Aufruf
„Wer nicht wählt, bestraft nur sich selbst“

Im Vorfeld der Bundestagswahl warnt der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann vor einem Rückfall in eine arbeitnehmerfeindliche Politik des Neoliberalismus und der Deregulierung.

19. September 201719. 9. 2017


Der größte Schrecken sei die Perspektive, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den deutschen Bundestag einziehen könnten. Im Interview fordert Jörg Hofmann die Beschäftigten auf, wählen zu gehen. Für eine Politik, die es allen ermöglicht, sicher, gerecht und selbstbestimmt zu leben und zu arbeiten.

Wenige Tage vor der Wahl sind viele immer noch unentschlossen, wen sie am Sonntag wählen werden. Fällt die Entscheidung aus Sicht eines Gewerkschafters leicht?

Jörg Hofmann: Die erste und wichtigste Entscheidung ist ganz einfach: wählen gehen und die Demokratie stärken. Der zweite Schritt ― die Wahlentscheidung ― ist für viele Kolleginnen und Kollegen schon schwieriger, weil die wichtigsten Themen medial im Wahlkampf völlig unterbelichtet waren.

Der Dieselskandal und die Abschiebepraxis verdrängten die für die Menschen wesentlichen Fragen. Die Leute wollen wissen, wie ihre Renten einmal ausfallen oder wie sicher ihr Arbeitsplatz in Zukunft ist, angesichts der Digitalisierung der Arbeitswelt. Stattdessen sehen sie im Fernsehen Diskussionen über den Bart des einen oder das schicke Plakat des anderen, stundenlang geht es um Einwanderungspolitik. Dabei sind die zentralen Fragen ganz andere: die nach guter Arbeit, guten Löhnen, guten Renten und guten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Dazu gehört zentral die Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Und es geht um eine Familienpolitik, die vor allem die Kinder schützt und unterstützt. Und es geht um mehr Gerechtigkeit in diesem Land. Etwa im Bildungssystem, das heute Chancen sehr ungerecht verteilt.


Auf der Zielgeraden wird immer wieder über mögliche Koalitionen diskutiert. In welcher Farbkombination ließen sich diese Anliegen denn am ehesten verwirklichen?

Ich will nicht über Koalitionen spekulieren. Die Menschen wählen und dann müssen wir alle das Beste daraus machen. Nach den Erfahrungen von 2009 bis 2013 kann ich eines aber ganz klar sagen: eine Wiederauflage von Schwarz-Gelb kann sich kein Arbeitnehmer in Deutschland wünschen. Denn damit droht Deutschland ein Rückfall in eine Politik der Deregulierung und die Einschränkung von Arbeitnehmer- und Sozialrechten. Klar ist aber auch: wir werden jeder Regierung, gleich welcher Färbung, ordentlich Druck machen.


Gibt es Parteien, die für einen Gewerkschafter gar nicht wählbar sind?

Als Einheitsgewerkschaft sind wir überparteilich, aber im Interesse der Beschäftigten nicht unparteiisch. Unsere Werte sind Solidarität, Gleichheit und Gerechtigkeit. Wir sagen klipp und klar Stopp bei Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Und deshalb ist eine Partei wie die AfD aus meiner Sicht nicht wählbar. Ihre Programmatik ist von Abgrenzung durchzogen. Rassistischen und rechtsradikalen Äußerungen ihrer Kandidatinnen und Kandidaten widerspricht sie nicht. Hier gilt es, klare Kante zu zeigen.


Was hat die jetzige Regierung aus Gewerkschaftssicht gut gemacht, wo hat es gehakt?

Die Regierung der Großen Koalition war vor allem im Reparaturmodus unterwegs. Das zeigt sich etwa in der Einführung des Mindestlohns, der Frage der Rente mit 63 sowie der Stärkung der Tarifbindung. Hier konnten wir einiges durchsetzen ― auch weil die Gewerkschaften gut beteiligt wurden.

Dies gilt auch für die Industriepolitik. Es gelang uns hier, dass unser Interesse nach nachhaltigen Beschäftigungsperspektiven in der Industrie nicht nur Gehör fand, sondern durch die Bundesregierung unterstützt wurde. Etwa bei Stahl. Gefehlt haben allerdings strategische Antworten auf die Herausforderungen der Transformation. Das gilt für das Thema Energie- und Mobilitätswende genauso wie für die Digitalisierung von Arbeitswelt und Gesellschaft. Hier muss die nächste Regierung liefern.


Ein nicht kleiner Teil wird am Sonntag wahrscheinlich gar nicht wählen. Kannst Du Menschen verstehen, die sich enttäuscht von der Politik abwenden?

Die richtige Antwort auf Enttäuschung heißt Engagement. Wer zu Hause bleibt, bestraft keine Partei, sondern nur sich selbst. Regiert wird er nämlich trotzdem, nur haben die anderen dann allein entschieden, von wem.

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