Maschinen- und Anlagenbau
Digitalisierung der Branche gestalten

Fortschreitende Digitalisierung wird den deutschen Maschinen- und Anlagenbau stark verändern – für Anwender und Anbieter digitaler Produkte.

27. September 201827. 9. 2018


Die Herausforderungen für die deutsche Schlüsselbranche Maschinen- und Anlagenbau sind enorm: Der demographische Wandel beispielsweise wirkt sich auf die Betriebe der Branche aus, das Potential an Auszubildenden sinkt, der Altersdurchschnitt der Belegschaften steigt, viele Fachkräfte werden in den kommenden Jahren in Rente gehen. Dazu belasten die gegenwärtigen Unsicherheiten des Welthandels den Maschinen- und Anlagenbau: Der europäische Binnenmarkt wird vor allem durch den Brexit geschwächt, die US-Regierung unter der Präsidentschaft von Donald Trump verfolgt protektionistische Strategien, Schwellenländer wie China haben aufgeholt und sind zu ernsthaften Konkurrenten auch bei technologieintensiven Produkten geworden. Schließlich wird der Klimawandel zunehmen zur Herausforderung für die Maschinenbaubranche, die mit über einer Millionen Beschäftigten die beschäftigungsstärkste Branche der Industrie ist, das Rückgrat der deutschen Industrie und weltweiter Lieferant technologischer Industrielösungen.

Der Maschinen- und Anlagenbau – in vielen Bereichen heute Weltmarktführer und dank hoher Exportquote zum Aushängeschild der deutschen Wirtschaft gewachsen – ist gegenwärtig also Treiber und Getriebener zugleich: Er treibt Innovationen voran und steht unter starkem internationalen Wettbewerbsdruck, vor allem aus China und den USA.


Kann die Branche das Wettrennen gewinnen?

Und genau in diese komplexe Gesamtsituation, genau auf diese komplizierte Gemengelage trifft nun die Digitalisierung als neue, große Herausforderung. Mit ihr einher geht die Frage: Kann der Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland das Wettrennen um Innovation auch in einer zunehmend digitalisierten, vernetzten Produkt- und Arbeitswelt gewinnen? Und welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die Beschäftigten?

Fakt ist: Digitalisierung und Industrie 4.0 spielen im Rahmen der digitalen Vernetzung eine immer größere Rolle für den Maschinen- und Anlagenbau – und das sowohl als Anwender als auch als Anbieter digitaler Produkte. Digitale Geschäftsmodelle und neue Wettbewerber aus dem Bereich digitaler Plattformen stellen zunehmend Herausforderungen für die Betriebe der Branche dar. Immer mehr Produkte, Anwendungen und Prozesse werden inzwischen durch elektronische Komponenten unterstützt. Sie werden dadurch komplexer, die Vernetzung nimmt zu.


Digitalisierung wird Arbeit stark verändern

Fakt ist auch: Fortschreitende Digitalisierung und umfassende Vernetzung werden zu einem Wandel der Beschäftigung in allen betrieblichen Bereichen und Funktionen führen. Das hat Konsequenzen: „Der Maschinenbau darf den Anschluss an die digitale Transformation der Industrie nicht verpassen. Internet-Giganten und IT-Konzerne stehen bereits in den Startlöchern, um sich mit ihren Plattformen zwischen die Kunden und den Maschinenbau zu drängen“, betonte Wolfgang Lemb, für den Maschinenbau zuständiges geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall auf der Maschinenbaukonferenz der IG Metall in Berlin. Die Branche müsse auch in Zeiten der digitalen Transformation ihre Rolle als weltweiter Lieferant technologischer Industrielösungen behaupten.

Wie das gelingen kann, das hat nun eine im Auftrag der IG Metall vom IMU Institut erstellte Studie detailliert analysiert. Die Untersuchung „Digitale Transformation im Maschinen- und Anlagenbau“ gibt umfassend Auskunft über Stand und Strategien der Digitalisierung sowie ihre Wirkungen auf die Beschäftigten des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus.


Hoheit über die Kundenbeziehungen behaupten

Deutlich wird: Die Herausforderungen, die mit fortschreitender Digitalisierung auf den Maschinen- und Anlagenbau zukommen, sind gewaltig. Sie können bewältigt werden – allerdings sind dazu verstärkte Kraftanstrengungen und intensive Kooperation nötig. „Es geht längst nicht mehr nur darum, die innovativsten Hardware-Lösungen bereitzustellen. In Zeiten der Plattformökonomie und vernetzter Produktion geht es für den Maschinenbau darum, selbst die Hoheit über die Kundenbeziehungen zu behaupten“, so Wolfgang Lemb. Das Beispiel des Marktes mit Mobiltelefonen zeige, wie schnell es dazu kommen kann, dass auf einmal Internetkonzerne und nicht mehr Hardware-Produzenten die Bedingungen der Wertschöpfung diktieren. „So weit darf es im Maschinen- und Anlagenbau nicht kommen. Gemeinsam mit einer starken Interessenvertretung muss der Transformationsprozess in den Betrieben gestaltet werden.“

Zeit zum konsequenten Handeln ist jetzt: Gegenwärtig, das zeigen die Wissenschaftler in ihrer Studie, ist der deutsche Maschinen- und Anlagenbau noch weniger Anwender, dafür mehr Anbieter digitaler Produkte. Auf der Anwenderseite, also bei den eigenen internen Prozessen, war in den vergangenen Jahren eine eher schleichende Umsetzung zu beobachten. Viele kleine und mittlere Unternehmen stehen auch gegenwärtig erst am Anfang der digitalen Transformation. Allerdings: Bei den untersuchten größeren Unternehmen, die meist zu den Vorreitern bei der digitalen Transformation zählen, wird die Digitalisierung mittlerweile strategisch vorangetrieben.


Strategisch in der Plattformökonomie aufstellen

Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass der internationale Wettstreit um die Innovationsführerschaft bei digitalen Lösungen und Plattformen entscheidend ist – aber eben bislang noch nicht entschieden wurde. „Ziel für Maschinenbauunternehmen muss es daher sein, die direkte Kundenschnittstelle weiterhin zu kontrollieren und nicht an branchenfremde Anbieter wie die bekannten Internet-Giganten oder IT-Konzerne zu verlieren“, betont Wolfgang Lemb. Damit dies gelinge, müsse der Maschinenbau sich dringend strategisch in der Plattformökonomie aufstellen.

Als Rahmen für eine sichere Zukunft des Maschinen- und Anlagenbaus ist aus Sicht der IG Metall und ihrer Betriebsräte darüber hinaus eine zielgerichtete und beteiligungsorientierte Industriepolitik nötig – denn mit der digitalen Transformation, auch das zeigt die Studie, wird es sowohl zu strukturellen Veränderungen zwischen unterschiedlichen Beschäftigtengruppen wie auch zu qualitativen Veränderungen der Arbeitsbedingungen kommen. „Unter der Prämisse ’Wachstum durch digitale Angebote’ wird die Bilanz in den nächsten Jahren neutral bis positiv sein. Mittel- bis langfristig gesehen wird es wohl im Maschinen- und Anlagenbau aufgrund der Rationalisierungseffekte eher zu einem Arbeitsplatzabbau kommen, der weniger die direkten Bereiche der Produktion als die indirekten Bereiche wie Vertrieb, Verwaltung oder Büro treffen könnte“, so Wolfgang Lemb.


Starke Interessenvertretungen nötig, um Wandel zu gestalten

Für Beschäftigte in allen Qualifikationsstufen müssten deshalb Lösungen gefunden werden, um mit dem strukturellen Wandel in den Betrieben umzugehen. Dazu bedürfe es starker Interessenvertretungen und einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad in den Betrieben, die die Digitalisierung im Sinne der Beschäftigten mitgestalten, vorausschauende Qualifizierung einfordern und gesunde Arbeitsbedingungen im Blick behalten.

„Ein starker Betriebsrat ist eine wesentliche Grundvoraussetzung zur Gestaltung der Digitalisierung im Sinne der Beschäftigten im Betrieb“ sagte der Gewerkschafter. Dafür brauche man jedoch die notwendigen Ressourcen und das entsprechende Knowhow. Das sei insbesondere in den kleinen Betriebsratsgremien der vielen mittelständischen Maschinenbaubetriebe keine Selbstverständlichkeit. „Daher fordert die IG Metall die Bundesregierung auf, die Handlungsmöglichkeiten der Betriebsräte zu verbessern, um mit dem Arbeitgeber auf Augenhöhe über die Digitalisierung im Betrieb verhandeln zu können.“

Zukunft der Arbeit - Digitalisierung

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