Urteil des Bundesarbeitsgerichts
Beleidigung in einer Chatgruppe rechtfertigt fristlose Kündigung

Inwieweit ist eine unangemessene Kommunikation unter Arbeitskollegen in privaten Chatgruppen vertraulich oder kann zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen führen? Ein neues BAG-Urteil hat weitreichende Folgen für die Kommunikation am Arbeitsplatz, in der Freizeit und für den privaten Umgang im Internet.

19. April 202419. 4. 2024


Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder auch von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung bedeuten, stellen eine erhebliche Pflichtverletzung dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Allein der Umstand, dass die Äußerungen in einer privaten Chatgruppe gefallen sind, führt nicht dazu, ihnen von vornherein die Vertragspflichtwidrigkeit abzusprechen, da sie sich auf Vorgesetzte und Kollegen und damit auf betriebliche Umstände beziehen.

Bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende Dritte besteht in besonders engen Lebenskreisen eine beleidigungsfreie Sphäre, also ein geschützter Raum, aus dem kein Beleidigungsvorwurf abgeleitet werden kann. Zu den Voraussetzungen der durch Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz gewährleisteten Entfaltung der Persönlichkeit gehört es, dass der Einzelne über einen Raum verfügt, in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor Sanktionen verkehren kann. Dies gilt insbesondere für Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen.

Nur unter den Bedingungen besonderer Vertraulichkeit ist es dem Einzelnen möglich, Emotionen vorbehaltlos auszudrücken, geheime Wünsche oder Ängste zu offenbaren, das eigene Urteil über Verhältnisse und Personen freimütig zu äußern oder sich selbst entlastend darzustellen. In diesen Situationen kann es auch zu Äußerungsinhalten oder -formen kommen, die sich der Einzelne gegenüber (ihm nicht vertrauten) Außenstehenden oder in der Öffentlichkeit nicht zutraut.
 

Vertrauliche Kommunikation? Es kommt darauf an ...

Der Kreis möglicher Vertrauenspersonen ist dabei nicht auf Ehepartner oder Verwandte beschränkt, sondern erstreckt sich auf ähnlich enge – auch rein freundschaftliche – Vertrauensverhältnisse. So rechtfertigen auch vertrauliche Gespräche unter Arbeitskollegen nicht ohne weiteres eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

In solchen Gesprächen darf der Arbeitnehmer regelmäßig darauf vertrauen, dass seine Äußerungen nicht nach außen getragen werden. Er muss nicht damit rechnen, dass sie den Betriebsfrieden stören und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber belasten. Eine bloß einseitige Vertraulichkeitserwartung reicht insoweit allerdings nicht aus. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer darauf vertrauen durfte, dass seine Kollegen die Äußerung für sich behalten würden. Eine solche berechtigte Vertraulichkeitserwartung gilt aber nicht ohne weiteres für alle Gesprächssituationen unter Arbeitskollegen gleichermaßen.

So kann insbesondere bei Zusammenkünften einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern bezweifelt werden, dass die Gesprächsteilnehmer Äußerungen über den Arbeitgeber oder Vorgesetzte für sich behalten. Die Vertraulichkeitserwartung hängt auch vom jeweiligen Gesprächsinhalt ab. Geht es um Äußerungen, die den Betriebsfrieden in besonderem Maße stören und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber erheblich belasten würden, muss die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Gesprächsinhalt nicht an Außenstehende weitergegeben wird.

Für die Vertraulichkeitserwartung kommt es auch auf die Größe der Gruppe an in welcher die Äußerungen gemacht wurden. Bei einer Kommunikation mit ein oder zwei anderen Personen ist eher eine Vertraulichkeitserwartung berechtigt, als wenn es sich um eine größere Chatgruppe handelt, was im konkreten Streitfall bei sieben Chatteilnehmern angenommen werden konnte. Auch ist von Bedeutung, ob es bei Äußerungen, die in besonderer Weise menschenverachtend sind oder nachhaltig zu Gewalt aufstacheln, überhaupt eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung gegeben sein kann.

Hier geht es zum Volltext der BAG-Entscheidung vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23.

 

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