„Zusammen stark“ im Altenburger Land
Belegschaften in Thüringen erkämpfen höhere Löhne und 35 Stunden

Früher hatten sie die niedrigsten Löhne in Deutschland. Doch in immer mehr kleinen Betrieben im Altenburger Land in Thüringen erkämpfen Beschäftigte und IG Metall höhere Löhne und die 35-Stunden-Woche. Sie unterstützen sich dabei gegenseitig – in ihrem Bündnis „Zusammen stark im Altenburger Land“.

7. Oktober 20227. 10. 2022


Die Löhne steigen und die 35-Stunden-Woche kommt – in immer mehr Betrieben im Altenburger Land in Ostthüringen. Nach Kelvion in Wilchwitz und der Meuselwitz Guss Eisengießerei starten nun auch Tarifverhandlungen beim Armaturenwerk Altenburg: Rund 20 Prozent liegen die Löhne hier unter dem Metall-Tarif Thüringen. Sie wollen ran an die Fläche. 300 Euro mehr fordert die gewählte Tarifkommission der IG Metall im Betrieb für die rund 200 Beschäftigten. Am Donnerstag war die erste Verhandlung. Bislang keine Annäherung.

„Das hat uns nicht überrascht. Bisher mussten wir im Armaturenwerk jedes Mal in die Warnstreiks“, meint Tom Knedlhanz von der IG Metall. 2017 haben sie ihren ersten Tarifvertrag durchgesetzt. Seitdem kämpfen sie sich schrittweise nach oben.

Früher hatten sie hier im Altenburger Land immer die niedrigsten Löhne in ganz Deutschland. Nach der „Wende“ wurden Betriebe dichtgemacht und Tausende auf die Straße gesetzt. Lebensläufe waren geprägt von Arbeitslosigkeit und Leiharbeit. „Ich habe damals vor 17 Jahren für 7,44 Euro angefangen, als ausgebildeter Zerspanungsmechaniker – und daran hat sich jahrelang wenig verbessert“, erinnert sich Andreas Haak, der heutige Betriebsratsvorsitzende des Armaturenwerks in Altenburg. „Du hattest damals keine Wahl. Hier gab es ja nichts. Man war froh, dass man Arbeit hatte“.
 

Wind hat sich gedreht

 „Wenn’s Dir nicht passt: Da warten noch hundert Andere vor dem Werkstor. So redeten die Arbeitgeber früher mit uns“, erinnert sich Thomas Jäschke, Betriebsratsvorsitzender bei Meuselwitz Guss, wo rund 340 Beschäftigte arbeiten. „Doch mittlerweile hat sich der Arbeitsmarkt in der Region komplett gedreht: Selbst Leiharbeiter sind kaum noch zu bekommen. Wenn man Fachkräfte braucht, muss man als Arbeitgeber schon etwas bieten.“

Diese neue Lage nutzen die Beschäftigten der Betriebe im Altenburger Land konsequent – und helfen nach: Sie organisieren sich in der IG Metall, wählen Vertrauensleute und Tarifkommissionen – und erkämpfen Tarifverträge mit besseren Arbeitsbedingungen. Die Belegschaften helfen sich dabei gegenseitig, bei ihren Aktionen vor den Betrieben und auf den Straßen, bei Warnstreiks, unter dem Motto „Zusammen stark im Altenburger Land“.
 

Höhere Löhne und 35-Stunden-Woche bei Kelvion

Mit dieser Unterstützung haben die IG Metall-Mitglieder bei Kelvion im Mai mit einem Zwei-Stunden-Warnstreik einen neuen Tarifvertrag durchgesetzt: durchschnittliche Lohnsteigerung von 12 Prozent. Bis 2025 steigen die Entgelte der rund 270 Beschäftigte weiter schrittweise auf den Metall-Tarif Thüringen. Und bis 2027 sinkt die Arbeitszeit für alle auf 35 Stunden in der Woche.

Sie stellen Wärmetauscher unter anderem für Wärmepumpen und Windräder her. Die Auftragsbücher quellen über, dank der Energiewende.

„Streikerfahrung hatten wir zwar nicht so, aber wir waren schnell durch“, erzählt Jörg Thiele, Betriebsratsvorsitzender bei Kelvion. „Wir wussten, dass der Arbeitgeber sich keinen Tag Produktionsausfall leisten kann, wir hängen sowieso schon weit hinterher mit unseren Aufträgen. Das Wetter war gut und wir hatten die Unterstützung aus allen anderen tarifgebundenen Betrieben im Altenburger Land.“

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Warnstreik bei Kelvion in Wilchwitz im Mai 2022
 

Beschäftigte unterstützen sich gegenseitig

Für Schichtbeschäftigte bei Kelvion in der „Rollenden Woche“ (sieben Tage, 24 Stunden) gilt die 35-Stunden-Woche schon seit Januar 2022. Das haben die Mitglieder und Vertrauensleute der IG Metall bei Kelvion letztes Jahr durchgesetzt. Nachdem die Geschäftsführung vergebens mit dem Betriebsrat verhandelt hatte, lehnte die Betriebsversammlung den Verhandlungsstand zur Einführung des neuen Schichtsystems ab und die IG Metall übernahm das Ruder. Auch die Beschäftigten in der Verwaltung gingen für die Schichtarbeiter raus. Seit Juli 2022 ist nun auch ihre Arbeitszeit von 39 auf 38 Stunden verkürzt – und soll weiter jedes Jahr um eine halbe Stunde sinken, bis auf 35 Stunden ab Januar 2027.

„Vor zehn Jahren hätten wir so etwas niemals hinbekommen. Die Leute wären niemals zum Streiken rausgegangen, wir hatten gerade mal 15 Prozent IG Metall-Mitglieder im Betrieb“, erinnert sich Jörg Thiele. „Heute sind über 70 Prozent in der IG Metall. Und sie finden das klasse, wenn man zusammenhält und mal rausgeht – auch für andere: Bei uns etwa haben die Beschäftigten in der Verwaltung genauso zu den Schichtarbeitern gehalten und mitgekämpft, als die Rollende Woche kommen sollte, wie es nun die Schichtarbeiter für die Angestellten getan haben.“
 

Bündnis „Zusammen stark im Altenburger Land“

Ihr gemeinsames Bündnis „Zusammen stark im Altenburger Land“ haben die Metallerinnen und Metaller vor rund zwei Jahren gestartet. Immer mehr Beschäftigte sind seitdem in die IG Metall eingetreten und ziehen mit. Und Immer mehr Betriebe kommen dazu. Sie unterstützen sich gegenseitig – und profitieren voneinander.

„Wenn wir gute Lösungen in einem Betrieb durchsetzen, dann können wir uns in den anderen Betrieben ja auch daran orientieren – und den Arbeitgebern sagen: Schaut, da haben die das auch“, erklärt Thomas Jäschke von Meuselwitz Guss. „Das Selbstbewusstsein ist deutlich gewachsen. Die Beschäftigten merken: Zusammen sind wir stark und wir erreichen etwas. Früher hieß es: Das soll die Gewerkschaft für uns machen. Jetzt sind wir die Gewerkschaft. Und es ist klar: Wenn ich als Beschäftigter mitbestimmen will, dann nicht vom Sofa aus.“
 

Tarifverträge für Vertrauensleute – mehr Zeit für Gewerkschaft

Ganz neu bei Kelvion und Meuselwitz Guss: Sie haben auch Tarifverträge für die Arbeit ihrer IG Metall-Vertrauensleute im Betrieb durchgesetzt, mit einem verbesserten Kündigungsschutz und drei Stunden bezahlter Freistellung im Monat. Weil mitbestimmen und Aktionen planen – all das braucht Zeit und Leute, die sich engagieren. In den letzten beiden Jahren haben die Beschäftigten in den drei Betrieben Vertrauensleute aus ihrer Mitte gewählt, die ihre Samstagvormittage für Gewerkschaftsarbeit geopfert haben, um Aktionen vorzubereiten und die Beschäftigten zu organisieren.

„Unsere IG Metall-Mitglieder bei Kelvion haben klar entschieden: Ja, wir gehen auch für den Tarifvertrag für unsere Vertrauensleute raus vors Tor“, erklärt Tom Knedlhanz, der bei der IG Metall Gera für das Altenburger Land verantwortlich ist.

Meuselwitz Guss hat den Tarifvertrag nun fast eins zu eins übernommen. Und auch im Armaturenwerk Altenburg fordern die Mitglieder jetzt einen Tarif für ihre Vertrauensleute.
 

Sie ziehen andere mit

Das Bündnis „Zusammen stark im Altenburger Land“ der drei Kernbetriebe Kelvion, Armaturenwerk Altenburg und Meuselwitz Guss zieht andere mit: Auch in anderen Betrieben der Region Ostthüringen steigen jetzt die Löhne, weil die Arbeitgeber um Arbeitskräfte konkurrieren.

Und die Belegschaften warten nicht, sondern werden selbst aktiv: Beim Musikinstrumentenbauer Louis Renner in Meuselwitz, der Mechaniken für Steinway-Flügel herstellt, haben die Beschäftigten mit der IG Metall und Unterstützung aus den anderen Betrieben bereits im März ihren Tarifvertrag durchgesetzt. Bis 2024 steigen die Löhne um 23 Prozent. Bei Eberspächer in Hermsdorf steigen die Löhne schrittweise bis 2025 auf 100 Prozent Metall-Tarif. 2018 bekamen sie noch 9,50 Euro in der Stunde. Bei Siemens Healthineers in Rudolstadt haben die Beschäftigten die Verkürzung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden bis 2026 erreicht. Am 1. Oktober geht’s schon mal runter auf 37 Stunden. Bei der Saalfelder Werkzeugmaschinen GmbH (SAMAG) haben die IG Metall-Mitglieder eine Lohnerhöhung um 7 Prozent plus einmalig 1500 Euro sowie bis zu zwei Sonderurlaubstage für Schichtbeschäftigte mit Warnstreiks erkämpft. Auch bei AGA, j-plasma und Wertbau haben die Beschäftigten mit der IG Metall Ostthüringen bessere Löhne, mehr Urlaub und kürzere Arbeitszeiten durchgesetzt. Und bei Zeiss in Jena geht es bis Oktober 2024 von 38 runter auf 35 Stunden in der Woche.

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Warnstreik beim Klaviermechanik-Hersteller Louis Renner in Meuselwitz

Jetzt gehen die Aktiven in den Betrieben in Ostthüringen auch zusammen in die Aktionsplanung für die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie. Obwohl sie alle Haustarife haben und der Metall-Tarif gar nicht für sie gilt, sind sie mit dabei und ziehen mit bei der Metall-Tarifrunde – unter dem Motto „Solidarität gewinnt!“

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