gemeinsamen Lenkungsausschuss von Geschäftsführung, sowie Betriebsrat und IG Metall. Das Ziel: Ergebnisse bis Ende Juni.


Direkte Verhandlungen mit chinesischer Konzernspitze in Simmern 

Über ihr China-Netzwerk erreichte die IG Metall, dass der Aufsichtsratschef von der TMT-Konzernspitze zu Verhandlungen nach Simmern kam. Ende Juni gelang der IG Metall-Verhandlungskommission nach 19 Stunden Verhandlungen der Durchbruch: Bis 31. Dezember 2027 sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen, Boge garantiert bis dahin mindestens 245 Vollzeitäquivalente (ein Teil der Beschäftigten arbeitet in Teilzeit) und fünf Ausbildungsplätze im Jahr. Zudem stellt Boge mindestens 7 Millionen Euro für Investitionen sowie 1 Millionen Euro für Qualifizierung bereit. Zur aktiven Beteiligung der Beschäftigten wurden „Demokratiezeiten“ wie Freistellungen für Vertrauensleute und IG Metall-Mitgliederversammlungen während der Arbeitszeit vereinbart. 

Ein Novum: Zur Sicherung der Beschäftigung wird die Fertigung von Eisenbahnersatzteilen für Alstom und Bombardier aus China nach Simmern verlagert. Boge sagt zu, einen Business-Plan für weiteres Neugeschäft im Segment „Railway“ zu erarbeiten. Dazu kommen weitere Verlagerungen etwa von Silikon-, Gummi und Kunststoffteilen nach Simmern. Zudem vereinbarten IG Metall und Boge den weiteren regelmäßigen Austausch im Rahmen des Transformationsprojekts.


Angriffe auf den Tarif abgewehrt 

Der Versuch der Verschlechterung des Flächentarifvertrages konnte erfolgreich abgewehrt werden. Das monatliche Entgelt, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und tarifliche Zusatzgeld werden nicht angetastet und die von der Arbeitgeberseite geforderte unentgeltliche Erhöhung der Arbeitszeit um 10 Stunden im Monat wurde durch die aktive Kampfbereitschaft der Belegschaft verhindert. 

Die Kröte des Kompromisses – aber auch ein Signal an den Konzern, dass die Beschäftigten aktiv hinter dieser Transformation stehen – ist der Verzicht auf das T-Geld (Transformationsgeld) 2025 bis 2027 (jährliche Einmalzahlung von 18,4 Prozent des Monatseinkommens im Juli), wie es die Flächentarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie bei schlechter Lage vorsehen.

Zudem werden zwei Entgelterhöhungen ab 2026 verschoben, und der Arbeitgeber kann statt tariflichem Zusatzgeld (T-ZUG, einmal jährlich 27,5 Prozent) zusätzlich 6 Tage im Jahr frei geben. Das Geld ist nicht weg, sondern wird in einen zusätzlichen Investitionstopf für den Standort Simmern eingezahlt. Was davon nicht verbraucht wird, erhalten die IG Metall-Mitglieder bei Boge zurück.


„Müssen weiter dranbleiben“

Die Beschäftigten auf der Betriebs- und Mitgliederversammlung sind erleichtert.

„Ich finde die Regelung super, wir verzichten nicht auf Geld“, meint ein junger Fertigungsplaner. „Ende letzten Jahres war das eine schwierige Situation. Ich dachte, ich muss mir einen neuen Arbeitgeber suchen.“

„Ich bin froh über das Tarifergebnis“, erklärt eine ältere Beschäftigte, die in der Logistik arbeitet. „Ich hatte Zukunftsängste. In meinem Alter finde ich doch nichts mehr – hier im Hunsrück schon mal gar nicht.“

„Respekt an Euch, dass Ihr den Weg mitgegangen seid und uns den Rücken gestärkt habt“, erklärt Kay Wohlfahrt, Betriebsratsvorsitzender von Boge im Simmern den Beschäftigten. „Aber wir brauchen Euch weiter, um geschlossen und erfolgreich in die Zukunft zu gehen.“

Denn die Arbeit ist noch lange nicht vorbei: Nun steht die Umsetzung der Tarifvereinbarung an. Die Umstellung auf die neuen Fahrwerksteile für Züge. Und die Investitionen müssen auch wirklich umgesetzt werden.

„Ich habe keine Zweifel, dass die Belegschaft steht und streikbereit ist“, meint der Vertrauenskörperleiter und stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Marco Friedrich, der am Ende gemeinsam mit Verhandlungsführer Uwe Zabel unter vier Augen mit der chinesischen Konzernspitze verhandelte. „Wir müssen nun gemeinsam weiter dranbleiben. Ich bin sicher, dass wir auch über 2027 hinaus eine Zukunft in Simmern haben.“


24-Stunden-Warnstreik bei Boge Rubber&Plastics in Simmern am 17. Dezember 2024

24-Stunden-Warnstreik bei Boge Rubber&Plastics in Simmern am 17. Dezember 2024

 

Boge-Beschäftigte geben „Flamme der Solidarität“ weiter

„Ohne Euren hohen Organisationsgrad hätten wir niemals so verhandeln können“, macht Ingo Petzold, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Kreuznach den Boge-Beschäftigten klar. „Ihr seid auch ein Vorbild für Beschäftigte in anderen Betrieben in der Region, die auch gerade unter Druck stehen, etwa bei Continental und bei Musashi.“

Von beiden Unternehmen sind heute Delegation von Betriebsräten und IG Metall-Vertrauensleuten hier, um Solidaritätsgrüße zu überbringen – von Continental in Rheinböllen und von Musashi in Bad Sobernheim, Bockenau und Grolsheim. Die Solidarität unter den Betrieben in der Region hat Tradition.

Am Ende der Mitgliederversammlung entzündet der IG Metall-Vertrauenskörperleiter Marco Friedrich von Boge die „Flamme der Solidarität“ und übergibt sie an Elmar Sutor, den Vertrauenskörperleiter bei Musashi. Dort plant die Unternehmensleitung massive Einschnitte – unter anderem zwei Werksschließungen in Hann. Münden (Niedersachsen) und Leinefelde (Thüringen), sowie Massenentlassungen in Lüchow (Niedersachsen).

Die „Flamme der Solidarität“ wird seit dem Aktionstag der IG Metall im März von Betrieb zu Betrieb getragen. Sie steht für den Kampf um die Zukunft unserer Arbeitsplätze in der Industrie.
 

So kämpfen wir um unsere Industriearbeitsplätze: Kampf um die Zukunft bei Faurecia in Scheuerfeld

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