Interview zur Tarifbindung
Tarifvertrag: Habt Ihr keinen? Holt Euch einen!

Mit Tarifvertrag sind Löhne und Arbeitsbedingungen besser und sicherer. Habt Ihr keinen? Holt Euch einen! Uwe Zabel vom Gemeinsamen Erschließungsprojekt Netzwerk Zukunft des IG Metall-Bezirks Mitte erklärt, wie das geht. Er hat mehr als 30 Tarifverträge mit verhandelt.

28. Juni 201828. 6. 2018


Uwe, wozu brauchen wir Tarifverträge? Viele Arbeitgeber zahlen doch schon von sich aus gut.
Uwe Zabel: Beschäftigte mit Tarifvertrag verdienen im Schnitt 30 bis 40 Prozent mehr. Ohne Tarifvertrag musst Du Deinen Arbeitsvertrag, Dein Entgelt und jede Gehaltserhöhung allein aushandeln. Zudem kann Dir Dein Arbeitgeber alles viel leichter wieder wegnehmen. Dann heißt es auf einmal, wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage oder warum auch immer gibt es in diesem Jahr keine Gehaltserhöhung und kein Weihnachtsgeld, Ihr müsst verzichten und länger arbeiten – und Du kannst als Einzelner wenig ausrichten. Wenn Arbeitnehmer jedoch gemeinsam unter dem Dach der Gewerkschaft kollektive Arbeitsverträge – also Tarifverträge – durchsetzen, dann sind die Arbeitsbedingungen nicht nur besser, sondern auch viel besser abgesichert.

 

Metaller Uwe Zabel spricht vor Beschäftigten

Uwe Zabel während des Kampfs um einen Haustarifvertrag. (Foto: IG Metall)

Wenn ich nun beispielsweise sehe: Bei uns ist alles Mist, es gibt seit Jahren keine Lohnerhöhung, wir brauchen einen Tarifvertrag. Wo fange ich an?
Nimm Kontakt zur IG Metall vor Ort auf. Nur die zuständige Gewerkschaft kann laut Gesetz Tarifverträge aushandeln. Die IG Metall vor Ort hat das Wissen, die Erfahrung und die nötigen Kontakte. Zugleich solltest Du vertrauenswürdige Kolleginnen und Kollegen als Mitstreiter gewinnen, bis Ihr einen festen Kreis von einigen aktiven Beschäftigten habt. Zunächst solltet Ihr mit Hilfe der IG Metall einen Betriebsrat gründen, wenn Ihr noch keinen habt. Das ist eine wesentliche Voraussetzung. Ein Betriebsrat bietet Schutz, bekommt Informationen und hat verbriefte Mitbestimmungsrechte.

Wann kommt dann die IG Metall in den Betrieb und regelt das mit dem Tarifvertrag?
Wir als IG Metall können nicht einfach kommen und als Eure Stellvertreter Tarifverträge durchsetzen. Das funktioniert nicht. Ihr müsst mit unserer Hilfe selbst aktiv werden. Wir brauchen das Mandat der Mehrheit der Beschäftigten. Sie müssen hinter der Forderung nach einem Tarifvertrag stehen und uns als IG Metall den klaren Auftrag zur Verhandlung erteilen – indem sie selbst Mitglied der IG Metall werden und sich aktiv beteiligen.

Wie kann ich Kolleginnen und Kollegen für die Forderung nach einem Tarifvertrag und für die IG Metall gewinnen?
Wichtig ist, dass wir nicht sagen: Wir fordern einen Tarifvertrag. Das ist erst mal ein Fremdwort für die Beschäftigten. Sie müssen den Mehrwert für sich selbst sehen. Dazu müssen wir herausfinden, welche Themen und Probleme für die Beschäftigten am wichtigsten sind. Daraus entwickeln wir konkrete Forderungen – zum Beispiel „zwei Euro mehr Stundenlohn“. Oder „sicheres Weihnachtsgeld, mit dem ich rechnen kann“.

Wie geht Ihr dann den Weg zur Tarifbindung dann mit den Beschäftigten an?
Zunächst braucht es eine gute Vorbereitung mit einer strategischen Recherche. Wir setzen uns mit Euch zusammen und diskutieren: Wie ist eigentlich die Situation Eures Betriebs und Eure Verhandlungsposition als Belegschaft? Wie sind die Zahlen? Gibt es etwa weitere Standorte des Unternehmens, zu denen Ihr in Konkurrenz steht? Was wollen wir eigentlich? Wo können Konflikte auf dem Weg liegen? Und wo können wir am Ende mit dem Ergebnis landen?

Was sind die Voraussetzungen dafür, dass das mit der Tarifbindung auch klappt?
Drei Dinge sind wichtig: Aktivierung, Beteiligung und Solidarität. Wir als IG Metall geben Hilfe zur Selbsthilfe. Wir bieten Fachwissen durch unser Expertennetzwerk, und bieten Euch Schulungen an, wir organisieren den Prozess und die nötige Macht, um die Tarifbindung durchzusetzen, und wir bieten Absicherung, etwa durch unseren Rechtsschutz und unsere Streikunterstützung. Aber ich sage immer bei Versammlungen: Wir versprechen Euch nichts. Ein Tarifvertrag fällt nicht vom Himmel. Ihr müsst ihn selbst wollen und ihn Euch selbst erstreiten. Unser Motto dabei ist „MehrWert mit Tarif“.

Die Beschäftigten werden aktiv, formulieren ihre Forderungen und entscheiden selbst. Wie organisiert ihr das konkret?
Das beginnt erst einmal mit einem Aktivenkreis, bei dem etwa der Betriebsrat und weitere engagierte Beschäftigte dabei sind. Wir diskutieren Situation, Strategie und mögliche Forderungen. Das alles koppeln wir mit den Beschäftigten zurück und holen ihr Votum ein, in Gesprächen und auf Versammlungen. Dann wählen die IG Metall-Mitglieder im Betrieb eine Tarifkommission – in der Regel ist das der Aktivenkreis –, die die endgültigen Forderungen aufstellt und den Arbeitgeber zu Verhandlungen auffordert. Die Tarifkommission bestimmt das Vorgehen: Müssen wir den Konflikt eskalieren, brauchen wir einen Warnstreik – oder lassen wir als letzte Konsequenz unsere IG Metall-Mitglieder in einer Urabstimmung entscheiden, ob sie streiken wollen? Wenn es dann ein Verhandlungsergebnis gibt, muss das zunächst die Tarifkommission annehmen. Abschließend lassen wir dann noch einmal die Mitglieder abstimmen.

Gehen Auseinandersetzungen um die Tarifbindung auch mal schief?
Klar kann das auch schief gehen. Nämlich dann, wenn die Beschäftigten nicht aktiv beteiligt sind und die Gewerkschaft versucht, den Tarifvertrag als Stellvertreter der Beschäftigten durchzusetzen, nach dem Motto: Werdet mal alle schön Gewerkschaftsmitglied – und dann regeln wir das alles für Euch. Das klappt nicht. Und es klappt auch nicht, wenn die Beschäftigten nicht bereit sind, zusammenzuhalten, Konflikte einzugehen und notfalls auch einen Arbeitskampf zu führen, um dem Arbeitgeber klarzumachen: Du verlierst viel Geld, wenn Du uns nicht ernst nimmst. Einen Tarifvertrag zu bekommen, ist am Ende immer eine Machtfrage.

Du sagst, mit Tarifvertrag sind die Löhne 30 bis 40 Prozent höher. Überfordert das nicht die Unternehmen und treibt sie in die Pleite?
Das ist Unsinn. Die IG Metall hat noch nie einen Betrieb in die Pleite getrieben. Wir recherchieren alle Zahlen, ziehen Wirtschaftsfachleute zu Rate und schauen uns die wirtschaftliche Lage genau an. Wenn wir einen Tarifvertrag fordern, achten wir darauf, dass wir das Unternehmen nicht überfordern. In der Regel vereinbaren wir Abweichungen und Überleitungen, mit denen wir über Jahre in sinnvollen Schritten nach oben gehen. In der letzten Wirtschaftskrise haben wir sogar beobachtet, dass tarifgebundene Betriebe besser überleben. Sie finden bessere Lösungen, sind produktiver und wir sichern mit Tarifverträgen ja auch gezielt Beschäftigung. Und wann wenn nicht jetzt, in wirtschaftlich guten Zeiten, haben wir die besten Möglichkeiten, Tarifverträge durchzusetzen?

Besser mit Tarif
Neu auf igmetall.de

Newsletter bestellen