Zukunft unserer Industrie | Faurecia Scheuerfeld
So kämpfen wir um unsere Industrie-Arbeitsplätze

Wo sind die Aufträge für unsere Zukunft? Dazu musste das Management des Autozulieferers Faurecia in Scheuerfeld den wütenden Beschäftigten auf der Betriebsversammlung Rede und Antwort stehen. Nach einer Demo unterschrieb das Management einen Tarifvertrag: bis Juni sollen Aufträge da sein.

26. Mai 202526. 5. 2025


10 Uhr morgens in Scheuerfeld im Westerwald: Mit Trommeln, Trillerpfeifen und IG Metall-Mützen empfängt die Belegschaft des Autozulieferers Faurecia Innenraumsysteme die drei Vertreter*innen des Managements, darunter die Europa-HR-Managerin. Die Versandhalle ist mit Transparenten vollgehängt. Sie sind wütend – und sie sind laut. Das Management soll hier heute auf der Betriebsversammlung endlich sagen, was mit ihren Arbeitsplätzen in Zukunft passiert.

„Ich erwarte von Ihnen, dass sie Verantwortung gegenüber dieser Belegschaft tragen“, schimpft der Betriebsratsvorsitzende Yüksel Öztürk über das Mikro nach rechts in Richtung des Managements, unter lautem Trommeln und Beifall. Der Tontechniker, ein IG Metall-Vertrauensmann, schiebt noch ein paar Sekunden „Eye of the Tiger“ mit rein. „Seit sieben Jahren, seit 2018 sagen wir Ihnen: Kümmern sie sich um neue Aufträge, damit so etwas wie jetzt nicht passiert. Aber sie haben es nicht hingekriegt“, kritisiert Öztürk – und macht klar: „Wir wollen Aufträge in Scheuerfeld. Sonst brennt die Bude.“

„Wir wollen eine Lösung – heute!“

Zwar haben sie sich bereits einen Sozial- und Zukunftstarifvertrag erkämpft, der ihre Arbeitsplätze bis 2028 sichert. Doch was ist danach? Was ist mit dem Folgeauftrag für die Armaturenbretter für den Mercedes-Sprinter, den VS 30, der 2028 ausläuft? 34 Millionen haben ihnen Betriebsrat und Belegschaft als Gegenleistung angeboten.

Man werde sich kümmern, verspricht ein Vertreter des Managements. Im Juni gebe es mehr Klarheit. Die Beschäftigten stehen auf, drehen ihnen demonstrativ den Rücken zu, unter Trommeln und Buh-Rufen. „Lügen Sie uns nicht an“, ruft ein Beschäftigter über eines der in der Halle verteilten Funkmikros hinein. Viele melden sich zu Wort: „Was ist jetzt mir dem Auftrag? Haben Sie einen Plan B? Wir sind bereit zu arbeiten – aber wir wollen eine Lösung - heute! Wir erwarten, dass sie mit uns heute verhandeln.“

100 Prozent IG Metall-Mitglieder gestalten mit

IG Metall-Mitglied sind hier alle. Das ist seit 2012/13 so. Damals machten sie Verluste und die Konzernleitung in Paris wollte ihr Werk schließen. Doch alle wurden Mitglied der IG Metall – und gemeinsam erkämpften sie einen Sozial- und Zukunftstarifvertrag (einen der ersten überhaupt). In diesem wurde neben Investitionen in den Standort auch ein gemeinsamer Lenkungsausschuss vereinbart, in dem der Betriebsrat bei Investitionen mitbestimmt und die Transformation mitgestaltet, unterstützt von den IG Metall-Vertrauensleuten, die dafür gemäß Tarifvertrag einmal im Monat bezahlt während der Arbeitszeit zusammenkommen, und den IG Metall-Mitgliedern, die dafür einmal im Vierteljahr eine Mitgliedersitzung während der Arbeitszeit machen dürfen.

In den vergangenen zehn Jahren haben sie massiv in Prozesse und Automatisierung investiert und den Standort Scheuerfeld von einem der hintersten Plätze im weltweiten Benchmark-Ranking des Faurecia- (jetzt Forvia-) Konzerns unter die Top 5 von über 30 Standorten geführt.

Und dennoch wissen sie nicht, was nach 2028 aus ihnen wird. „Wie geht es zum Beispiel mit uns Auszubildenden und dual Studierenden weiter?“, fragt Mirac Bairam, die hier eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement macht. „Wenn Faurecia zumacht, gibt es hier in der Region nichts mehr.“

Auch ehemalige Beschäftigte, die jetzt in Rente sind, sind vorbeigekommen, um ihre Ex-Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen, sowie Delegationen aus anderen Betrieben. „Wir unterstützen uns gegenseitig“, erklärt Kay Wohlfahrt vom Autozulieferer Boge im 150 Kilometer entfernten Simmern im Hunsrück, der selbst gerade bedroht ist. „Und Schweinereien wie hier machen sie im Moment überall.“

Auch der Bürgermeister spricht von einer Hebebühne zu den Beschäftigten – und eine Vertreterin der Landesregierung Rheinland-Pfalz, die Unterstützung in der Transformation verspricht und dafür vom Arbeitgeber Verantwortung einfordert.
 

„Nach zwei, drei Tagen stehen beim Daimler die Bänder“

14 Uhr: Nach fast zwei Stunden Mitgliederversammlung vor dem Werk, Trommeln und dem gemeinsamen Mitsingen ihres selbstgemachten Scheuerfeld-Songs (Video) ist das Management schließlich bereit zu verhandeln. Die Verhandlungskommission um Verhandlungsführer Uwe Zabel von der IG Metall Bezirksleitung Mitte geht zu ihnen rein. Der Rest der Belegschaft zieht wieder zurück durchs Tor, einmal durchs ganze Werk zurück in die Halle – zur Fortsetzung der Betriebsversammlung vom Morgen. Gearbeitet wird hier heute nicht mehr.

15:30 Uhr: Es gibt ein Verhandlungsergebnis. Uwe Zabel und der Betriebsratsvorsitzende Yüksel Öztürk holen die IG Metall-Tarifkommission und die Betriebsräte in die Kantine. Das Management sagt zu, sich bis Ende Juni um neue Aufträge zu kümmern. Bis dahin ist die Betriebsversammlung nur unterbrochen.

„Wir haben jetzt eine verbindliche Vereinbarung, in der sich das Management zum Standort Scheuerfeld bekennt“, macht der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Herborn-Betzdorf, Oliver Scheld klar. „Darauf können wir sie festnageln und sagen: Macht Euren Job.“

Auch die Beschäftigungssicherung mit Mindestpersonalbemessung und die Demokratiezeit – IG Metall-Vertrauensleute- und Mitgliederversammlungen im Betrieb – werden bis 2028 verlängert.

„Ich bin stolz auf Euch: Ihr habt das super gut hingekriegt und gezeigt, dass Ihr kampffähig seid“, erklärt Verhandlungsführer Zabel. „Und wir haben ihnen klargemacht: Wenn wir die Mitglieder- und Betriebsversammlung fortsetzen und keine Armaturenbretter mehr rausgehen, dann stehen nach zwei drei Tagen die Bänder bei Daimler in Ludwigsfelde und Düsseldorf. Das kostet Millionen.“
 

Tarifvereinbarung: Management soll bis Juni Aufträge besorgen

16:00 Uhr: Jetzt ist wieder Mitgliederversammlung in der Halle. Die Tarifvereinbarung ist einstimmig angenommen.

16:25 Uhr: Die drei Vertreter*innen des Managements kommen rein und unterschreiben die Tarifvereinbarung – vor den Augen der Beschäftigten.

Danach ist Feierabend. Alle gehen ins Wochenende. Gearbeitet hat heute niemand. Die Arbeitszeit für den heutigen Freitag bekommen sie dennoch bezahlt. Die Betriebsversammlung ist bis Juni unterbrochen.

Hintergründe und aktuelle Nachrichten bei der IG Metall Herborn-Betzdorf.

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