Polytech München
Windrad-Sensor-Spezialisten kämpfen um ihre Zukunft

So wird Hightech für die Energiewende verramscht: Vor 13 Jahren wurden sie als Wind-Startup mit Steuergeld aus der TU München ausgegründet – und dann an den Polytech-Konzern verkauft, der jetzt verlagern und schließen will. Doch die Beschäftigten kämpfen mit der IG Metall für einen Zukunftstarif.

22. Juni 202322. 6. 2023


Schließung bis Ende September. Die hochmoderne Entwicklung und Fertigung von Sensoren für Windräder soll verlagert werden. Das hat die Polytech-Konzernleitung in Dänemark entschieden.

Warum genau und wie das funktionieren soll – das haben die 45 hochqualifizierten Beschäftigten bei Polytech in München-Sendling immer noch nicht verstanden. Deshalb kämpfen sie gemeinsam mit der IG Metall um ihre Zukunft und haben dazu jetzt eine Tarifkommission gewählt, die Forderungen aufstellt und mit dem Arbeitgeber verhandeln soll.
 

Schwarze Zahlen und hohe Nachfrage

Sie schreiben schwarze Zahlen. Und Ihre Produkte haben eine große Zukunft – das sagt auch die Konzernleitung: Tausende Windräder müssen für die Energiewende gebaut werden. Jedes einzelne braucht Sensoren und Systeme, die das Windrad steuern und abschalten, wenn es zu windig wird oder wenn die Rotoren vereisen. Umso genauer die Sensoren, umso länger kann das Windrad weiterlaufen und Strom produzieren. Und die Münchner sind mit ihren Patentlösungen weltweit führend, sie liefern etwa auch an chinesische Windradbauer.
 

Ausgliederung an Zulieferer ohne Kompetenz

Doch Polytech will sich „aufs Kerngeschäft konzentrieren“ und die Fertigung der Sensoren künftig an einen dänischen Zulieferer ausgliedern, der allerdings noch keinerlei Kompetenzen in dieser Technologie hat. Gegenüber den Medien spricht Polytech von einer „strategischen Entscheidung“.

„Angeblich finden sie dort in Dänemark auf dem Land mehr qualifizierte Arbeitskräfte als in München“, kritisiert Sensor-Entwicklerin Christine Heimerl, die seit einem Jahr auch Vorsitzende des neugewählten Betriebsrats ist. „Dass das dort in absehbarer Zeit funktioniert, halten wir für unrealistisch. Das gefährdet auch die Lieferketten bei unseren Kunden, den Windradherstellern.“
 

Wind-Startup mit Steuergeld gefördert – und dann verhökert

Ihr Standort im Münchner Stadtteil Sendling wurde vor 13 Jahren als Startup aus der Technischen Universität (TU) München unter dem Namen „fos4X“ ausgegründet, mit Steuergeldern des Freistaats Bayern gefördert, der auch Anteilseigner war. Noch vor drei Jahren arbeiteten 120 hochqualifizierte Beschäftigte hier.

Doch dann verkaufte der Freistaat Bayern seine Anteile an den dänischen Windenergiekonzern Polytech, der den Standort übernahm.

Und bald fingen die Probleme an.
 

Entlassen und rausekeln: von 120 auf 45 Beschäftigte

In zwei Entlassungswellen wurden jeweils 10 Prozent der Belegschaft entlassen. Grund: finanzielle Probleme bei der Konzernmutter.

Auch der bisherige Geschäftsführer – der Chefentwickler, auf dessen Forschungsarbeiten ein Großteil der Technologie basiert – wurde entlassen. Die Geschäftsführung übernahm der CEO (Konzernchef), der ein-, zweimal im Jahr aus Dänemark eingeflogen kommt. Auch andere Führungskräfte wurden entlassen und ihr Job von Führungskräften weit weg in Dänemark übernommen, denen das technische Know-How fehlt.

Von den verbliebenen rund 80 Beschäftigten warfen noch einmal etliche das Handtuch, gingen – und nahmen ihr Know-How mit.

Heute hat der Standort noch 45 Beschäftigte. Aber sie wollen kämpfen.
 

Beschäftigte erarbeiten Konzepte – Konzernspitze sagt nein

Schnell wurde den Beschäftigten klar, dass sie die Sicherung ihrer Zukunft selbst in die Hand nehmen müssen.

Sie wandten sich an die IG Metall München und gründeten vor einem Jahr einen Betriebsrat – mit über 84 Prozent Wahlbeteiligung. 11 Beschäftigte kandidierten.

Ende letzten Jahres legten die Beschäftigten der Konzernspitze dann eigene Zukunftskonzepte vor. Diese sehen unter anderem die Erschließung neuer Geschäftsfelder vor.

 „Die Konzernspitze hat sich unsere Vorschläge angeschaut – und dann einfach gesagt: Nein“, ärgert sich die Betriebsratsvorsitzende Christine Heimerl. „Als Gegenvorschlag kam dann von ihnen: Wir schließen einfach alles und verlagern.“
 

Plan B: Belegschaft könnte Betrieb übernehmen

So nicht. Am Montag haben die Beschäftigten bei Polytech in München ihre Tarifkommission gewählt. Sie fordern einen Sozialtarifvertrag, etwa mit Abfindungen und Transfermaßnahmen. „Wir können es ihnen schwerer machen, uns nicht zuzuhören“, erklärt Christine Heimerl. „Wir wollen, dass die Konzernspitze unsere Alternativvorschläge ernst nimmt und tatsächlich bespricht.“

Ihr Ziel ist ein Zukunftstarifvertrag, der etwa Investitionen und eine erweiterte Mitbestimmung der Beschäftigten sichert.

Sie wollen ihren Betrieb erhalten. Sie haben das Know-How und die Konzepte für ihre Zukunft. Ein Vorschlag ist etwa, dass München-Sendling als selbständiger Zulieferer die bisherigen Aufträge von Polytech übernimmt. Ein Szenario reicht sogar so weit, dass sie selbst als Belegschaft den Standort übernehmen. Die Beschäftigten prüfen gerade gemeinsam mit Experten der IG Metall mögliche Unternehmensformen.

„Wir hoffen natürlich auch, dass wir Unterstützer für diesen Weg gewinnen, die mitmachen und sich an unserem Unternehmen beteiligen“, erklärt Produktionsingenieur und Betriebsrat Anton Groethuysen.
 

Kampf um Standort – notfalls auch mit Streik

Die Polytech-Beschäftigten werden von Klimaaktivisten unterstützt, die mit ihnen für den Erhalt grüner Hochtechnologie in München kämpfen. Auch die SPD in München und in Bayern setzt sich für den Erhalt des Standorts Sendling ein.

Und schließlich kommt als letztes Mittel auch ein Streik in Frage.

„Bis über den Sommer hinaus ist das dänische Unternehmen auf die IT-Leistungen und den Messgerätebau aus Sendling angewiesen“, macht Betriebsbetreuer Falko Blumenthal von der IG Metall München klar. „Das heißt, die Mitarbeiter haben einen Hebel für Verhandlungen. Falls Sachargumente nicht durchdringen, können sie auch streiken.“

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