Gastkommentar von Christiane Benner im Handelsblatt
Das ist erst der Anfang

Deutschland bekommt die Frauenquote. Mit der Quote pünktlich zum Frauentag wurden Wertschätzung und greifbare Perspektiven in Gesetzesform gebracht. Das schreibt Christiane Benner geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, in ihrem Gastbeitrag für das Handelsblatt.

9. März 20159. 3. 2015


Das Gesetz ist zwar ein Krückstock, auf den sowohl die Arbeitgeber als auch die Frauen lieber verzichten würden. Jahre des Humpelns mit freiwilligen Quoten und unverbindlichen Selbstverpflichtungen haben aber gezeigt: Ohne Quote läuft es nicht. Die berüchtigte „gläserne Decke“ schadet allen Beteiligten. Sie bewirkt, dass qualifizierte Frauen selten in die Top-Positionen der Unternehmen vordringen. Und sie erzeugt einen allgemeinen Rückstau auf der Karriereleiter.

Jeder dritte Mann kann statistisch gesehen auf eine Beförderung hoffen, aber nur jede fünfte Frau. Noch immer klafft zwischen den Löhnen von Frauen und Männern in Deutschland eine Lücke von 22 Prozent. Das lässt sich keineswegs mit dem Verweis auf Babypausen und die Entscheidung von Frauen für schlechter bezahlte „Frauenberufe“, etwa in der Pflege, kleinreden. Im Gegenteil: Je älter und qualifizierter Frauen sind, desto weiter klafft die Gehaltsschere zwischen ihnen und den Männern auseinander. Daran ändert auch gleiche Berufserfahrung nichts. Entgeltgerechtigkeit kann es nur mit einer Gerechtigkeit bei den Chancen der Frauen auf gute Positionen in den Unternehmen geben. Das packt die Quote an.



Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall (Foto: Frank Rumpenhorst)

 

Nur jede fünfte Frau empfindet einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der IG Metall zufolge eine völlige Gleichstellung der Geschlechter. Nur jede Dritte sagt, dass Frauen gleich gute Chancen im Berufsleben haben wie Männer. Das Gefühl ist traurige Wirklichkeit: Deutsche Unternehmen sind spitze darin, Frauen auszuschließen. 59 Prozent der Firmen haben ausschließlich Männer in ihrem Führungsmanagement (Handelsblatt vom 6.3.). „Gender matters“ – das kann sich eine Demokratie nicht leisten. Und das kann sich die Wirtschaft nicht länger leisten. Deshalb ist es gut und wichtig, dass das neue Gesetz mit seiner 30-Prozent-Quote nicht nur eine Elitenveranstaltung für 108 voll mitbestimmungspflichtige börsennotierte Unternehmen bleibt. Denn es wirkt weiter. Künftig müssen 3 500 weitere Unternehmen sich selbst für ihre Spitzengremien und die oberen zwei Führungsebenen Zielvorgaben für die Repräsentanz von Frauen machen und darüber öffentlich Rechenschaft geben. Wenn Chefs etwas gegen Frauen an der Spitze haben, müssen sie sich also allseitig dazu bekennen. Mit allen Folgen für das Image ihres Unternehmens.

Positiv formuliert: Die Quote ist ein guter erster Schritt und die beste Förderung für die Unternehmenskultur, die die Wirtschaft in Deutschland erfahren kann. Davon haben alle etwas: Die Wissenschaft, wie zuletzt das MIT, hat schon längst bewiesen, dass gemischte Teams kollektiv intelligenter sind als Männerrunden. Wer einerseits einen Fachkräftemangel beklagt und gleichzeitig ein Geschlecht von Teilen des Arbeitsmarkts ausschließt, handelt widersprüchlich und unverantwortlich.

Frauen werden häufiger als Männer unterhalb ihrer Qualifikation eingesetzt: Bei Frauen mit einer beruflichen Ausbildung betrifft das 27 Prozent (Männer: 21 Prozent). Und weibliche Meister, Techniker oder Fachwirte zu 18 Prozent (Männer: elf Prozent). Das ergab die Beschäftigtenbefragung der IG Metall unter einer halben Million Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Hier liegen Potenziale brach.

Frauen sind weder bessere noch schlechtere Menschen. Insofern müssen sie die gleichen gelebten Rechte wie Männer bei Karriere und Bezahlung zuerkannt bekommen, und sie müssen genauso wie führende Männer sowohl ihre Kompetenz als auch ihre Inkompetenz unter Beweis stellen dürfen.

Es kann nicht sein, dass 2015 das Wort „weiblich“ der Oberbegriff für Teilzeit, Minijob, Altersarmut und Ehegattensplitting mit den bekannten finanziellen Folgen ist. Die Wirtschaft hat nicht die alleinige Verantwortung, sie kann aber einen erheblichen Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit leisten. Dazu gehört auch, den Blick auf die Mechanismen im eigenen Unternehmen zu lenken, die den Aufstieg von Frauen erschweren. Warum bedeutet Teilzeit meistens das Aus für den Aufstieg? Erklärt das vielleicht die geringe Teilzeitquote von sechs Prozent der Väter?

Wer die Besten will, kann auf Frauen nicht verzichten. In vielen Unternehmen arbeiten deshalb Führungskräfte und Betriebsräte daran, dass Frauen wirklich alle Wege offen stehen und sie das auch sehen können: Entwicklungschancen, Entgeltgerechtigkeit und Vereinbarkeit lauten die Schlüsselwörter. Wer keine Perspektive hat oder kein Ziel sehen kann, macht sich oft erst gar nicht auf den Weg. Sosehr das neue Gesetz zu begrüßen ist, es ist noch nicht zu Ende gedacht. Die Quote behandelt die Aufsichtsräte als homogene Gremien, die sie aber nicht sind. Dabei ist entscheidend, wen letztlich die Sanktion des leeren Stuhls trifft: die Anteilseigner- oder die Arbeitnehmerseite.

Für einen wirklichen Kulturwandel muss verhindert werden, dass sich die Anteilseigner auf den besseren Zahlen der Vertretung von Betriebsräten und Gewerkschaften ausruhen. Wohlgemerkt ist jede dritte Anteilseignerbank von börsennotierten Unternehmen komplett frauenfrei. 60 Prozent aller weiblichen Aufsichtsratsmitglieder vertreten die Seite der Arbeitnehmer. Deshalb muss jede Seite für sich die Quote erbringen. Mit der Forderung der Quote fordern sich natürlich auch die Gewerkschaften heraus: Die Arbeitnehmerbank setzt sich aus leitenden Angestellten, Gewerkschaftsvertretern und Vertretern aus der Belegschaft zusammen. Die IG Metall etwa stellt bereits gut 20 Prozent Vertreterinnen in den Aufsichtsräten. Es gibt im Betriebsverfassungsgesetz seit 2001 die Vorgabe, dass das Minderheitengeschlecht entsprechend seinem Anteil in der Belegschaft in einem Betriebsratsgremium vertreten sein muss. Der Anteil von Frauen im Organisationsbereich der IG Metall ist durch diese Art Quote seit 2001 immens gestiegen. Es geht also.

Mit der Quote wurde ein Ziel übertroffen, ohne übers Ziel hinauszuschießen. Die IG Metall hat sich mehrfach dafür eingesetzt, dass diese bewährte Systematik auch für die Wahl der betrieblichen Vertretung der Beschäftigten angewendet wird. Leider vergeblich. Und es ist ärgerlich, dass in der Politik bestimmte Fakten wie beispielsweise der geringe Anteil von Frauen in der Stahlindustrie von sechs bis neun Prozent einfach ignoriert werden.

Gewerkschaften sind in ihren Hausaufgaben auch insgesamt schon weiter. Während die IG Metall vor allem typische Männerbranchen organisiert, sind ihre Mitgliederschaft und ihre eigene Beschäftigtenstruktur, Letztere durch eine Quote, heute zunehmend weiblich. Es sind vor allem junge und weibliche Beschäftigte und Studentinnen, die die Gewerkschaft mit Neueintritten weiter stärken. Insofern kann die Wirtschaft auch von der IG Metall lernen.

Die neue Frauenquote wird ihr Signal nicht verfehlen. Gleichzeitig müssen aber auch die Rahmenbedingungen für das Arbeiten von heute und morgen anders werden – nicht nur, weil der Hauptunterschied zwischen Frauen und Männern die Gebärfähigkeit ist. Die Arbeitgeber werden an einer besseren Vereinbarkeit von Arbeit und Leben oder Familie und Beruf nicht vorbeikommen. Dieses Bedürfnis haben beide Geschlechter: Mittlerweile legen auch junge Männer genauso viel Wert auf familienfreundliche Arbeitsbedingungen im Unternehmen wie Frauen. Das trifft auch die Politik, die für bessere Strukturen in der Kleinkinder- und Kinderbetreuung sowie in der Pflege in der Pflicht steht. Für gelebte Gleichstellung brauchen wir zweifelsohne mehr Frauen, die sich trauen. Sie müssen sich selbst vom alten Dogma der drei K, nämlich Kinder, Küche, Kirche, lösen können. Wenn sie das wollen. Denn es geht nicht um Zwangsbeglückung, sondern um Wahlfreiheit.

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels der Gesellschaft ist Stillstand in den Betrieben nicht länger akzeptabel. Hier schlummern Potenziale. Ähnlichere Erwerbsverläufe von Männern und Frauen würden viele Probleme zumindest verkleinern. Eben auch das des „Gender Pay Gaps“, wo mit dem Mindestlohn jetzt zumindest ein Anfang gemacht ist. Die Frauenquote ist der nächste Schritt. Weitere müssen folgen.

 

Der Gastbeitrag erschien am 09. März 2015 im Handelsblatt.

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