Schrott und Recycling
43 Tage im Streik: „Schrotter“ bei SRW ziehen durch

Seit 43 Tagen sind sie im Streik: Die rund 180 Beschäftigten von SRW metalfloat in Espenhain bei Leipzig wollen endlich einen Tarifvertrag. Für unter 2000 Euro netto im Monat recyceln sie Schrott – bei Kälte, Hitze und Lärm, in drei Schichten, mit Metallstaub in der Lunge. So nicht.

21. Dezember 202321. 12. 2023


Die Feuertonnen vor der Werkseinfahrt fallen schon fast auseinander, nach 43 Tagen Streik. Das Streikzelt dahinter ist in Schichten Tag und Nacht besetzt. Notfalls wollen sie auch bis Ostern weiterstreiken. Die Beschäftigten von SRW metalfloat in Espenhain bei Leipzig wollen endlich einen Tarifvertrag. Nicht nur wegen des Geldes (oft weniger als 2000 Euro im Monat): Sie wollen endlich wertschätzend und auf Augenhöhe behandelt werden.

Mittlerweile zeigt ihr Streik auch Wirkung: Die Lagerbestände an Metallen, die sie aus dem Schrott heraussortieren und recyceln, sind langsam leer. Das Stahlwerk Riesa hat bereits nachgefragt, wo die Lieferungen bleiben. Und auch das Aluminium, das sie an BMW, Porsche und VW liefern, geht zur Neige.

Doch nach wie vor weigert sich ihr Arbeitgeber zu verhandeln. SRW hat Wachleute mit Hunden angeheuert, die ums Werk herum patrouillieren, um den Streik zu stören. Das ärgert sie besonders: Ihr Arbeitgeber behandelt seine eigenen Beschäftigten wie kriminelle Randalierer.

Ein Tarifvertrag wäre auch gut für das Unternehmen. SRW findet kaum noch Leute. Viele sind in den letzten Jahren weggegangen. „Dabei braucht SRW hier wirklich Fachkräfte“, erklärt Michael Hecker, Verhandlungsführer der IG Metall Leipzig bei SRW, der jeden Tag von früh morgens bis spät abends im Streikzelt ist. „Das Unternehmen schneidet sich ins eigene Fleisch.“

 

Im Streikzelt bei SRW in Espenhain.


Weniger als 2000 Euro im Monat

Die Geschäftsleitung will keinen Tarif. Dabei macht die Scholz-Gruppe, zu der SRW gehört, jährlich 1,6 Milliarden Euro Umsatz. Scholz wiederum gehört zum chinesischen Schrott-Konzern Chiho mit weltweit 200 Standorten und 225.000 Beschäftigten.

Die Beschäftigten bei SRW in Espenhain machen hunderte Millionen an Umsatz – bekommen jedoch nur 2000 Euro netto im Monat, aber nur, wenn sie auch Nachtschicht arbeiten. Viele haben sogar weniger als 2000 Euro. Sie fordern 8 Prozent mehr Geld, je 1500 Euro Urlaubs- und Weihnachtsgeld und die Verkürzung der Arbeitszeit von 40 auf 38 Stunden in der Woche.

Vor allem wollen sie, dass der Arbeitgeber nicht mehr machen kann was er will. „Wir haben uns jahrelang den Mund fusselig geredet – aber Du wirst einfach nicht gehört und auch noch für dumm verkauft“, ärgert sich Nico, der 2011 als Leiharbeiter hier angefangen hat und heute stellvertretender Schichtleiter und Mitglied des Betriebsrats ist. „Durch die IG Metall und unsere Forderung nach Tarifverhandlungen kommen wir nun endlich mal zu einer Diskussion auf Augenhöhe.“

 

Kaum Lohnerhöhungen – immer wieder Verzicht

Lohnerhöhungen gab es in den letzten Jahren kaum. „Sie haben uns das ganze Jahr über immer erzählt, der Firma ginge es so schlecht und sie könnten uns nichts geben. Und bei der Weihnachtsfeier war es dann doch wieder das beste Jahr unserer Geschichte“, erzählt der gelernte Betriebsschlosser Mirco, der als Springer bei SRW alles macht: als Anlagenführer die Maschinen bedienen, Schrott per Hand sortieren, Stapler fahren.

Letztes Jahr hat SRW die Löhne mal etwas mehr erhöht – aber nur, weil die Löhne unter dem deutlich gestiegenen gesetzlichen Mindestlohn lagen.

Immer wieder haben sie verzichtet – etwa in der Finanzkrise 2010. Damals hieß es, dass sie das Geld danach wiederbekommen. Doch als sie nach der Krise den Betriebsleiter auf der Betriebsversammlung darauf ansprachen, wollte der sich daran nicht mehr erinnern.

Die Beschäftigten erinnern sich noch gut daran. Deshalb wollen sie die Tarifbindung. Vor der Urabstimmung über ihren Streik Anfang November hatte der Arbeitgeber ihnen eine Lohnerhöhung versprochen – 8 Prozent (allerdings über zwei Jahre). Aber sie lehnten ab. Sie wissen, dass der Arbeitgeber ihnen das Geld jederzeit wieder wegnehmen kann. Sie wollen endlich Sicherheit durch einen Tarifvertrag. Sie wollen auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber verhandeln. Sie wollen Wertschätzung, für all die Jahre.
 

Im Winter eiskalt – im Sommer brütend heiß

Sie arbeiten hart. Das Material, das zu groß für die maschinelle Trennung durch Fliehkräfte und Magneten ist, muss von Hand sortiert werden, nach gut zwei Dutzend Metallsorten. Das Förderband läuft gnadenlos. Offiziell gibt es nur eine halbe Stunde Pause in der Schicht. Ein Kollege soll sich sogar schon mal in die Hose gemacht haben, weil keine Ablösung kam.

Es ist laut. Und die Hallen sind nicht isoliert. Drinnen ist es im Winter genauso kalt wie draußen. Und im Sommer wird es brütend heiß, vor allem in den Sortierkabinen aus Blech. Zwar hat SRW mittlerweile Klimageräte in die Sortierkabinen eingebaut, doch die bringen kaum etwas – genauso wenig wie die Heizplatten an der Decke: sinnlos.

Es gibt auch eine Sortierkabine draußen. Hier wird es im Sommer unter dem Blechdach besonders heiß. Und es gibt keine Heizplatten. Wenn es extrem kalt wird, stellt die Betriebsleitung Elektroheizkörper rein. „Aber da müssen wir dreimal nachfragen“, kritisiert Sortiererin Heike. Sie hat Energiewirtschaft studiert und in einem Kraftwerk gearbeitet. Doch das machte zu. Sie wurde arbeitslos – und nach einigen Umschulungen fing sie dann 2009 bei SRW an. „Es hat sich seitdem schon einiges verbessert, vor allem seit wir einen Betriebsrat gewählt haben“, berichtet Heike. „Früher mussten wir siebeneinhalb Stunden lang am Förderband stehen. Jetzt haben wir wenigstens Hocker.“
 

Laut, dreckig und giftig

Bei SRW ist es kalt, heiß, laut und dreckig. So einmal in der Woche gibt es Brandalarm, oft mit viel Rauch. Und überall liegt Metallstaub in der Luft, der in der Sonne glitzert und flimmert.

 „Es kann uns keiner sagen, was wir einatmen – und wie das alles miteinander reagiert: Blei, Kupfer-Grünspan, Alu, Oxide, ätzend stinkende Autobatterien, Schrott aus der Müllverbrennung. Das ist alles extrem ungesund“, kritisiert Springer Tino, der schon 1995 hier angefangen hat. Eigentlich wollte er ja nur zwei Jahre bleiben. „Fast jeder hier kann spontan eine Handvoll ehemaliger Kolleginnen und Kollegen aufzählen, die früh gestorben sind – kurz nach ihrer Rente oder schon davor. Auch mein Onkel war ein halbes Jahr nach seiner Rente tot.“
 

Solidarität für den Streik der „Schrotter“

Eine Wand im Streikzelt hängt voll mit Solidaritätsgrüßen, mit Spenden von Metallerinnen und Metallern aus anderen Betrieben bundesweit. Und immer wieder kommen sie auch persönlich vorbei. Heute ist der Ortsjugendausschuss der IG Metall Amberg bei der Spätschicht. Der Geschäftsführer der IG Metall Ostsachsen übernimmt die Nachtschicht. Und auch Politiker waren hier, Lars Klingbeil, Saskia Esken, die DGB-Vorsitzendende Yasmin Fahimi.

Und mittlerweile berichten auch die Medien bundesweit. Die BILD-Zeitung titelte: „Schrott-Streik gegen China-Bosse“.

 

Im Streikzelt: Wand mit Solidaritätsgrüßen aus dem ganzen Bundesgebiet.


„Wir sind alle eine große Familie geworden“

„Für uns ist das wichtigste, dass wir endlich einen Tarifvertrag bekommen, damit wir nicht mehr betteln müssen“, erklärt Sortiererin Heike. „Als ich dann bei unserem ersten Warnstreik gesehen habe, wie viele tatsächlich schon in der IG Metall sind und dann auch alle mitmachen – da habe ich mich sehr gefreut.“

Als sie dann tatsächlich nach der Urabstimmung in den unbefristeten Streik gingen, als die Wachleute mit Hunden kamen und das Unternehmen vor Gericht ging, war ihnen anfangs doch etwas mulmig zumute, erzählt Anlagenfahrer René, der heute in der Spätschicht die Feuertonne mit Palettenholz am Brennen hält. „Wir haben so was ja noch nicht gemacht.“

Mittlerweile ist Routine an der Feuertonne und im Streikzelt eingekehrt. Am Donnerstag bauen sie das Streikzelt vorübergehend ab, um über die Feiertage Kraft zu tanken und Zeit mit der Familie zu verbringen. Der Streik geht weiter. Über die Feiertage von zuhause – und ab 2. Januar wieder vorm Tor ihrer SRW.

Die „Schrotter“ bei SRW sind im Streik zusammengerückt. „Früher kannten wir uns nur vom Sehen und grüßten vielleicht kurz zum Schichtwechsel. Jetzt kennen wir uns alle“, erzählt Sortiererin Beate, die auch Nachrückerin im Betriebsrat ist. Auch ihr Mann arbeitet hier, als Anlagenführer und Mitglied des Betriebsrats. „Viele haben hier Familie“, meint Beate. „Aber durch unseren Streik sind wir alle eine große Familie geworden. Wir ziehen das jetzt gemeinsam durch.“

Aktuelle Nachrichten und Hintergründe zu SRW bei der IG Metall Leipzig.


Jetzt solidarisch sein und spenden

Wenn ihr Solibotschaften schicken wollt, sendet diese bitte an: soli-srw(at)igmetall.de

Spenden für die Streikenden gehen an:

IG Metall
IBAN: DE 23 5005 0000 0000 0010 40
Verwendungszweck: Soli SRW

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