Südfrankreich: Arbeiter übernehmen Tee-Fabrik
Tee-Arbeiter besetzen ihre Fabrik – und übernehmen

Der Unilever-Konzern wollte den Betrieb im südfranzösischen Gémenos dichtmachen. Das ließen sich die Arbeiter nicht gefallen und besetzten 1336 Tage lang ihre Fabrik. Am Ende übernahmen sie den Betrieb. Jetzt machen sie als Arbeiterkooperative ihren eigenen Tee „1336“.

29. März 201629. 3. 2016


Wie war das für Euch, als Unilever die Schließung Eurer Fabrik ankündigte? Kam das überraschend?

Olivier Leberquier: Wir hatten bereits Anzeichen gespürt. Kurz zuvor hatten wir einen Konflikt mit einem Streik. Daher haben wir nicht ausgeschlossen, dass es eine Restrukturierung geben könnte, die einige Arbeitsplätze kostet. Aber dass dann die gesamte Fabrik geschlossen werden sollte, hat uns kalt erwischt.


Aus Eurer Sicht war die Schließung nicht nachvollziehbar? Wie sahen denn die Zahlen aus? Glaubt Ihr, Unilever hat Euch absichtlich ausbluten lassen?

Unilever fährt satte Gewinne ein, da die Preise für die Endverbraucher steigen, die Rohstoffpreise jedoch nicht. Uns wollten sie schlicht schließen, um ihre Profite weiter zu maximieren. Wir haben schon seit 2002 beobachtet, dass sie sich aus Gémenos zurückziehen wollten. Früher waren wir die einzige Fabrik weltweit, die bestimmte natürliche Aromen produzierte. Die haben sie uns weggenommen. Und überall haben sie neue Maschinen installiert, nur nicht in Gémenos. Nach und nach mussten wir Kapazitäten an andere Werke abtreten. Unsere Produktion hat sich halbiert – von 6000 auf 3000 Tonnen im Jahr.


Und warum habt Ihr Euch entschieden, zu kämpfen und die Fabrik zu besetzen? Hat Euch Unilever keine Abfindungen angeboten?

Unilever bot an, dass ein Teil der Belegschaft in die Werke in Brüssel und Polen wechseln kann ― in Polen für 6000 Euro Jahresgehalt. Ein Witz. Wir wussten ja bestens über das Unternehmen und die Zahlen Bescheid. Klar gab es auch einige, die wollten, dass wir über Abfindungen verhandeln. Der Großteil hat jedoch gesagt: Alles dicht, sofort, das gibt’s doch nicht. Daher blieb uns nur der Kampf.


Und Ihr habt es geschafft, nach fast vier Jahren Kampf. Ihr habt nicht nur die Schließung verhindert, sondern führt die Fabrik selbst als Kooperative. Wann kam Euch die Idee dazu?

Wir haben schon nach wenigen Wochen beschlossen, dass wir ein alternatives Projekt starten und zurück zu natürlichen Aromen wollen. Das Konzept haben wir dann über die Jahre behutsam entwickelt und Kontakt zu Lieferanten aufgebaut. Unter anderem sind wir nach Vietnam gefahren, um uns dort eine Landarbeiterkooperative anzusehen, mit der wir heute kooperieren.


Zuerst musstet ihr ja Euren Kampf gewinnen. Die Besetzung war doch illegal. Wie habt Ihr erreicht, Öffentlichkeit, Behörden und Gerichte auf Eure Seite zu bringen?

Klar war die Besetzung illegal. Am Anfang hielten uns alle noch für Spinner. Aber das war die Voraussetzung dafür, dass wir den Abtransport der Maschinen verhindern und später auf legalem Wege unsere Fabrik retten konnten. Wir haben dann viele öffentliche und medienwirksame Aktionen gemacht. Wir haben eine Theatergruppe gegründet und eine CD aufgenommen. Vor allem jedoch hatten wir einen guten Anwalt, gute Expertisen und gute Argumente. In den ersten Instanzen haben wir vor Gericht noch verloren, doch das Gericht in Nanterre (bei Paris) hat dann für uns entschieden.


Die Verwaltung der Metropolregion Marseille hat sogar Euer Fabrikgelände zwangsweise von Unilever zurückgekauft ― und Euch damit entscheidend geholfen. Wie ging denn das?

Wichtig war dabei, dass die Regierung in Paris gewechselt hat. Die Sarkozy-Regierung hat die Behörden vor Ort noch blockiert. Der heutige Präsident Hollande jedoch war von Anfang an auf unserer Seite. Als er Präsident war, hat er uns im Elysée-Palast in Paris empfangen und sich für uns eingesetzt. Und schließlich hat die Verwaltung der Metropolregion Marseille unser Fabrikgelände aufgekauft – und wir konnten übernehmen.


Wie hat der Unilever-Konzern reagiert?

Sie haben drei Sozialpläne zur Schließung und zu den Entlassungen vorgelegt, die wir jedoch alle vor Gericht abwenden konnten. Als sie dann dazu verurteilt wurden, uns wieder einzugliedern, haben sie sich geweigert. Sie schickten uns erst Anwälte, dann Schläger mit Rohrstöcken.


Unilever wollte die Gerichtsurteile nicht anerkennen?

Das ist ein internationaler Konzern. Die scheren sich doch nicht um den Staat. Wenn die was wollen, ziehen die das durch – auch wenn es sie Millionen kostet.


Am Ende haben sie Euch dann doch die Maschinen und die Fabrik überlassen – und Euch obendrein 20 Millionen für Eure neue Kooperative „Scop Ti“ gezahlt. Wie kam das?

Der Druck wurde zu groß. Das Image von Unilever war zunehmend beschädigt. Sie haben dann Kontakt zu uns aufgenommen. Drei Jahre lang hatten wir keine einzige Verhandlung mit Unilever. Doch wir haben sie dazu gezwungen zu verhandeln.


Wie habt Ihr Euch gefühlt, als Ihr endlich gewonnen habt? Und wie kam das in der Öffentlichkeit an?

Für viele war das eine große Überraschung. Am Anfang haben uns die Medien noch als Spinner behandelt. Aber wir haben nie gezweifelt, dass wir eine Chance haben. Klar ging Stimmung während der 1336 Tage auf und ab. Es gab immer wieder Leute, die gingen. Einige hatten nicht die Unterstützung ihrer Familien und ihres Umfelds, die beispielsweise ich hatte. Es gab Scheidungen. Und einige sind in ein Loch gefallen. Aber als wir dann zur letzten Verhandlung gingen, waren alle zusammen – und am Abend gab es dann ein großes Fest.



Der Tee der Arbeiterkooperative „Scop Ti“ (Société Coopérative Ouvrière Provençale de Thés et Infusions) heißt „1336“. Das Motto : „engagé sur l’humain“ – „dem Menschen verpflichtet“, mit rein natürlichen Zutaten aus fairem Handel.

Erste französische Supermärkte haben „1336“ in ihr Programm aufgenommen. In Deutschland ist der Tee noch nicht erhältlich, sondern nur über einen französischen Internethändler „maxicoffee.com“. Ende März startet „Scop Ti“ ihre zweite Produktlinie.

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