Ergun Lümali: Daimler-Betriebsratsvorsitzender in Sindelfingen
Ein Schwabe aus Anatolien

Als Kind kam er nach Deutschland. Heute vertritt Ergun Lümali als Betriebsrat die Interessen Tausender Beschäftigter bei Daimler. Sein persönlicher Werdegang zeigt, was für eine Erfolgsgeschichte das Miteinander von Deutschen und Migranten sein kann.


Geboren ist Ergun Lümali in der Eskisehir, einer modernen Universitätsstadt in Anatolien. Mit knapp acht Jahren kam er aus der Türkei nach Deutschland. Sein Vater schaffte bei Daimler und holte Frau und Sohn 1970 nach. Als Lümali ankam, konnte er schon gut lesen, aber kein Wort Deutsch. Inzwischen spricht er ein sogenanntes „Honoratiorenschwäbisch“: gepflegtes Hochdeutsch mit leichter Dialektfärbung, in dem es kein „ist“ gibt, sondern nur „ischt“.

Nach der Schule träumte Ergun wie viele Jugendliche von einer Stelle bei Daimler. Er bewarb sich um einen Ausbildungsplatz im Werk Sindelfingen und bekam ihn. Heute ist der gelernte Konstruktionsmechaniker der Betriebsratsvorsitzender in Sindelfingen. Als stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender und Mitglied im Aufsichtsrat von Daimler vertritt er die Interessen von rund 280 000 Beschäftigten. Wenn es um wichtige Standortfragen und die wirtschaftliche Zukunft des Unternehmens geht, redet er mit. Auch bei uns hat seine Stimme Gewicht: Seit 2010 ist er im Vorstand bei IG Metall.


Ruhiger Vermittler

„Ich würde heute nicht da sein, wo ich bin, wenn ich von meinem Umfeld nicht so freundlich aufgenommen worden wäre“, sagt der 53-Jährige. Als er und seine Mutter ins fremde Almanya kamen, waren das „Umfeld“ die deutschen Nachbarn. „Sie haben sich sehr um uns bemüht.“ Seine Eltern hatten sich bewusst dafür entschieden, nicht in ein Wohnviertel zu ziehen, in dem sich Migranten konzentrieren. Sie zogen nach Gechingen bei Calw in eine ganz bürgerliche Siedlung. Ergun wuchs mit deutschen Kindern auf, kickte im Fußballverein mit ihnen und lernte so die neue Sprache spielend.

Als die Schulzeit vorbei war, kam ein neues Umfeld dazu, im Mercedeswerk in Sindelfingen. Viele der Menschen, mit denen er jetzt täglich zusammen arbeitete, waren Migranten wie er. Anfangs gehörten sie oft noch zur ersten Einwanderergeneration. Sie verstanden kaum Deutsch. Ergun übernahm die Rolle, zu vermitteln. Er kümmerte sich, wenn Kollegen Probleme hatten, half ihnen, so gut er konnte. Auf seine ruhige, fast sanfte, freundliche Art. So kam er mit vielen Kolleginnen und Kollegen in Kontakt und wurde bekannt im Betrieb. Eine gute Voraussetzung, um Vertrauensmann der IG Metall zu werden – und das wurde er.


Teil der Solidargemeinschaft IG Metall

Die Gewerkschaft gehört für ihn auch zu dem „Umfeld“ , genauso wie die Nachbarn und Kollegen. „Sie war die Organisation, in der ich angehört wurde und meine Stimme einbringen konnte.“ Als Einwanderer in einer Studie in Nordrhein-Westfalen gefragt wurden, wie sie in Kontakt zur deutschen Bevölkerung kommen, standen Gewerkschaften bei den Antworten an erster Stelle. In keinem anderen Verband in Deutschland sind so viele Migrantinnen und Migranten wie bei uns. „Für alle Beschäftigten, egal ob Migranten oder nicht, ist es ganz wichtig, die große Solidargemeinschaft IG Metall zu haben“, sagt Ergun Lümali.

„Alle wollen gerechte Entgelte und Beschäftigungsbedingungen und eine Gesellschaftspolitik, die für Chancengleichheit sorgt. Dass sie die gleichen Interessen haben und sich gemeinsam dafür einsetzen können, das verbindet die Menschen und bringt sie einander näher.“ Ergun Lümali gefällt es nicht, wenn Alteingesessene und Zuwanderer in getrennten Welten nebeneinander her leben. „Migranten müssen Deutsch lernen und sich mit der deutschen Kultur, ihren Werten und Traditionen beschäftigen“, findet er.


Engagiert für Flüchtlinge

Lümali lebt mit seiner türkischen Frau in Aidlingen in einem Haus mit kleinem Garten in der Nachbarschaft von Deutschen. Die beiden Töchter haben Fachabitur, die ältere hat Wirtschaftsinformatik studiert und ist Prozessmanagerin, die jüngere lernt Industriekauffrau. Eine Zeitung, die über Integration am Beispiel von Stuttgart berichtete, stellte Ergun Lümali in einem Bericht als Beispiel für gelungene Integration vor. Er selbst sieht in seinem Werdegang nichts Besonderes. Migranten in Aufsichtsräten oder anderen Führungspositionen – noch keine Normalität, aber auch nicht mehr exotisch. In der bunt gemischten Belegschaft bei Daimler gibt es sie längst auf allen Ebenen. Sie sind Teamleiter, Abteilungs- und Centerleiter.

Ergun Lümali hat nach der Ausbildung lange als Schichtarbeiter im Karosserierohbau am Band gearbeitet. Doch er war ehrgeizig und wollte weiterkommen, wurde Vorarbeiter, Meisterstellvertreter und wollte die Meisterprüfung ablegen. Die Wahl in den Betriebsrat veränderte seine Zukunftspläne. Die neue Aufgabe verlangte viel Einsatz, er musste sich qualifizieren und ständig weiterbilden. Jetzt nicht für die eigene Karriere, sondern für die Belegschaft.


Ein Balanceakt

Wer sich wie er für andere Menschen einsetzt und erlebt hat, wie es ist, in ein neues Land zu kommen, dem ist auch das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig. „Wir müssen sie so schnell wie möglich integrieren. Aber ohne die Sorgen der Menschen aus den Augen zu verlieren, die schon hier leben und unsere Unterstützung genauso brauchen. Die, die arbeitslos sind, schlechte Jobs haben oder zu wenig Rente. Wenn wir diese Balance hinbekommen, geht die Bevölkerung mit“, ist er überzeugt. Vor einiger Zeit ging eine Frau mit ihrer kleinen Tochter an seinem Haus vorbei. Sie wohnt in einer Flüchtlingsunterkunft in seiner Straße. Sie lächelten und winkten sich zu.Dann kam die Frau wieder, stellte sich vor und berichtete, dass sie aus Syrien kommt. Die Lümalis haben sie zum Essen eingeladen. „Wir haben versucht zu erklären, wie das Leben in Deutschland so funktioniert.“ Inzwischen sind sie ihnen ans Herz gewachsen. Sie kommen jetzt oft.

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