Wieder Missstände bei Werkvertragsarbeit auf der Meyer-Werft
Wehe, einer wehrt sich

Vor gut fünf Jahren starben zwei rumänische Wanderarbeiter bei einem Brand in ihrer menschenunwürdigen Unterkunft. Sie waren mit einem Werkvertrag auf der Meyer-Werft in Papenburg eingesetzt. Jetzt gibt es wieder Berichte über den skandalösen Umgang mit Werkvertragsarbeitnehmern.

8. August 20188. 8. 2018


Nur selten wenden sich die Arbeiter aus Rumänien, Bulgarien oder anderen südosteuropäischen Ländern an die Beratungsstelle für mobile Beschäftigte in Oldenburg. Obwohl viele von ihnen allen Grund dazu hätten. Aber viele haben weder die Zeit noch den Mut dazu. Sie leisten als Schweißer bis zu zehn Stunden an sechs bis sieben Tagen die Woche Schwerstarbeit auf der Meyer-Werft, werden abends todmüde in Bussen zum Schlafen in ihre Sammelunterkünfte geschafft und am nächsten Morgen früh wieder abgeholt.

Außer zum Arbeiten und Schlafen lässt der Tag für nichts Raum. Wer den Mut hat, sich direkt bei seinem Arbeitgeber zu beschweren, muss damit rechnen, seinen Job los zu sein. So wie der Student, der einfach nur wissen wollte, wie viele Stunden er denn eigentlich regulär arbeiten musste. Trotz all der Hürden schaffen es einige, sich an Daniela Reim und ihre Kolleginnen zu wenden. Daniela Reim arbeitet in der Beratungsstelle in Oldenburg. Was Arbeiter ihr schildern, sind finstere Zustände aus einer parallelen Schattenwelt, in der Arbeitnehmer und ihre Rechte nicht viel zählen.


Tricksereien und Drohungen

In dieser Welt arbeiten Beschäftigte, die oft weder Arbeitsverträge zu sehen bekommen noch Lohnabrechnungen. Einem Rumänen wurde der komplette Lohn des letzten Arbeitsmonats vorenthalten. Zwei Arbeiter berichteten, dass sie nach Arbeitsunfällen keine Lohnfortzahlung erhielten. Ein anderer musste 500 Euro für den Rettungswagen selbst bezahlen, weil sein Arbeitgeber für ihn keine Krankenversicherung abgeschlossen hatte.

Offiziell erhalten die Arbeiter den Mindestlohn von 8,84 Euro. Das ist weniger als halb so viel wie sie als Stammbeschäftigte der Meyer-Werft bekämen. Deren Tariflohn liegt bei knapp 20 Euro. Aber selbst beim Mindestlohn tricksen Subunternehmen, die Aufträge per Werkvertrag übernehmen. Obwohl sie nach dem Entsendegesetz für kostenlose Unterkünfte und Verpflegung sorgen müssen, ziehen sie Arbeiterinnen dafür einen Teil vom Lohn ab. Ein Subunternehmer, berichtet Daniela Reim, bot den Arbeitern auf dem Papier den Mindestlohn an, zahlte aber nur 160 Stunden. Tatsächlich arbeiteten sie 260 Stunden.


Schimpfen und Beleidigen

Wenn Daniela Reim sich an die betroffenen Subunternehmen wendet, erlebt sie oft, dass sie beschimpft, beleidigt oder dass ihr mit Rechtsanwälten gedroht wird. Ihr wird „verboten“, die Unterkünfte der Arbeiter zu betreten, obwohl ihr das rechtlich gar nicht verwehrt werden darf. Als sie zu einem Gespräch mit einem Unternehmer jemand von der IG Metall mitnehmen wollte, lehnte er das ab. „Wir wollen die IG Metall nicht am Tisch haben“, wurde ihr erklärt. Reim schaltete den Zoll ein. Der ist oft auf der Werft, um die Arbeitsbedingungen der Werkvertragsarbeitnehmer zu prüfen. Bei den stichprobenartigen Kontrollen entgeht ihm jedoch vieles. „Auf der Meyer-Werft gibt es 3 500 Stammbeschäftigte. Dazu kommt die gleiche Zahl an Beschäftigten von Fremdfirmen“, meint Ursula Wentingmann von der IG Metall in Leer-Papenburg. Wie viele Subfirmen und Subsubfirmen sich auf dem Werftgelände tummeln, ist für die IG Metall schwer zu überblicken.


Reaktion auf tragische Todesfälle

Für uns ist es schwer, den Menschen zu helfen. „Wir bieten an, sie zu beraten. Aber sie werden völlig von den Stammbeschäftigten isoliert und auch wir kommen kaum an sie ran“, sagt Ursula Wentingmann. Hilfe scheitert auch schon an der Sprache.

Dabei hatte es vor ein paar Jahren so ausgesehen, als wenn sich für die Werkvertragsarbeitnehmer auf der Meyer-Werft einiges zum Guten wenden würde – nachdem es 2013 einen tragischen Unfall gegeben hatte. Im Juli 2013 waren ein 32 und ein 45 Jahre alter Rumäne bei einem Brand in ihrer Unterkunft ums Leben gekommen.

Danach war einiges passiert. Die IG Metall und die Betriebsräte der Meyer-Werft schlossen mit der Geschäftsleitung den bundesweit ersten Tarifvertrag zu Werkverträgen ab. Er sicherte den Beschäftigten Mindeststandards, wie den gesetzlichen Mindestlohn, und eine angemessene Unterkunft zu. Außerdem wurde darin eine ständige Arbeitsgruppe aus Betriebsrat und Management vereinbart, die sich mit Problemen befassen soll, die Kolleginnen mit Werkverträgen an sie herantragen.


Gefahr für alle Beschäftigten

Warum kommt es trotzdem immer wieder zu Verstößen gegen menschenwürdige Arbeitsbedingungen? „Ich denke, es liegt daran, dass die Kolleginnen und Kollegen von ihren Chefs unter Druck gesetzt werden“, sagt Nico Bloem, der Betriebsratsvorsitzende auf der Meyer-Werft. „Ihnen wird erklärt, dass sie sich nicht an den Betriebsrat und die IG Metall wenden sollen. Sie haben Angst, sich zu melden. Das müssen wir durch Aufklärungsarbeit ändern.“ Der 24-Jährige ist noch nicht lange im Amt. 2013 war er noch nicht an den Verhandlungen beteiligt. Er sagt, dass zwar für die Arbeitsbedingungen in erster Linie die Subunternehmen zuständig sind. „Aber wenn ein Subunternehmen generell Mist baut, erwarte ich, dass Konsequenzen gezogen werden und es keine Verträge mehr bekommt.“ Die Werft sieht Bloem jedoch auch in der Verantwortung. Sie müsse aufklären und dafür sorgen, dass die Subunternehmen ihre Arbeitnehmer nicht unter Druck setzen, wenn sie sich über ihre Rechte informieren wollen und Rat und Hilfe suchen.

Bloem sorgt sich nicht nur um die direkt Betroffenen, sondern sieht auch die „große Gefahr, dass Stammbeschäftigte, Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer gegeneinander ausgespielt werden und letztere missbraucht werden, um niedrigere Lohn- und Arbeitsstandards durchzudrücken.“ Darunter hätten dann alle Beschäftigten zu leiden.


Kampagne „Gute Arbeit für alle“

Bloem sagt, die Betriebsräte dürften mit den Problemen nicht allein gelassen werden. Der Gesetzgeber sei gefordert, Menschen mit Arbeit auf Werkvertragsbasis besser zu schützen. Das sieht auch Meinhard Geiken so. Er leitet den Bezirk Küste der IG Metall. „Die aktuellen Fälle belegen, dass Tarifverträge nicht ausreichen, um die Menschen vor Missbrauch zu schützen“, sagt er. „Dafür brauchen wir strengere gesetzliche Regelungen.“


„Es ist gut, dass die IG Metall ihre bundesweite Kampagne für Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer weiterführt“, findet Ursula Wentingmann von der IG Metall in Leer-Papenburg. Das ist beschlossene Sache: Die Kampagne geht unter dem Motto „Gute Arbeit für alle“ am „Tag der prekären Beschäftigung, am 7. Oktober, wieder an den Start.

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