Agile Arbeitsmethoden gestalten
„Es geht um echte Ermächtigung der Beschäftigten“

Immer mehr Beschäftigte arbeiten mit agilen Methoden. Ein Trend, der aus der Softwareentwicklung in sämtliche Büros schwappt. Es geht darum, Arbeit neu zu organisieren. Richtig gestaltet, werden die Ziele eines Unternehmens und der Beschäftigten gleichermaßen erfüllt - wohlgemerkt richtig gestaltet.

22. November 201622. 11. 2016


Immer mehr Beschäftigte sehen sich mit sogenannten agilen Methoden konfrontiert. Auch auf der 8. Engineering- und IT-Tagung bei Bosch in Renningen sind die neuen Arbeitsformen ein Thema. Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall, stellte vor rund 300 Teilnehmern klar: „Agiles Arbeiten setzt den Willen zu einem umfassenden Kulturwandel in den Unternehmen voraus.“

 

Der umfassende Kulturwandel gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen der neuen Arbeitsformen. Dabei steht viel auf dem Spiel. Warum dem so ist, welche Stolpersteine es noch gibt, und was es mit dem Trend der „agilen Methoden“ genau auf sich hat – der Blick in ein Unternehmen rund 200 Kilometer von der Engineering-Tagung liefert Antworten. Antworten darauf, warum es so wichtig ist, den Wandel im Sinne der Beschäftigten zu gestalten:


Agiles Arbeiten – ein strategischer Trend

Anfangs lief alles gut, erinnert sich Thorsten Hermann (Name geändert), der als Programmierer in einem Softwarekonzern im Rhein-Main-Gebiet tätig ist. Sein Unternehmen gehörte zu den Vorreitern, als es vor rund sieben Jahren sogenannte agile Methoden einführte. Mit ihnen werden Projekte in kleine Arbeitspakete aufgeteilt. Das macht komplexe Unterfangen nicht nur übersichtlicher, es ermöglicht auch, flexibel auf geänderte Anforderungen oder Kundenwünsche zu reagieren. Ein strategischer Vorteil, der sich vor allem in der schnell wandelnden Technikwelt auszahlt. Nicht zuletzt sollen agile Methoden den Beschäftigten gute Arbeit ermöglichen, Teams stärken und starre Hierarchien sowie Bürokratie zurückdrängen. Soweit die Theorie. Eine dieser agilen Methoden nennt sich Scrum. Das Herzstück von Scrum sind sich selbst organisierende Teams. Diese müssen beispielsweise in der Lage sein, Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen, damit der Arbeitsfluss nicht durch Flaschenhälse gebremst wird. Daneben kalkulieren die Teammitglieder gemeinsam den Aufwand einzelner Arbeiten, um zu einer realistischen Einschätzung zu kommen. Die Arbeitspakete werden dann einvernehmlich auf allen Schultern verteilt.


Neue Rollen müssen wirklich gelebt werden

„Ich bin nicht gegen Scrum“, stellt Thorsten Hermann klar. Die Gedanken dahinter seien richtig und die Werte erstrebenswert. Die erste Maxime des sogenannten agilen Manifests, auf das sich viele Programmierer verständigt haben, lautet gar: Menschen vor Prozesse. Doch solche Regeln müssen gelebt und durchgehalten werden. Hermanns Arbeitgeber engagierte zwar einen Scrum-Coach, der das System einführte und Prozesse und Beschäftigte betreute. Aber als dieser wieder weg war, weichte der Arbeitgeber Regeln auf, die für das Funktionieren wichtig sind. „Die Veränderung kam schleichend“, erinnert sich Hermann.

Rückblickend sei der wohl größte Fehler gewesen, klassische Vorgesetzte zu sogenannten Scrum-Mastern zu machen. Scrum-Master haben eigentlich die Aufgabe, für das Team Probleme aus dem Weg zu räumen, also den Arbeitsfluss am Laufen zu halten. Doch dieser Rolle kamen nur wenige Chefs nach. Stattdessen nutzten die Führungskräfte ihre Position innerhalb der Teams, um Druck auszuüben. Beispielsweise drängten sie die Mitglieder, von ihren realistischen Aufwandsschätzungen nach oben abzuweichen.


Agile Methoden müssen gestaltet werden

Heute laufen die Arbeitszeiten völlig aus dem Ruder, nötige Erholungsphasen gibt es nicht mehr, sagt Hermann. Es gehe nur noch darum, Arbeitspakete abzuschließen, um dann gleich die nächsten aufzumachen. Und ständig werden „neue von der Seite in die Prozesse gekippt. Das ist natürlich nicht mehr im Sinne des Erfinders.“ Auch die für das agile Arbeiten nötige Transparenz werde vom Arbeitgeber zur Leistungskontrolle missbraucht. Empowerment des Teams? Hermann muss lachen. „Wir sind nur noch fremdbestimmt“, sagt er und schließt an: „Erst hat die Stimmung gelitten, dann unsere Innovationskraft“. Spätestens an dieser Stelle kommt der Bumerang auch auf das Unternehmen zurück.

So muss es nicht laufen, weiß Tobias Kämpf, Wissenschaftler am Institut für sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München: „Agile Methoden bieten den Beschäftigten viele Chancen.“ Doch sie seien eben kein Selbstläufer, etwas, das funktioniert, weil es auf einem Strategiepapier steht. Agile Methoden müssten nachhaltig gestaltet werden. „Dass die Rolle des Scrum-Masters falsch besetzt wird, ist ein häufiger Fehler“, sagt Kämpf. Passiert dies, fehlt dem Team die wichtige Schutzfigur. „Nach meinen Erfahrungen sind Unternehmen erst einmal begeistert, wenn sie von all den Methoden und Techniken hören, die große Transparenz versprechen, sagt der Arbeitssoziologe. Mit dem Empowerment tun sich die Meisten dann sehr schwer.“ Doch gerade diese Kultur im Unternehmen zu verankern sei wichtig, um eine Balance zu erreichen, von der alle profitieren. Gelinge es, Teams zu „empowern“, könnten mit agilen Methoden gute Arbeitsbedingungen geschaffen werden.


Mit Praxislaboratorien zu guter Arbeit

Genau das hat man sich beispielsweise beim Technologie-Konzern Bosch vorgenommen. Am Standort Albstatt hat Kämpf mit seinen Kollegen vom ISF ein Praxis-Laboratorium zur Gestaltung guter Arbeit eingerichtet. Betriebsräte, Beschäftigte, Personalabteilung und Wissenschaftler arbeiten sozialpartnerschaftlich Hand in Hand. Sie erproben verschiedene agile Methoden wie Planning-Poker, Sprints, Reviews und Stand-up-Meetings. Betriebsrat Helmut Meyer sagt: „Unser Ziel ist, den Beschäftigten gute Arbeit zu ermöglichen.“

Das Management habe zugesagt, den Wandel gemeinsam zu gestalten. Der Konzernspitze sei offenbar klar, dass das Gelingen des Wandels für die Zukunftsfähigkeit von großer Bedeutung ist. Schließlich werden Geschäftsfelder wie die Industrie 4.0 und allgemein die Informationstechnologie für Bosch immer wichtiger. Auf diesen Feldern ist der Fortschritt rasant. „Geschwindigkeit und Komplexität erfordern neue Arbeitsweisen“, weiß der Betriebsrat. Wer nicht flexibel entwickelt, läuft Gefahr, veraltete Produkte auf den Markt zu bringen. „Daneben erwarten junge Talente moderne Arbeitsbedingungen.“ Die Arbeitsbedingungen seien vielen „High Potentials“ mindestens so wichtig wie eine gute Bezahlung.


Echtes Empowerment?

Natürlich muss nicht nur der Nachwuchs mitgenommen werden, sondern alle Beschäftigten. „Wichtig ist, dass wir mit den Leuten reden“, sagt Meyer. Dies klinge vielleicht banal, doch nur so sei sichergestellt, dass die Beschäftigten ihre Sorgen artikulieren – und die Probleme bei der Gestaltung berücksichtigt werden. Die meisten Mitarbeiter seien zwar grundsätzlich optimistisch, hätten aber gleichzeitig viele Fragen, wie denn dieses und jenes funktionieren solle. „Viele bewegt, wie sich ein Scrum-Master in einem Unternehmen behaupten kann, in dem hierarchische Strukturen vorherrschen“, sagt Meyer. Dies stehe auch im Fokus seiner Arbeit: „Wie schaffen wir echtes Empowerment des Teams?“ Nicht zuletzt eine Herausforderung für die Mitbestimmung.

Absehbar sei, dass es die eine Lösung nicht geben wird. Vielleicht könnten Betriebsvereinbarungen einmal einen guten Rahmen vorgeben. Aber an diversen Stellen werden individuelle Anpassungen notwendig sein, ist sich Meyer sicher. „Hier ist wichtig, bei den Beschäftigten Vertrauen zu schaffen. Vertrauen darin, dass wir bei Problemen gemeinsam korrigieren können. Aber auch Vertrauen, dass die Leute nicht am eigenen Ast sägen.“ Denn natürlich können agile Methoden zur Rationalisierung missbraucht werden. Schlaue Arbeitgeber nutzen eventuell eingesparte Zeit hingegen dafür, den Beschäftigten kreative Arbeit zu ermöglichen – das wohl größte Kapital in digitalen Branchen. „Natürlich sind wir noch lange nicht am Ziel“, weiß Betriebsrat Meyer. Doch das sozialpartnerschaftliche Vorgehen lasse ihn positiv in die Zukunft schauen.


Mitbestimmung als zentrale Voraussetzung

Zurück auf der Engineering- und IT-Tagung bei Bosch in Renningen. Vor den rund 300 Technikexperten stellt Christiane Benner klar: „Die Mitbestimmung ist auch im Zeitalter der Digitalisierung kein Beiwerk, keine Zutat, sie ist die zentrale Voraussetzung für ihre erfolgreiche Gestaltung.“ Die Mitbestimmung ein Innovationskiller? Auch dieser Arbeitgeberthese erteilt Benner eine Absage. Im Gegenteil: Nur über die Mitbestimmung ließen sich kreative Freiräume für die Beschäftigten sichern – die Voraussetzung für innovatives Arbeiten.

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