Tarif bei AUMA in Coswig
„Ohne Tarif kriegst Du nichts“

Endlich mehr Geld: plus 10,5 Prozent - nach Jahren ohne Lohnerhöhung und falschen Versprechungen. Die Beschäftigten des Industriegetriebebauers AUMA in Coswig bei Dresden haben sich mit Warnstreiks und der IG Metall ihren Tarif erkämpft. So haben sie es gemacht.

6. März 20236. 3. 2023


Jahrelang haben sie keine Lohnerhöhung bekommen. Doch jetzt haben sich die Beschäftigten beim Industriegetriebebauer AUMA Drives in Coswig bei Dresden mit Warnstreiks einen neuen Tarifvertrag erkämpft: Im März gibt es schon mal 1 Prozent mehr und eine Inflationsprämie von 1500 Euro netto. Im Juni kommen 5,2 Prozent obendrauf. Nächstes Jahr gibt es insgesamt nochmal 4,3 Prozent mehr Lohn und einmalig weitere 1500 Euro.
 

Vier Jahre ohne Lohnerhöhung

„Sie haben uns immer viel versprochen, doch dann kam gar nichts. Viele von uns haben schon überlegt, woanders hinzugehen“, berichtet Konstantin Linger. Mit Gewerkschaften hatte der 31-jährige Zerspanungsmechaniker früher nichts am Hut. Doch als er erfuhr, wie viel die Firma in den West-Standorten zahlt – für weniger Arbeitsstunden, da platzte ihm der Kragen und er ging zum Betriebsrat.

„Sie sagten: Komm doch mit zu einer Versammlung bei der IG Metall“, erzählt Konstantin. Dort trafen sie sich mit einer Handvoll anderer Aktiver bei AUMA – und sie erfuhren die Hintergründe. Etwa, dass der Arbeitgeber 2009 aus dem Tarif ausgestiegen war. Schnell war ihm klar: Die einzige Lösung ist, dass möglichst viele Mitglied der IG Metall werden und wir uns unseren Tarif wiederholen.


Viele hatten Angst

Aber wie? Viele hatten Angst. Was, wenn der Chef das erfährt? Andere sagten: Was bringt das, wenn ich in die IG Metall eintrete und bezahle – aber die anderen nicht? Da hatte Konstantin eine Idee: Er bastelte eine Urne aus Karton, ging durch die Halle und sammelte Mitgliedsscheine ein. „Ich diskutierte mit den Leuten und erklärte: Wir geben die Mitgliedsscheine nur ab, wenn wir die 50 Prozent knacken. Und bald musste ich gar nicht mehr reden. Die Kollegen redeten untereinander - und immer mehr warfen ihren Mitgliedsschein in die Urne.“

Der Organisationsgrad wuchs bald von 25 Prozent IG Metall-Mitgliedern im Betrieb auf 73 Prozent. Nicht nur die Beschäftigten in der Produktion sondern auch in den Büros traten ein.

„Wir haben verstanden, dass wir nur über den Betriebsrat keinen Hebel haben“, erklärt Maschinenbauingenieur Sebastian Lange. Klar hätte er woanders gute Jobaussichten. Aber er will hierbleiben, wie auch seine anderen Kollegen in der Konstruktion. „Bei uns im Elbtal sind die Arbeitsplätze für Ingenieure eben doch nicht so dicht gesät. Aber wir haben hier unsere Familien und Häuser. Das hat die Firma wohl schon die ganze Zeit ausgenutzt.“

Sebastian wurde von seinen Kolleginnen und Kollegen in die IG Metall-Tarifkommission bei AUMA gewählt. Sie stellten Forderungen auf, machten Druck mit Warnstreiks und holten sich ihren Tarifvertrag.

 

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Erster Warnstreik der Geschichte bei AUMA Drives in Coswig.
 

„Die Leute haben kapiert, was sie wert sind“

„Die Zeit war reif, die Leute haben kapiert, was sie wert sind“, meint Betriebsrat Udo Pfeiffer-Ohm, der vor rund 15 Jahren als Leiharbeiter zu AUMA kam. Jahrelang sind sie als Betriebsräte an den wechselnden Geschäftsführern einfach abgeprallt.

Dabei macht AUMA in Coswig gute Gewinne, als Entwickler und Hersteller von Industrie- und Spezialgetrieben, unter anderem für die Solarindustrie. Doch zunehmend hat die Firma Probleme Fachkräfte zu finden.

Dabei ist die Arbeit interessant – und die Beschäftigten sind hoch motiviert, meint Udo. „Auch während Corona haben wir voll durchgearbeitet, obwohl viele wie ich noch Homeschooling für ihre Kinder leisten mussten. Trotzdem gab es keinerlei Entgegenkommen vom Arbeitgeber, etwa wenn Du mal frei brauchtest.“

Ende 2020 gingen Udo und sein Betriebsratskollege Christian Blüher zur IG Metall in Dresden. Sie organisierten Treffen, überzeugten Beschäftigte in vielen Gesprächen und gewannen sie für die aktive Mitarbeit.


Gemeinsames Handeln setzte sich durch

Das war nicht immer einfach, erzählt Udo. Der 41-jährige Zerspanungsmechaniker ist überzeugter, aktiver Gewerkschafter und engagiert sich im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft, während andere Beschäftigte eine andere Meinung haben. „Aber alle haben eingesehen, dass Du nur durch Rumbrüllen nichts erreichst, sondern dass wir uns organisieren und gemeinsam engagieren müssen.“

Bald war der Betriebsrat nicht mehr der Treiber, sondern die Beschäftigten trieben selbst die Bewegung voran. Im November traten sie erstmals in ihrer Geschichte in den Warnstreik. Es folgte eine Welle von weiteren Warnstreiks. Sie demonstrierten auf den Straßen, schrieben offene Briefe an die Geschäftsführung und die sächsische Landesregierung.
 

Sicherheit nur mit Tarif

Besonders beeindruckend: Sie sind nicht auf das Angebot des Arbeitgebers kurz vor Weihnachten eingegangen, mit dem die Geschäftsführung ihre Forderung nach einem Tarifvertrag unterlaufen wollte: mehr Geld, inklusive 2000 Euro Sofort-Prämie, und die IG Metall sollte im Gegenzug draußen bleiben. „Wir hatten da schon ein paar Diskussionen“, erzählt Konstantin Linger. Allerdings war das Arbeitgeber-Angebot auch an bestimmte Kennzahlen gekoppelt, auf die sie nur wenig Einfluss haben. Zudem war allen schnell klar, dass eine „Regelungsabrede“ nicht annähernd die Sicherheit bietet, wie ein Tarifvertrag.

Als Reaktion auf ihre Absage sagte der Arbeitgeber spontan die Weihnachtsfeier ab. Und die Prämie war gestrichen. „Das hat uns nur noch mehr geärgert und motiviert“, erzählt Konstantin.

Im Januar willigte die Geschäftsführung schließlich in Verhandlungen mit der IG Metall-Tarifkommission ein. Mitte Februar erreichten sie den Durchbruch.

„Früher wäre mit den älteren Kollegen so etwas nicht möglich gewesen. Sie haben die ‚Wende‘ miterlebt und hatten Angst vor Jobverlust und Schließung“, erzählt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Christian Blüher, der zudem als Techniker Gruppenleiter in der Beschichtung ist. „Doch In den letzten zwei, drei Jahren hat sich unsere Struktur gewandelt. Die meisten sind jünger und wissen, was sie auf dem Arbeitsmarkt wert sind. Und wir hatten einfach die Schnauze voll, nachdem auch der dritte Geschäftsführer seine Versprechen nicht gehalten hat oder auf längere Zeiträume verwiesen hat.“
 

Weitere Verhandlungen um Sonderzahlungen und Arbeitszeit

Bis Oktober gehen die Verhandlungen weiter. Das haben sie vertraglich mit dem Arbeitgeber vereinbart. Dann geht es um die weiteren tariflichen Leistungen aus dem Metall-Tarif: unter anderem das Transformationsgeld, das Tarifliche Zusatzgeld (T-ZUG) mit Option auf freie Tage und die Altersteilzeit.

Konstantin Linger ist vor allem Zeit wichtig: die 35-Stunden-Woche, wie im Westen und immer mehr Ost-Betrieben. „Ich habe die Mauer nie erlebt“, erklärt der 31-jährige Zerspanungsmechaniker. „Und ich will vor allem Zeit mit meiner Familie. Wir haben ein zweijähriges Kind und bauen gerade ein altes Haus aus. Ich will nicht mein halbes Leben in der Firma verbringen.“

Hintergründe zur Tarifbewegung bei AUMA in Coswig bei der IG Metall Dresden und Riesa.

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