Jörg Hofmann über die Folgen der Digitalisierung
„Das Tempo des Wandels nimmt Fahrt auf.“

Die diesjährige Hannover-Messe ist eine Leistungsschau neuer technologischer Entwicklungen und digitaler Möglichkeiten. Diese haben nicht nur Auswirkungen auf Produkte und Geschäftsmodelle, sondern vor allem auf Beschäftigte. Im Interview: Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall.

25. April 201825. 4. 2018


Wie prägt Digitalisierung die Arbeitswelt von morgen?

Jörg Hofmann: Moment. Digitalisierung ist nichts, was irgendwann später eintritt, erst in ferner Zukunft wirksam wird. Digitalisierung prägt schon heute die Arbeitswelt. Sie hat bereits heute große Auswirkungen – nicht nur auf Produkte und Geschäftsmodelle der Unternehmen, sondern vor allem auf die Beschäftigten und ihre Arbeit. Die Hannover-Messe macht aber deutlich, dass es nicht nur um technologische Umbrüche geht, sondern um eine neue Form der Organisation von Arbeit, die damit verbunden ist. Und dies mit einer hohen zeitlichen Dynamik.

Wie macht sich das bemerkbar?

Umstrukturierungen nehmen zu, Flexibilisierungsdruck steigt, Tätigkeitsprofile ändern sich, neue Qualifikationen werden verlangt. Das Tempo des Wandels nimmt an Fahrt auf. Es ist wichtig, dass wir uns rechtzeitig mit den Themen beschäftigten. Unser Ressort Zukunft der Arbeit liefert hier wichtige Impulse. So haben wir uns im letzten Jahr intensiver mit dem Thema der künstlichen Intelligenz als Rationalisierungstreiber beschäftigt. Wir als IG Metall wollen die digitale Transformation mitgestalten. Mit dem klaren Ziel einer Arbeitswelt 4.0, die gerecht, sicher und selbstbestimmt ist.

Welche Auswirkungen auf Beschäftigung hat fortschreitende Digitalisierung?

Wie sich Digitalisierung letztlich auf die Gesamtzahl der Arbeitsplätze auswirkt, kann heute niemand sagen. Klar ist aber: Tätigkeitsprofile und Qualifikationsanforderungen werden sich gravierend ändern. Hier reicht die Floskel des lebenslangen Lernens nicht aus. Wir müssen die Arbeitgeber in die Verantwortung bringen, dass gute Arbeit für alle möglich ist. Da geht es um knallharte Fragen des Rationalisierungsschutzes, aber auch um eine klare Verpflichtung zur Personalentwicklung für alle Beschäftigte, nicht nur für Führungskräfte. Es kann nicht sein, dass da ein Teil der Belegschaften einfach ausgeklammert wird. Jeder muss das Recht auf gute Arbeit auch in der digitalen Arbeitswelt haben.

Tun die Unternehmen denn genug?

Nein, tun sie bislang nicht. In der Metall- und Elektroindustrie stagniert die Weiterbildungs- wie auch die Ausbildungsquote, trotz der sichtbaren Veränderung der Arbeit. Solange die Auftragsbücher in den Betrieben voll sind und die Personaldecke knapp bemessen bleibt, wird allenfalls das Notwendigste qualifiziert. Das ist ein kurzfristiges Denken zu Lasten der langfristigen Perspektiven der Beschäftigten.

Wie kann das geändert werden?

Beschäftigte brauchen Beratung und Angebote für berufliche Entwicklung, die Sinn macht. Sie brauchen die dafür notwendige Zeit, aber auch das Einkommen. Hier haben wir mit den Tarifverträgen zur Qualifizierung und Bildungsteilzeit erste Schritte unternommen. Doch sind wir ehrlich, ihre Umsetzung im Betrieb ist vielerorts schleppend. Wie soll auch bei vollen Auftragsbüchern und hohem Leistungsdruck auch noch Zeit für berufliche Entwicklung bleiben, wenn die Personaldecke schon heute nicht ausreicht. Gezielte Personalentwicklung und kontinuierliche Weiterqualifizierung aber wird maßgeblich sein, um den Wandel im Sinne der Beschäftigten gestalten zu können. Kurz: Der Arbeitsplatz muss zum Lernort werden. Wir Betriebsräte brauchen hier ein Initiativrecht für betriebliche Weiterbildung, mit dem sie verbindlich Maßnahmen einfordern können.

Es ist notwendig, dass wir hier als IG Metall weiter an erfolgreichen Konzepten und Werkzeugen arbeiten. Der Handlungsort Betrieb gewinnt Bedeutung in der Transformation. Eine im Betrieb starke Gewerkschaft und handlungsfähige Betriebsräte, die die Beschäftigten beteiligen, sind unverzichtbar.

Was muss darüber hinaus passieren?

Es ist ein Erfolg unserer gesellschaftlichen Interessenpolitik, dass im neuen Koalitionsvertrag das Thema „Weiterbildung“ als zentrales Thema verankert wurde. Und in der Tat, ist auch die Politik gefordert. Der institutionelle Rahmen für berufsbegleitende Weiterbildung etwa muss sich deutlich ändern. Berufs- und Hochschulen haben hier eine zentrale Rolle. Sie müssen künftig berufsbegleitende Unterstützung beim Qualifikationserwerb und bei der Weiterbildung geben. Dazu müssen die arbeitsmarkt- und bildungspolitischen Fördermaßnahmen eng aufeinander abgestimmt und auf ihre Tragfähigkeit überprüft werden.

Nicht zuletzt ist die Arbeitsmarktpolitik gefordert. Es ist zu überlegen, etwa den Kreis der Anspruchsberechtigten auf Arbeitslosengeld zu erweitern und in jedem Falle die Bezugsdauer zu verlängern, wenn Beschäftigte Rationalisierungsopfer werden. Die IG Metall hat auch die Erweiterung des heutigen Transfer-Kurzarbeitergelds vorgeschlagen. Qualifiziert werden muss während der Arbeit, nicht erst wenn Arbeitslosigkeit droht. Kurzum: Wollen wir die Transformation erfolgreich gestalten, verlangt dies ein enges Miteinander von gesetzlicher Regelung, tariflichem und betrieblichen Handeln. Und daher eine IG Metall, die konzeptionell die Fragen von Morgen aufgreift.

Zukunft der Arbeit - Digitalisierung

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