Gesundheit am Arbeitsplatz
Gemeinsam die Belastungen reduzieren

Beim Automobilzulieferer Selzer in Driedorf (Lahn-Dill- Kreis) initiiert der Betriebsrat Workshops mit Beschäftigten und Vorgesetzten. Es zeigt sich: Fehlende Wertschätzung und mangelnde Kommunikation erzeugt zusätzlichen Stress. Jetzt gibt es verbindliche Absprachen.

14. Juli 201714. 7. 2017


Was sagt man, wenn ein Kollege ins Betriebsratsbüro kommt und von Schlafproblemen berichtet? Was antwortet man der Kollegin, die über Rückenschmerzen klagt, was dem jungen Kollegen, der erzählt, dass er am Wochenende nicht abschalten kann. Entspann Dich, besuch die Rückenschule, schau abends nicht mehr zu lange Fernsehen?

Sybille Brandenburger, 53 Jahre alt, seit 24 Jahren Betriebsratsvorsitzende beim Automobilzulieferer Selzer in Driedorf, sagt: „Nein, so geht das nicht.“ Wie es geht? „Wir mussten an die Ursachen von Belastungen ran. Die sind nicht im Privatleben der Beschäftigten zu finden. Sondern im stetig wachsenden Druck in der Arbeit.“


Nicht abschrecken lassen

Leicht gesagt, dieser Satz. Mit ihm ist nichts erreicht, im Gegenteil, er ist der Beginn eines langen Weges. Von diesem darf man sich nicht abschrecken lassen – man muss ihn, davon kann Sybille Brandenburger erzählen, Schritt für Schritt gehen. „Wir haben uns auf den Weg gemacht.“

Es war höchste Zeit. Rund 650 Menschen arbeiten bei Selzer in Driedorf; die Beschäftigten fertigen Getriebekomponenten, Schaltwellen, Kolbenstangen, Schaltgabeln. Es gibt Akkordarbeit, enge Taktzeiten, die Belastung der Beschäftigten wächst, die Anzahl krankheitsbedingter Fehltage steigt. „Die Situation hat sich nicht nur in der Produktion verschärft. Auch im Angestelltenbereich klagten die Kolleginnen und Kollegen über wachsenden Stress.“

 

Betriebsratsvorsitzende Sybille Brandenburger im Gespräch mit zwei Kollegen: „Wir müssen an die Ursachen von Belastungen ran.“ (Foto: Sven Ehlers)


Weiterbildung angestoßen

Sybille Brandenburger und ihrem Team ist klar, dass etwas geschehen muss. Und auch, dass sie selbst Fachwissen, weitere Kompetenz benötigen. Die holen sie sich bei unseren Seminaren vor Ort und von Matthias Holm, einem externen Referenten. „Danach hätten wir am liebsten sofort eine Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen abgeschlossen“, sagt die 53-Jährige. „Das wäre ein langer Kampf geworden. Wir wollten niederschwellig einsteigen.“

Statt also in Verhandlungen zu treten, laden Brandenburger und ihr Team die Führungskräfte des Unternehmens zum Workshop ein. Sie sollen einen Vormittag lang eigene Belastungen reflektieren, zusammen erarbeiten, wie sie Arbeit stressfreier gestalten können, und so Sensibilität für die Dringlichkeit des Themas aufbauen. Das gelingt – und ist Startpunkt für eine Reihe von Workshops, die nun in einzelnen Abteilungen mit den Beschäftigten stattfinden.


Fehlende Wertschätzung und unklare Anweisungen

„Wir haben die Workshops zweigeteilt“, sagt Sybille Brandenburger. Zu Beginn haben die Beschäftigten gemeinsam die Belastungsquellen in ihrer Arbeit zusammengetragen. Anschließend wurden die Vorgesetzten hinzugezogen. „Es zeigte sich, dass fehlende Wertschätzung, wenig Vertrauen und unklare Anweisungen bei den Beschäftigten zu viel zusätzlichem Stress führt. Den wollten wir abstellen.“

Sie haben viel geschafft. Am Ende der Workshops standen verbindliche Absprachen, konkrete Maßnahmen wie etwa die Intensivierung von Mitarbeitergesprächen. „Wir haben einen Anfang gemacht“, sagt Sybille Brandenburger. „Im zweiten Schritt wollen wir jetzt mit dem Instrument der Gefährdungsbeurteilung alle Arbeitsplätze auf ihre physischen Belastungen hin untersuchen und Stresssituationen reduzieren.“

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