Belegschaft bei Voestalpine holt sich ihren Tarifvertrag
Nur der Tarifvertrag bringt mehr

In vielen Betrieben gelten keine Tarifverträge. Das hat für Beschäftigte handfeste Nachteile. Die IG Metall will, dass Tarifverträge wieder für mehr Beschäftigte gelten. Wie das geht, zeigte die Belegschaft bei Voestalpine.

10. Mai 201610. 5. 2016


Sie wollten weg vom Nasenfaktor. Weg von einem System, bei dem Geld willkürlich verteilt wurde. Sie wollten bei Voestalpine in Schwäbisch Gmünd zurück zum Tarifvertrag.

Die Krise der Autoindustrie Anfang der 1990er-Jahre brachte den Zulieferer in Schwierigkeiten. Die Geschäftsleitung erklärte: „Wenn wir überleben wollen, müssen wir sparen.“ Daraufhin stieg der Arbeitgeber 1993 aus dem Tarifvertrag aus. Den Beschäftigten blieben nur Fragmente. Mehr Geld gab es von da an nicht mehr für jeden und nur noch sporadisch.

Davon erzählten Kolleginnen und Kollegen Peter Yay-Müller von der IG Metall in Schwäbisch Gmünd, und sagten, dass sie das ändern wollen. „Statt Tarifbindung gab es Nasenbindung“, sagt Yay-Müller. Ein guter Betriebsrat, engagierte Vertrauensleute und eine wachsende Zahl von Beschäftigten, die auf die IG Metall setzten, haben mit ihm in den vergangenen fünf Jahren einiges gedreht.


Es gibt mehr

2013 schloss die IG Metall bei Voestalpine einen Haustarifvertrag ab und vereinbarte, Standards des Flächentarifvertrags wie das Weihnachtsgeld schrittweise wieder einzuführen. Im vergangenen Jahr einigten sich Arbeitgeber und Gewerkschaft auf die Einführung des Entgeltrahmentarifvertrags (Era).

Was das für die Beschäftigten heißt, hat Yay-Müller überschlagen: „Allein durch die Era-Einführung werden bei Voestalpine in den nächsten fünf Jahren mehrere Millionen Euro in die Geldbörsen der Beschäftigten umverteilt. Das ist eine gute Investition in das Know-how der Mitarbeiter und die Produktivität.“ In diesem Jahr erhalten die Beschäftigten bei Voestalpine zum ersten Mal das volle tarifliche Weihnachtsgeld.


Zurück zum Tarifvertrag

2010 hatte der Autozulieferer die Krise lange hinter sich gelassen. „Das Unternehmen war erfolgreich und machte Gewinne.“ Auch aufgrund von Entscheidungen für den Standort. In Schwäbisch Gmünd hat Voestalpine in eine spezielle Technik der Umformung investiert, die ihre Produkte für die Autohersteller attraktiv macht. Nur wer von den Investitionen profitiert, darüber gingen die Meinungen zwischen IG Metall und Unternehmen auseinander.

Das Unternehmen wollte über den Gewinn selber bestimmen. Die IG Metall wollte, dass von den Gewinnen nun auch mehr bei den mittlerweile rund 600 Beschäftigten in Schwäbisch Gmünd ankommt. Sie hatte ausgerechnet, dass nach über einem Jahrzehnt ohne Tariferhöhung, ohne Weihnachts- und Urlaubsgeld die Einkommen bis zu 1500 Euro im Monat unter den Tariflöhnen lagen. Diese Schere wollten Betriebsrat und IG Metall schließen, aber nicht nach Nasenfaktor und auch nicht nach einem eigenen Lohnsystem.

„Unsere Mitglieder wollten kein neues System, sie wollten ein System, das sich bewährt hat und das heißt Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie.“


Nur mit vielen Mitgliedern

Das Ziel stand fest. Der Weg auch: „Das schaffen wir nur mit vielen Mitgliedern. “ Doch damit stand es nach Jahren des Niedergangs nicht gut. Die Vertrauensleute gingen durch den Betrieb, sprachen mit Kolleginnen und Kollegen, rechneten ihnen vor, was ein Tarifvertrag bringt, und warum der Zeitpunkt richtig ist, ihn zurückzuholen. Die Argumente fielen auf fruchtbaren Boden. Vielen war nicht entgangen, dass es in anderen Betrieben mehr gab. Sie erinnerten sich an junge Kollegen, die nach der Ausbildung gingen und in einem Nachbarbetrieb anfingen, der Tarif zahlte. Die Zahl der Mitglieder verdoppelte sich innerhalb kurzer Zeit.


Nicht über Marke Eigenbau verhandelt

Mit so viel Zustimmung im Rücken gründete die IG Metall eine betriebliche Tarifkommission, um mit der Geschäftsleitung über einen Tarifvertrag zu verhandeln. Die Reaktion überraschte Yay-Müller nicht. „Sie sagten, wenn wir das wollten, seien Investitionen am Standort stark gefährdet. Wenn wir das wollten, seien Verlagerungen ins Ausland eine Option.“

Der Arbeitgeber habe dann vorgeschlagen, das Ganze ohne Gewerkschaft zu regeln. Doch die Mitglieder des Betriebsrats blieben bei ihrer Linie: „Das müssen wir als IG Metall verhandeln.“ Mit selbst gemachten Regeln hatten sie bei Voestalpine schlechte Erfahrungen gemacht. Sie gingen in die nächste Runde und riefen zu Warnstreik auf.


Alles stand still

Für die Beschäftigten war es der erste Streik nach 18 Jahren. Niemand wusste an diesem Tag, wie viele vors Tor gehen würden. Die Vertrauensleute gingen mit Megaphonen durchs Werk und riefen dazu auf, die Arbeit niederzulegen. Mit Erfolg: „Unsere Vertrauensleute hatten es geschafft, dass alle Bänder an diesem Tag stillstanden.“

Sie hatten nicht irgendeinen Tag für ihren Streik ausgewählt. Zum gleichen Zeitpunkt lief in der Metall- und Elektroindustrie die Tarifrunde. Vor dem Tor des Autozulieferers versammelten sich Kolleginnen und Kollegen aus drei tarifgebundenen Betrieben aus der Nachbarschaft gemeinsam mit den Voestalpine-Beschäftigten zur zentralen Kundgebung. Die Unterstützung gab ihnen Schwung für ihr Anliegen.


Stück für Stück zum Tarifvertrag

Kurz darauf war das erste Ziel erreicht. 2012 bekamen die Beschäftigten bei Voestalpine das erste Mal die Erhöhungen aus der Tarifrunde. Seit 2013 haben sie einen Haustarifvertrag, der wesentliche Teile der Flächentarife anerkennt. Stück für Stück verhandelt die betriebliche Tarifkommission weiter. Im Moment geht es um die Umsetzung der Altersteilzeit und im nächsten Jahr wollen sie über zusätzliches Urlaubsgeld verhandeln.

Peter Yay-Müller hält mehrere Dinge für entscheidend, um sich einen Tarifvertrag zu erkämpfen: einen guten Betriebsrat, engagierte Vertrauensleute, und eine Belegschaft, die auf die IG Metall vertraut und sich organisiert. Ein Selbstläufer sei das Ganze bei Voestalpine nicht.

Das Unternehmen ist der drittgrößte Betrieb in der Region, ein Leuchtturm für Innovation und jetzt auch ein Beispiel für andere Belegschaften. Seit die Beschäftigten des Autozulieferers sich ihren Tarifvertrag zurückgeholt haben, klopfen bei Peter Yay-Müller von der IG Metall in Schwäbisch Gmünd immer wieder Betriebsräte an und wollen wissen, wie sie zu einem Tarifvertrag kommen. Auch sie haben genug von Nasenbindung und schlechter Bezahlung.

Besser mit Tarif
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