Arbeitszeitgesetz
Streit um Acht-Stunden-Tag: Das sind die größten Mythen zur Arbeitszeit

Den Acht-Stunden-Tag haben Gewerkschaften hart erkämpft. Nun soll er abgeschafft werden. Doch längeres Arbeiten schadet der Gesundheit und bringt der Wirtschaft wenig. Alles andere ist ein Mythos. Und davon gibt es beim Thema Arbeitszeit einige.

4. Juli 20254. 7. 2025


Schieben Sie gerne 12-Stunden-Schichten? Wer diese Frage mit „Ja!“ beantwortet, könnte demnächst Grund zur Freude haben. Die Bundesregierung will die tägliche Höchstarbeitszeit – in der Regel acht Stunden – abschaffen. Stattdessen soll es eine wöchentliche Grenze geben.

Die Befürworter dieser Idee sagen: Mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit ist gut für Unternehmen und Beschäftigte. Aber stimmt das auch?

Wir machen den Mythen-Check:


Behauptung: „Die Beschäftigten wollen länger arbeiten“

Fakt ist: Für diese Behauptung gibt es kaum Anhaltspunkte. Es mag Menschen geben, die gerne zwölf oder 14 Stunden ackern, um dann zusätzliche freie Tage zu haben. Doch die Regel ist das sicher nicht. Eine aktuelle Befragung zeigt: 73 Prozent der Beschäftigten sind gegen eine unbegrenzte tägliche Arbeitszeit. 84 Prozent stimmen der Aussage zu, dass eine klare Begrenzung vor Überarbeitung schützt.


Behauptung: „12-Stunden-Schichten sind für die Gesundheit kein Problem“

Fakt ist: Arbeiten ohne Grenzen macht krank. Überlange Arbeitszeiten stressen Körper und Psyche. Krankheitsgefahr, Unfallgefahr und Schlafstörungen nehmen nach acht Stunden deutlich zu. Besonders Schichtarbeit ist sehr belastend für den menschlichen Körper. Der Acht-Stunden-Tag schützt die Gesundheit von Beschäftigten. Er basiert auf Erkenntnissen aus der Arbeitsmedizin. Auch Gerichte betonen deshalb immer wieder: Das Arbeitszeitgesetz ist Gesundheitsschutz.

Mehr zum Thema Arbeitszeit

Behauptung: „In Deutschland wird zu wenig gearbeitet“

Fakt ist: Vergleiche mit anderen Ländern sind oft irreführend. Beispiel: Eine Statistik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die häufig zitiert wird. Die Statistik zeigt, wie viele Arbeitsstunden Beschäftigte im Durchschnitt pro Jahr leisten. Deutschland liegt dabei hinten. Doch dazu muss man wissen: Die OECD weist selbst darauf hin, dass die Daten nicht geeignet sind, um Länder in konkreten Jahren miteinander zu vergleichen.

Um zu beurteilen, wie viel in Deutschland gearbeitet wird, sind andere Zahlen wichtig. Zum Beispiel das Arbeitsvolumen – also die Zahl aller geleisteten Arbeitsstunden. Diese Zahl liegt auf Rekordniveau. 2023 haben Beschäftigte in Deutschland rund 54,6 Milliarden Arbeitsstunden geleistet.1991 waren es noch 52,2 Milliarden Stunden. Auch die Zahl der Erwerbstätigen erreichte zuletzt Höchststände.

Beide Rekordwerte haben denselben Hintergrund: Heute arbeiten mehr Frauen als früher. Allerdings arbeitet fast jede zweite erwerbstätige Frau Teilzeit – oft unfreiwillig, zum Beispiel wegen fehlender Kinderbetreuung. Die hohe Teilzeitquote senkt die durchschnittliche Arbeitszeit pro Kopf.

Hinzu kommt: Beschäftigte in Deutschland leisten jedes Jahr hunderte Millionen Überstunden. Mehr als die Hälfte davon unbezahlt.


Behauptung: „Länger arbeiten kurbelt die Wirtschaft an“

Feiertag streichen + Arbeitszeit ausweiten = Wirtschaftswachstum. So einfach stellen sich das manche vor. Mit der Wirklichkeit einer modernen Volkswirtschaft hat das wenig zu tun.

Unternehmen planen die Abarbeitung ihrer Aufträge so, dass sie möglichst an Werktagen erledigt werden. In der Industrie fehlt es derzeit an Aufträgen – und damit vielerorts auch an Arbeit. Weniger Feiertage würden an der schlechten Auftragslage nichts ändern. In manchen Branchen würden gestrichene Feiertage ein Minus bedeuten. Etwa im Tourismus und der Gastronomie.

Insgesamt gibt es keinen Beleg dafür, dass die Abschaffung von Feiertagen die Wirtschaftsleistung erhöht.

Die Abschaffung des Acht-Stunden-Tags als Normalfall könnte sogar kontraproduktiv sein: Weil überlange Arbeitstage krank machen können, könnte am Ende weniger statt mehr Arbeitskraft zur Verfügung stehen.

Grundsätzlich ist nicht die Länge der Arbeitszeit entscheidend, sondern die Produktivität. Also die Frage, wieviel Wohlstand pro Arbeitsstunde geschaffen wird. Für eine hohe Produktivität brauchen wir Zukunftsinvestitionen, gute Arbeitsbedingungen und gute Aus- und Weiterbildung. Vor allem beim letzten Punkt schlummert ein riesiges Potenzial: Knapp drei Millionen junge Menschen unter 35 Jahren haben keinen Berufsabschluss.


Behauptung: „Das deutsche Arbeitszeitgesetzt ist unflexibel“

Fakt ist: Das Arbeitszeitgesetz bietet schon heute viel Flexibilität. Es erlaubt Zehn-Stunden-Tage, solange diese Mehrarbeit innerhalb von sechs Monaten ausgeglichen wird. Sogar Zwölf-Stunden-Tage sind für bestimmte Branchen und Tätigkeiten möglich. Auch Tarifverträge bieten eine Fülle von Möglichkeiten, Arbeitszeit flexibel zu regeln. Gewerkschaften und Betriebsräte sorgen dafür, dass die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden – und die Arbeitszeiten nicht einseitig vom Arbeitgeber diktiert werden.


Behauptung: „Die EU-Richtlinie zur Arbeitszeit bietet mehr als genug Schutz“

Fakt ist: Die sogenannte EU-Arbeitszeitrichtlinie begrenzt die wöchentliche Arbeitszeit auf 48 Stunden. Für die tägliche Arbeitszeit ist keine direkte Begrenzung vorgesehen, sondern nur eine tägliche Ruhepause von mindestens elf Stunden am Stück. Die maximal 48 Stunden müssen laut Richtlinie innerhalb von vier Monaten im Durchschnitt erreicht werden. Nach deutschem Recht sogar erst innerhalb von sechs Monaten.

Arbeitswochen mit deutlich mehr als 48 Stunden wären also über Wochen oder sogar Monate möglich. Aus Sicht der Arbeitsmedizin eindeutig ein Gesundheitsrisiko für Beschäftigte.


Behauptung: „Der Acht-Stunden-Tag hält Eltern vom Arbeiten ab“

Kind zur Kita bringen, arbeiten, Kind abholen, versorgen und ins Bett bringen – und dann bis Mitternacht weiterarbeiten. So wünschen sich angeblich viele Eltern ihren Alltag. Abgesehen davon, dass das nur bei Schreibtisch-Berufen funktioniert: Die Realität der meisten Familien sieht anders aus. 97 Prozent der Beschäftigten wollen möglichst um 18 Uhr Feierabend machen.

Zersplitterte Arbeitstage – zum Beispiel Weiterarbeiten am Abend nach längerer Unterbrechung – führen zu Stress und kurzen Ruhezeiten. Die wenigsten Empfinden das als Bereicherung. Für die meisten ist es eine Notlösung.

Ein Ende des Acht-Stunden-Tags hilft da wenig. Viel wichtiger wären bessere Kinderbetreuung und Wege aus der „Teilzeitfalle“.

Neu auf igmetall.de

Newsletter bestellen