Nordex Werk und MV-Werften erhalten
Deutschlands Energieplan droht zu scheitern

Deutschland soll bei der Energie unabhängiger von Russland werden und gleichzeitig klimaneutral. Durch die Schließung des letzten deutschen Rotorenwerks von Windkraftanlagenbauer Nordex und der Insolvenz der MV Werften droht dieser Plan zu scheitern.

11. Mai 202211. 5. 2022


„Die erneuerbaren Energien liegen künftig im öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit“, sagte jüngst Wirtschaftsminister Robert Habeck. Die grünen Energiequellen sollen helfen, Deutschland unabhängiger von Öl- und Gasimporten insbesondere aus Russland zu machen und gleichzeitig klimaneutral. Der Weg dahin steht für Habeck fest: „Wir verdreifachen die Geschwindigkeit beim Erneuerbaren Ausbau – zu Wasser, zu Land und auf dem Dach.“

In der Theorie ganz einfach. Doch in der Praxis ignoriert der Minister, dass Deutschland die dafür notwenigen Betriebe gerade wegbrechen. Windkraftanlagenbauer Nordex schließt sein letztes deutsches Rotorenwerk und statt Konverterplattformen und Spezialschiffe für Offshore-Windparks zu bauen, sitzen die Beschäftigten der insolventen MV Werften in Transfergesellschaften und wissen nicht, wie es bei ihnen weitergehen soll.

Um seine Energiepläne umsetzen zu können, muss der gebürtige Lübecker und jetzt Neuberliner Habeck seinen Blick wieder an die Küste richten und einschreiten. Denn sind die Betriebe erstmal weg und die Beschäftigten in andere Branchen übergesiedelt, wird es mit der Energieunabhängigkeit und Energiewende nichts.


Ohne heimische Fertigung schlittern wir in die nächste Abhängigkeit

Der Ausbau der Windenergie, sowohl an Land wie auch vor der Küste, ist seit Jahren ins Stocken geraten und hinkt weit hinter den benötigten Größen her. Zu wenig Engagement von Bund und Ländern sowie langwierige Genehmigungsverfahren führen zu wenig lokalen Aufträgen für die heimischen Hersteller. Das wirkt sich auf die Beschäftigtenzahlen aus, wie der Bundesverband Windenergie belegt: Waren 2016 noch rund 160 000 Menschen in der Windindustrie beschäftigt, waren es vier Jahre später nur noch 100 000 – Tendenz weiter sinkend.

Für Habecks Energiewendeplan sind das schlechte Nachrichten. Denn wechseln die Beschäftigten die Branche, geht wichtiges Know-how verloren. Aktuelles Beispiel ist das Rostocker Rotorenwerk von Nordex. Es steht vor dem Aus. Über 500 Beschäftigte verlieren ihre Arbeit, wenn kein neuer Investor gefunden wird. Denn Nordex plant die Produktion zu verlagern – wohl nach Indien, um Geld zu sparen.

Dabei ist klar: Bei einer hohen Nachfrage sollte der Preis zweitrangig sein. Und eine massiv steigende Nachfrage ist auch hierzulande zu erwarten: Deutschland will den Ausbau seiner erneuerbaren Energien verdreifachen und bis 2035 den Stromverbrauch zu 100 Prozent mit Wind, Sonne, Wasser & Co. bedienen. Aber nun stellt sich die Frage: Wo sollen die nötigen Windräder herkommen?


Rostocker Rotorenwerk braucht Investor

Bundeswirtschaftsminister Habeck muss für den Erhalt der heimischen Windindustrie kämpfen, will er seine Pläne verwirklichen. Im Falle des Rotorenwerks in Rostock muss die Politik ganz konkret helfen, einen Investor zu finden. Denn ohne heimische Windanlagenproduktion wird Deutschland in die nächste Abhängigkeit beim Thema Energie schlittern. Windräder sind weltweit gefragt. Jedes Land in Europa mit signifikanter Küstenlinie hat sich inzwischen Offshore-Wind-Ausbauziele verschrieben.

Auch USA, Japan, Taiwan, Australien, China, Vietnam, Südkorea und Brasilien setzen verstärkt auf Windenergie. Das führt zu einer rasant steigenden weltweiten Konkurrenz um Produktionsfaktoren. Zudem sollte sich der Wirtschafts- und Klimaschutzministers die Frage stellen, ob es im Sinne des Klimaschutzes ist, mehrere Tonnen schwere Rotorblätter tausende Kilometer mit Schwerölschiffen von Indien nach Deutschland zu karren. Kurz: Die Beschäftigten von Nordex Rostock sowie der gesamten Windindustrie brauchen eine Perspektive und Deutschland braucht ihre Kompetenz.


Beschäftigte der MV Werften sind für die Energiewende unverzichtbar

Ebenso die über 1900 ehemaligen Beschäftigten der MV Werften. Aber sie hocken gerade in Transfergesellschaften. Wie es für sie weitergeht, wissen sie nicht. Im Juni, für viele von ihnen damit nach nur vier Monaten, laufen die Transfergesellschaften aus. Weitere vier Monate wird es jedoch für diese Beschäftigten brauchen, bis es eine konkrete Perspektive geben könnte. Um diese zu finanzieren, ist die Landespolitik gefragt. Denn vorerst sind die Pläne recht vage: In Stralsund hat die Stadt das Gelände gekauft, erste Pächter dafür gefunden, sucht aber noch weitere. Für die Werft in Rostock meldete die Bundeswehr Interesse an, für die in Wismar Thyssenkrupp Marine Systems.

In wirklich trockenen Tüchern ist noch nichts. Das bestätigt Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste: „Was uns bisher fehlt, sind konkrete Zusagen für die Beschäftigten. Wann und wie viele Kolleginnen und Kollegen von den neuen Eigentümern oder Pächtern aus der Transfergesellschaft oder auf anderem Wege eingestellt werden, ist unklar.“ Der Gewerkschafter pocht daher darauf, dass die Landesregierung die Transfergesellschaften verlängern und so Zeit erkaufen muss.


Engpass für Offshore Konverterplattformen droht

Kriegsschiffe warten und U-Boote bauen könnte den Beschäftigten ein Einkommen sichern. Das ist schon mal gut. Doch Wirtschaftsminister Habeck braucht die Beschäftigten dringend an anderer Front: Für Energieunabhängigkeit und Klimaschutz müssten die Kolleginnen und Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern Spezialschiffe für den Aufbau von Offshore-Windrädern und Konverterplattformen für Windparks bauen. Besonders die Konverterplattformen, die dafür sorgen, dass aus dem produzierten Wechselstrom Gleichstrom wird und dieser zum Festland gelangt, droht der Flaschenhals beim Offshore-Ausbau zu werden.

In Europa können neben den Mecklenburgern nur die Beschäftigten einer einzigen Werft – sie liegt in Spanien – Konverterplattformen herstellen. So kann Bernd Fischer, Betriebsrat der MV Werft Strahlsund, nur den Kopf schütteln: „Ich habe kein Verständnis für die Bundesregierung. Die Kolleginnen und Kollegen sind qualifiziert und könnten sofort loslegen, sind aber jetzt gezwungen, zuhause zu sitzen“, so der Metaller. Das muss sich ändern, soll die Energiewende gelingen. Der Auftrag, den die IG Metall an die Bundes- und Landespolitik stellt, ist somit klar: Deutschland braucht die Betriebe und Fachkräfte hier, sonst wird die Energie-Abhängigkeit steigen und nicht sinken.

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