Gerade für Schichtarbeiter wichtig
Mehr Freiheit bei der eigenen Freizeit

Michael Grünert ist Schichtarbeiter. Viele Nächte arbeitet er durch, füllt Kisten nach und macht Qualitätsprüfung. Eine große Belastung. Sein Wunsch: Mehr Freiheit über die eigene Freizeit. Und er ist sich sicher: Auch Unternehmen würden von besseren Arbeitszeitregelungen profitieren.

4. Dezember 20174. 12. 2017


Vor vier Jahren fuhr Michael Grünert noch Lkw. Damals arbeitete er auch nachts. Aber es war anders als die Nachtschichten, die er heute beim Zulieferer Norma Group im thüringischen Gerbershausen schiebt. „Wenn ich zu müde wurde, konnte ich anhalten und schlafen. An der Maschine geht das nicht“, sagt der 43-Jährige. Seit vier Jahren arbeitet er bei Norma Group im Drei-Schicht-Betrieb. Grünert findet Schicht nicht grundsätzlich schlecht. Sein jüngster Sohn ist fünf. Nach der Frühschicht holt er ihn vom Kindergarten ab und unternimmt mit ihm noch was. Vor der Spätschicht erledigt er Dinge, für die sich Nicht-Schichtarbeiter schon mal einen Tag frei nehmen müssen, Behördengänge oder Arzttermine. Nur die Nachtschicht, darauf könnte der Vater von drei Kindern gut verzichten.

 

 

Große Belastung: Auf die Nachtschicht könnte Michael Grünert gut verzichten.


Schlafstörungen und Appetitlosigkeit

Acht Stunden steht er nachts an der Maschine, füllt Kisten nach und prüft die Qualität. Dazwischen eine halbe Stunde Pause. Hunger hat er nachts fast nie. Oft fragt er sich, warum er überhaupt etwas mitgenommen hat. In der Pause schüttet er sich kaltes Wasser ins Gesicht, um die nächsten vier Stunden wach zu bleiben. Wenn er morgens ins Auto steigt, kann er oft kaum die Augen aufhalten und zuhause kommt er nicht zur Ruhe, geht um neun ins Bett, steht um eins wieder auf.

Die Norma Group ist an den Flächentarifvertrag gebunden und stellt vor allem Schlauch- und Rohrschellen sowie Kupplungen zum Verbinden von Rohren und Schellen für Abgasstränge her. Betriebsrat Swen Niekler weiß, dass es ihnen besser geht als vielen anderen in der Region. „Wir bekommen Tariflohn, der Laden brummt. Selbst die Krise 2008/2009 haben wir kaum gespürt“, sagt Niekler. „In allem, was fährt, fliegt oder schwimmt, findet man Teile von uns.“ Die Arbeit wächst, nur die Belegschaft nicht. Um mehr Arbeit mit derselben Zahl an Köpfen zu schaffen, arbeiten sie seit Januar auch samstags in der Frühschicht. „Wenn es nicht reicht, wird auch sonntags gearbeitet“, sagt Niekler, „wir nennen es rollende Woche.“


Hart erkämpfte Betriebsvereinbarung

Die Schicht am Samstag ist freiwillig. Michael Grünert übernimmt sie immer wieder. „Samstags habe ich mehr Ruhe an der Maschine und dafür kann ich an einem anderen Tag frei nehmen.“ Der Betriebsrat hat hart dafür gekämpft, dass Grünert und seine Kollegen nach ihren Wünschen einen Tag freinehmen können. Dank einer Betriebsvereinbarung gibt es ein flexibles Konto, aus dem Beschäftigte Stunden entnehmen können. Früher bestimmte der Schichtplan, wann sie frei nehmen. Heute bestimmen sie es selbst ― jedenfalls meistens. „Es hängt natürlich auch von der Abteilung ab, wie gut es klappt“, sagt Niekler.

Wenn die beiden es sich aussuchen könnten, wie sie arbeiten, dann sehe ihre Woche so aus: sieben Stunden Früh- oder Spätschicht von montags bis freitags und keine Mehrarbeit. Ohne Nachtschichten fehlten Grünert zwar die Zuschläge, aber darauf würde er verzichten. „Bei der Arbeitslosenversicherung und in der Rente zählen sie ohnehin nicht mit“, sagt der 43-Jährige. Auch jüngeren Kolleginnen und Kollegen ist Geld längst nicht mehr das allerwichtigste, sagt Niekler. Sie wollen etwas mit Freunden unternehmen oder mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen.


Freiheit über eigene Freizeit gerade jungen Fachkräften wichtig

Aber einfach mal eine Zeit lang weniger Stunden arbeiten, geht nicht so ohne weiteres. Gewohnheiten halten sich hartnäckig. Es sei eben schon immer so gewesen, dass an einem Tag an einer Maschine nur drei Leute arbeiten. „Aber warum es nicht mal anders machen?“, fragt Niekler. „Dann arbeiten halt vier oder fünf Leute an einer Maschine. Man muss es nur organisieren.“ Niekler sagt das nicht leichtfertig. Er ist Teamleiter und müsste am Ende die Dienstpläne ausarbeiten, müsste die Lücken füllen, zwischen denen, die vielleicht fünf Stunden arbeiten wollen und denen, die acht Stunden da sind.

Dienstpläne kann Niekler austüffteln. Schwieriger sei es schon, mehr Leute zu bekommen, wenn einige kürzer arbeiten. „Ich habe ja keinen im Schrank, den ich bei Bedarf rausholen kann“, sagt Niekler. Trotz Tariflohn ist es nicht einfach, Fachkräfte zu finden. „Es hat sich halt herumgesprochen, dass wir rollende Schichten haben“, sagt Niekler. „Gerade für junge Menschen ist Freizeit wichtig.“ Würden Unternehmen, ihnen mehr Freiheit über ihre Freizeit geben, ist Niekler sich sicher, wären sie als Arbeitgeber für Fachkräfte attraktiver.

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