Zeit zum Leben
Die richtige Arbeitszeit für jede Lebensphase

Beschäftigte wünschen sich, dass sich ihre Arbeitszeit ihrem Leben anpasst – nicht immer nur umgekehrt. Arbeitszeit soll besser planbar sein und selbstbestimmt. Genau das wollen wir: Verschiedene Lebensphasen brauchen passende Arbeitszeiten. Wir begleiten ein typisches Paar durch ihr Leben.

2. März 20172. 3. 2017


Unser Beispiel-Paar heißt Sophie und Jonas. Je nach Lebensphase haben die beiden ganz unterschiedliche Bedürfnisse, was ihre Arbeitszeit angeht:
 

Lebensphase 1: Aus- und Weiterbildung

Kennengelernt haben sie sich vor zwei Jahren am Ende ihrer Ausbildung. Sie, die Mechatronikerin, er, der Industriekaufmann. Jetzt gehen Sophie und Jonas auf Mitte zwanzig zu, sie wohnen zusammen und verdienen gutes Geld. Mit ihrer Arbeit sind sie allerdings nicht ganz zufrieden: Sophie steht am Fließband, Jonas tippt Angebote für Kunden. Das haben sie sich in der Ausbildung anders vorgestellt: mehr Anspruch, mehr Abwechslung, mehr Selbstbestimmung, mehr Verantwortung.

Sophie will mehr. Eine Fortbildung zur Technikerin würde ihr sicher interessantere Perspektiven eröffnen. Oder vielleicht sogar studieren, Ingenieurin werden und in der Entwicklung arbeiten. Das geht ja auch ohne Abitur. Jonas wollte sowieso schon immer studieren, am liebsten Betriebswirtschaft, und irgendwann ins Management aufsteigen.


Wunsch nach Veränderung

Doch wie, wenn man den ganzen Tag arbeitet? Den Job kündigen und woanders wieder von vorne anfangen? Die Wohnung, das Auto, Urlaub, das muss doch alles bezahlt werden. Die staatlichen Fördergelder wie BAföG, Aufstiegs-BAfög oder das Weiterbildungsstipendium reichen dafür hinten und vorne nicht.



Dann vielleicht weniger arbeiten und abends oder am Wochenende lernen? Für die Technikerschule funktioniert das noch. Doch zum Studieren? Bis zur nächsten Hochschule, die ein Teilzeit-Studium anbietet, ist es weit. Dann doch eher eine berufliche Fortbildung zum Betriebswirt. Aber macht der Chef das mit? Jonas traut sich gar nicht zu fragen. In seiner Abteilung fallen oft spontan Überstunden an. Damit gehört er zu den 30 Prozent der Beschäftigten, deren Arbeitszeit sich laut einer IG Metall-Befragung häufig kurzfristig ändert. Und Sophie arbeitet Schicht. Wie soll da Weiterbildung gehen?


Weiterbildung dank Arbeitsteilzeit

So wie Jonas und Sophie geht es vielen. 73 Prozent der Beschäftigten unter 35 Jahren sagten in einer IG Metall-Befragung 2013, dass sie Weiterbildung brauchen. Doch die Hälfte kann nicht, weil ihr Arbeitgeber ihnen nichts anbietet, weil der Arbeitsdruck keine Zeit lässt oder weil das Geld für eine Auszeit fehlt. Deshalb hat die IG Metall vor zwei Jahren das Recht auf Bildungsteilzeit durchgesetzt, um den Beschäftigten bessere Chancen für ihre Weiterbildung zu geben.

Sophie erinnert sich: Am Ende ihrer Ausbildung hat die Jugend- und Auszubildendenvertreterin erklärt, wie das mit der Weiterbildung und dem IG Metall-Tarifvertrag zur Bildungsteilzeit funktioniert. Sogar eine bis zu siebenjährige Auszeit ist drin. Damit geht auch ein Studium.


Erste Anlaufstelle: Betriebsrat

Sophie geht zu ihrer damaligen Jugend- und Auszubildendenvertreterin, die mittlerweile im Betriebsrat ist. Ein paar Wochen später unterschreiben Sophie und Jonas ihre Bildungsvereinbarungen mit dem Arbeitgeber, so wie es der IG Metall-Tarifvertrag vorsieht: Erst arbeiten beide voll, ein Teil des Lohns fließt jedoch auf ihr Bildungskonto. Später arbeitet Sophie kürzer, ohne Schicht, und geht abends auf die Technikerschule. Jonas verlässt den Betrieb für vier Jahre und studiert. Das Geld wird knapper, aber mit den staatlichen Fördergeldern reicht es, um Wohnung und Auto zu halten.
 
Zwei Jahre später ist Sophie frischgebackene Technikerin. Doch zunächst landet sie wieder in ihrem alten Job am Band. Aus ihrer Bewerbung für die Konstruktion wird nichts. Aber immerhin schafft sie es ein paar Monate später in die Instandhaltung. Jonas kommt nach vier Jahren von der Uni wieder, nicht auf seine alte Stelle, aber auf eine vergleichbare im Controlling. Einer der Controller geht bald in Altersteilzeit, dann wird er sich auf die frei werdende Position bewerben.


Lebensphase 2: Familienzeit

Sophie und Jonas sind Anfang, Mitte dreißig, sie haben in ihrem Beruf Fuß gefasst. Die Arbeit macht viel Spaß, aber sie ist für Sophie und Jonas nicht alles im Leben. Überglücklich sind sie, als Sophie schwanger wird. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Plötzlich stellen sich ganz neue Fragen.
 
Sophie und Jonas wissen, dass sie mit einem Kind in den ersten Jahren nicht beide weiter in Vollzeit werden arbeiten können. Das ist okay. Das wollen sie auch gar nicht. Sie wollen beide gute Eltern sein und Zeit für ihr Kind haben. Jonas kann sich nicht vorstellen, weiter nur für die Arbeit zu leben, wie es sein Vater getan hat. Im Väterreport hat er gerade gelesen, dass mehr als die Hälfte der Väter mit Kindern unter sechs Jahren gerne mindestens die Hälfte der Kinderbetreuung übernehmen würden; 76 Prozent der jungen Männer wünschten sich heute eine Partnerin, die selbst für den eigenen Lebensunterhalt sorgt. Das kann Jonas unterschreiben.


Kind an erster Stelle

Für Sophie ist klar: Sie will sich um ihr Kind kümmern. Aber das heißt nicht, dass sie mit der Geburt des Kindes ihre Arbeit aufgeben wird. Dafür mag sie ihren Beruf zu sehr. Dafür ist ihr Arbeit für ihr eigenes Selbstwertgefühl zu wichtig. Sophie will von niemandem finanziell abhängig sein und sie weiß auch, dass sie sich um ihre Rente kümmern muss.



Sophie und Jonas sind sich einig, dass sie beide für das Kind da sein wollen, aber dafür nicht ihre Arbeit aufgeben werden. Sie beschließen, dass beide sieben Monate lang Elternzeit nehmen, erst Sophie, dann Jonas. Dann wollen sie Emma zu einer Tagesmutter bringen – und wieder in ihrem Beruf arbeiten. Ein bisschen weniger als jetzt: 30, 32 Stunden die Woche, eine „kurze Vollzeit“, das wäre toll.


Anders als geplant

Dann kommt alles anders. Jonas Chef reagiert harsch auf die angekündigten sieben Monate Elternzeit. Die anfallende Arbeit sei so viel, die Personaldecke so dünn, Jonas solle doch bitte, auch im Hinblick auf seine Karriere, noch mal überlegen, ob es wirklich gut sei, sieben Monate Elternzeit zu nehmen. Jonas überlegt es sich – und nimmt, als Emma ihren ersten Geburtstag feiert, zwei Monate. Danach arbeitet er in Vollzeit weiter. Er würde gern seine Arbeitszeit vorübergehend senken, aber die Familie braucht das Geld. Und Sophie ist nicht richtig zurück in ihrem Job.

Sophie hat geglaubt, nach sieben Monaten wieder in ihren alten Beruf einsteigen zu können. Aber so einfach ging es nicht. Das erste Jahr bleibt Sophie zu Hause, im zweiten Jahr haben sie für Emma eine Tagesmutter gefunden, wochentags von acht bis eins. Am Anfang ist Sophie froh, einen Teilzeitvertrag unterschrieben zu haben, zwanzig Stunden pro Woche, zwar nicht in ihrem alten Job, aber das ist vorübergehend okay. Die Tage sind anstrengend genug.


Längere Arbeitszeit für Sophie ausgeschlossen

Als Emma in den Kindergarten kommt und bis spätnachmittags weg ist, möchte Sophie gerne wieder länger arbeiten und zurück auf ihre alte Stelle – aber das, sagt ihr Arbeitgeber, ist nicht möglich. Ihre Stelle ist mittlerweile anderweitig besetzt und derzeit nichts anderes frei. Sophie ist wütend, verletzt. So hatte sie sich das nicht vorgestellt.

So hatten sich das beide nicht vorgestellt. Ein verbrieftes Rückkehrrecht aus Teilzeit, da sind sie sich einig, würde Sophie helfen. Einig sind sie sich auch, dass es echte Wahlmöglichkeiten bei der Arbeitszeit geben sollte. Jonas würde dann jede Woche einen Tag weniger arbeiten. Das kann er aber nur machen, wenn es, wie es die IG Metall fordert, eine Entgeltaufstockung gibt – entweder vom Unternehmen oder vom Staat. Sonst können sie sich das finanziell nicht leisten.


Lebensphase 3: Neuorientierung

Sophie und Jonas sind inzwischen Ende 40. In ihrem Privatleben beginnt sich einiges zu ändern. Emma und ihr Bruder Ben sind keine Kinder mehr, fangen an, ihre eigenen Wege zu gehen. Sophie und Jonas haben wieder mehr Zeit für sich. Jetzt, in der Mitte des Lebens, kommt das Paar ins Grübeln. Wie soll es die nächsten Jahre und Jahrzehnte weitergehen? Beide sind seit über 25 Jahre im Betrieb. Die Arbeit macht ihnen noch Spaß. Aber noch mal 15 Jahre denselben Job machen? Bis zur Rente?



Schaff ich das gesundheitlich überhaupt, fragt sich Sophie, die trotz ihrer Weiterbildung zur Technikerin immer noch als Mechatronikerin in der Instandhaltung arbeitet. Ein interessanter Job, aber auch körperlich anstrengend. Außerdem geht ihr die Frage durch den Kopf, was die Digitalisierung für ihre Arbeit bedeutet. Sollte sie die neue Lebenssituation vielleicht lieber nutzen, um etwas Neues auszuprobieren? Oder um beruflich weiterzukommen – jetzt, wo sie wieder Zeit hat, zu lernen und sich weiterzubilden.


Neue berufliche Ziele

Sophie entschließt sich, eine Aufstiegsfortbildung zur geprüften Betriebswirtin zu machen. Sie kann das an einer Wirtschaftsakademie neben der Arbeit in Teilzeit machen. Das dauert etwa zwei Jahre. Ihr Arbeitgeber legt ihr keine Steine in den Weg. Er akzeptiert, dass sie die nächsten zwei Jahre nur die Hälfte der normalen Zeit arbeitet. Muss er auch, weil Sophie das Recht hat, ihre Arbeitszeit zu halbieren, um sich weiterzubilden.

Der Tarifvertrag zur Bildungsteilzeit macht es möglich. Nach dem Studium hat sie wieder Anspruch auf eine Vollzeitstelle. Bald wird die Fertigung umgestellt auf digitale Produktion. Dann gehört sie zu den ersten Anwärtern auf einen gut bezahlten Job in der Planung und Steuerung der Fertigungskette.


Lebensphase 4: Pflegezeit

Pflegezeit Sophie und Jonas, mittlerweile beide Ende 50, wünschen sich, dass es jetzt ruhig weitergeht bis zur Rente. Dann kommt das Leben dazwischen. Plötzlich passen Leben und Arbeit nicht mehr zusammen.
Sophies Mutter ist schwer erkrankt, sie braucht Hilfe, Pflege, das ist schnell klar. Und dann hat Emma eine Tochter bekommen. Sophie und Jonas ist bewusst, dass sie nicht so weitermachen können und wollen. Sie brauchen Zeit – für die kranke Mutter, für das kleine Baby. Aber mit ihrer Arbeit lässt sich das nur schlecht vereinbaren.

Sophie arbeitet nach ihrer Aufstiegsfortbildung zur geprüften Betriebswirtin wieder in Vollzeit, Jonas weiter als Betriebswirt auf seiner alten Stelle im Controlling. Beide wollen nun ihre Arbeitszeit um einen Tag in der Woche verringern. Erst mal aber geht es für Sophie darum, möglichst schnell eine Auszeit, eine Freistellung zu bekommen, denn für die Mutter muss eine Pflege organisiert werden. Sophie hat sich informiert, weiß, dass für die Pflege von Angehörigen eine Freistellung möglich ist.


Pflegezeitgesetz mit zwei Optionen

Das Pflegezeitgesetz regelt zweierlei Arten der Arbeitsbefreiung. Zum einen die Kurzzeitpflege bis zu zehn Tagen, zum anderen die längerfristige Freistellung bis zu sechs Monaten. Beide Formen sind dem Gesetz nach unbezahlt. Sophie entscheidet sich für die Kurzzeitpflege, in den ersten zehn Tagen kann sie viel erledigen.



Aber es reicht nicht. Jonas stößt mit seinem Wunsch, einen Tag weniger zu arbeiten, in der Personalabteilung auf taube Ohren. Einen Tag weniger zu arbeiten, das funktioniere in seiner Position nicht, wird ihm gesagt. Und Sophie? Die bekommt gesagt, sie könne gerne wieder Teilzeit arbeiten, 20 Stunden, alles andere gehe leider nicht.


Die Rente muss reichen

Sophie arbeitet weiter Vollzeit, sie muss dringend voll in die Rentenkasse einzahlen. Abends und an den Wochenenden fährt sie zur Mutter. Es kostet alles Kraft. Einen Tag in der Woche weniger zu arbeiten, das müsste möglich sein, finden Sophie und Jonas. Damit das geht, müsste es einen Entgeltausgleich geben – schließlich müssen die beiden ja weiter ihr Haus abbezahlen.
 

Lebensphase 5: Berufsausstieg

Sophie ist knapp 61 und hätte bis zur Rente ohne Abschläge noch etwa fünf Jahre in der Firma vor sich. Die jahrelange Schichtarbeit hat ihr gesundheitlich zugesetzt. Immer öfter denkt sie, dass das Leben weniger anstrengend sein könnte. Dass es schön wäre, wenn sie mehr Zeit für sich persönlich hätte: zum Lesen, Fahrrad fahren oder einfach nur, um länger auszuschlafen.

Ihre Entscheidung steht schnell fest: Sie will früher aufhören zu arbeiten. Die Lösung wäre Altersteilzeit. Dazu hat die IG Metall Tarifverträge mit den Arbeitgebern abgeschlossen. Bis zu vier Prozent der Belegschaft kann bis zu sechs Jahre früher in Altersteilzeit gehen.


 

Individuelle Wahlmöglichkeiten

Was die IG Metall für andere Lebensphasen noch erstreiten will, hat sie für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon erreicht: individuelle Wahlmöglichkeiten. Wer vorzeitig aussteigen will, kann während der ganzen Altersteilzeit Teilzeit arbeiten. Oder die erste Hälfte voll arbeiten und sich in der zweiten Hälfte komplett freistellen lassen. Oder die Arbeitsdosis peu à peu senken und so sanft in den Ruhestand gleiten. Sophie will erst zweieinhalb Jahre weiter voll arbeiten und danach zweieinhalb Jahre freigestellt sein.

Sie hat Glück: Ihrem Antrag wird zugestimmt, weil die Quote noch nicht ausgeschöpft ist. Das ist nicht in allen Firmen so. In vielen Betrieben ist das Durchschnittsalter so hoch, dass viel mehr als vier Prozent der Belegschaft in Altersteilzeit gehen wollen. Um die Alterung der Belegschaften berücksichtigen zu können, setzt sich die IG Metall für höhere Quoten ein.


Aufstockung der Altersteilzeit

Während der Altersteilzeit stockt der Arbeitgeber das Teilzeitentgelt auf etwa 85 Prozent des vorherigen Lohns auf und zahlt zusätzliche Beiträge in die Rentenversicherung. Bei Kolleginnen und Kollegen mit kleinem Einkommen, die sich Altersteilzeit eigentlich kaum leisten könnten, stockt der Betrieb das Entgelt überproportional auf. Auch das ist in Tarifverträgen geregelt.

Jonas kann sich ein Leben ohne Arbeit noch nicht so richtig vorstellen. In letzter Zeit hat er sich stark auf die Arbeit konzentriert und sich kaum Zeit für Hobbys gegönnt. Und dann plötzlich von 100 Prozent Arbeit auf null? Er hat Angst, als Rentner in eine große Sinnkrise zu stürzen. Er wäre nicht der erste. Darum entscheidet er sich für den gleitenden Ausstieg. So kann er sich langsam auf die neue Lebensphase einstellen und in Ruhe neue Betätigungen suchen.

Wenn er dann bei null Arbeitsstunden angekommen ist, werden seine Freunde sagen: typisch Rentner – nie Zeit.
 

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