Beschäftigte der Hanauer Vacuumschmelze im Warnstreik
Für ein gemeinsames Ziel einstehen

Die Belegschaft der Vacuumschmelze im hessischen Hanau gehörte zu den ersten, die in den 24-Stunden-Warnstreik gingen. Ab sechs Uhr morgens füllte sich das Streikzelt. Einen ganzen Tag streiken war für viele eine ungewohnte Erfahrung. Aber eine gute.

1. Februar 20181. 2. 2018


Grauer Himmel, kalter Wind, menschenleere Straße. Nur zwei Frauen und zwei Männer in roten IG Metall-Schals und Streikwesten sitzen einsam auf einer Bank, vor sich eine wärmende Tonne mit brennenden Holzscheiten. Sie bewachen ein verriegeltes Tor zum Gelände der Vacuumschmelze. Falls irgendwer auf den Firmenhof wollte, würden sie es verhindern. Will aber keiner. Weder Beschäftige noch Lieferanten. „Geh um die Ecke, da ist mehr los“, sagen sie.

 

 

Stimmt. Um die Ecke sind schon von weitem Menschentrauben in roten Anoraks, Westen, Mützen und Schals und ein großes weißes Zelt zu sehen. Es sind Stimmen zu hören und eine laute Trommel. In dem Metallbetrieb im hessischen Hanau hat vor drei Stunden der 24-Stunden-Streik angefangen. Auf dem Weg zum Schauplatz: Übertragungswagen vom Hessischen Rundfunk und von Sat 1. Im Zelt sitzen dicht gedrängt etwa 250 Menschen. An den Wänden bunte IG Metall-Plakate, Transparente. Wäre nicht alles so rot, sähe es aus wie auf einem Volksfest. So ist auch die Stimmung im Zelt. „Ihr wart das Gesicht der IG Metall heute im Fernsehen. Ihr wart super“, ruft Uwe Zabel vom Podium vorne den Streikenden zu. Er ist Sekretär der IG Metall Mitte, zu der Hessen gehört. Die streikende Belegschaft der Vacuumschmelze war im Morgenmagazin zu sehen, am Abend davor schon in der ZDF-Sendung „heute“.


„Eigentum verpflichtet, zum sozialen Wohl beizutragen.“

Im Zelt heizen Betriebsräte und Metaller auf dem Podium den Versammelten ordentlich ein. „Die Arbeitgeber wollen immer die Bestimmer sein. Damit muss Schluss sein. Wir wollen selber entscheiden, wie und wie lange wir arbeiten.“ Dafür gibt es Applaus und Trommelwirbel. „Eigentum verpflichtet, zum sozialen Wohl beizutragen. Wer Kinder erzieht und Angehörige pflegt, erfüllt eine gesellschaftliche Aufgabe und hat Anspruch auf Unterstützung.“ Wieder kräftiger Applaus. Zabel greift die Arbeitgeber an, weil sie mit Klagen vor Gerichten drohen. „Wir lassen nicht zu, dass sie unsere in langen Kämpfen erstrittenen Streikrechte mit Füßen treten.“ Zustimmendes Klatschen und Trommeln. Es macht klar: Sie, die Streikenden bei der Vacuumschmelze, lassen sich von solchen juristischen Manövern der Arbeitgeber nicht beeindrucken.

Sie sind sauer auf die Arbeitgeber. Auch wegen ihres knauserigen Angebots für die Entgelterhöhung. Die drei Prozent, die sie in der fünften Verhandlungsrunde über die gesamte Laufzeit geboten haben ― für die Hanauer „eine Provokation“. Die Aktionäre kriegen mal schnell 20 Prozent Dividendenerhöhung ― ohne dafür streiken zu müssen, schimpft einer. Sauerei.


Arbeitgeber sollten mehr bieten

Younes Aourak nennt es „einen Witz“. Der 30-Jährige ist Schmelzer im Drei-Schicht-Betrieb. „Die Wirtschaft brummt, auch unser Betrieb. Wir schmelzen, was das Zeug hält, schieben samstags und sonntags Überstunden.“ Die Arbeitgeber müssten deutlich mehr bieten, sagt er.

Das findet auch Andrea Staaf . Sie arbeitet im Controlling. „Die Schere zwischen arm und reich darf nicht immer weiter auseinandergehen.“ Es sei wichtig, dass wir uns für mehr Gerechtigkeit einsetzt, sagt die 44-jährige Angestellte, die erst seit einem Jahr bei uns ist und früher mal in der FDP war.


Wechsel von Teil- auf Vollzeit häufig ein Problem

Andrea Staaf arbeitet Teilzeit, 25 Stunden die Woche. Menschen wie sie geben die Arbeitgeber vor schützen zu wollen, wenn sie gegen unsere geforderte verringerte Vollzeit zu Felde ziehen. Frauen, die jetzt schon Teilzeit arbeiten, würden benachteiligt, wenn Beschäftigte ihre Arbeitszeit bis zu zwei Jahre auf 28 Stunden verringern können ― und dafür einen Zuschuss erhalten. Weil die, die schon reduziert arbeiten, keinen Zuschuss bekämen. „Wenn ich das auch so sähe, säße ich nicht hier im Streikzelt“, sagt sie. „Da bin ich solidarisch“. Sie hat selbst drei Kinder und findet es gut, dass wir uns tarifpolitisch zum Ziel gesetzt haben, Beruf und Familie besser zu vereinbaren.

„In Teilzeit zu wechseln, ist bei der Vacuumschmelze nicht so schwierig“, sagt Betriebsrätin Michaela Heid. „Aber viele Mütter möchten nach einer Zeit wieder in Vollzeit zurückzukehren. Und das ist oft ein Problem.“ Eines, das gelöst werden könnte, wenn wir unsere Forderung durchsetzen.


„28-Stunden-Woche wäre eine große Errungenschaft“

„Mich betrifft es zwar im Moment noch nicht, weil ich keine Kinder und auch noch keine pflegebedürftigen Verwandte habe“, sagt Younes Aourak. „Aber das wird sich mal ändern. Ich finde, die 28-Stunden-Woche wäre eine große Errungenschaft.“

Im Laufe des Vormittags kommen Kollegen von Verdi, der IG BCE, von Heraeus, ABB und Norma, um sich mit ihren Kolleginnen der Vacuumschmelze zu solidarisieren. Das kommt gut an.


Regen und Kälte trotzen

Der 24-Stunden-Streik läuft noch keine sechs Stunden. Im Laufe des Tages werden noch mehr Menschen aus anderen Betrieben kommen, um sich zu solidarisieren. Andere Kollegen der Vacuumschmelze werden dazu kommen. „24 Stunden zu streiken, das hat viel mehr Symbolkraft“, findet Younes Aourak. „Es beeindruckt die Arbeitgeber mehr und es stärkt unter uns das Gefühl, dass wir alle für ein gemeinsames Ziel zusammenstehen. Und dafür halten wir auch 24 Stunden Kälte aus.“ Ab Mittag kommt noch Regen dazu. Macht aber nichts. Im Zelt ist es warm.

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