Engineering- und IT-Tagung 2017
Neue Arbeit gestalten – mitbestimmt und selbstbestimmt

Auf der Engineering- und IT-Tagung in Berlin diskutierte die IG Metall mit Wissenschaftlern und betrieblichen Akteuren über neue Formen der Arbeit. „Ich will, dass die Digitalisierung eine Erfolgsstory für die Beschäftigten wird“, sagte Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall.

17. November 201717. 11. 2017


Die Transformation, in der wir stecken, ist keine Science-Fiction, sie ist gegenwärtig, tiefgreifend und fundamental, sie vollzieht sich mit rasantem Tempo: Fortschreitende Digitalisierung ist dabei, unsere Arbeits- und Lebenswelt zu verändern, die Art und Weise, wie wir leben, wie wir arbeiten. Das zeigt sich schon an den vielen Begriffen, die auf Neues weisen, die noch nicht richtig fassbar sind: Von „Plattformökonomie“ ist immer häufiger die Rede, von „disruptiven Geschäftsmodellen“, von „Cyber-physischen Systemen“, von „agilen Teams“. Alles schön und gut, die Frage ist nur: Wie verändern sich betriebliche Prozesse und Tätigkeiten im Zeitalter der Digitalisierung? Vor allem: Welche Auswirkungen hat dies auf die Beschäftigten?


Digitalisierung soll Erfolgsstory für die Beschäftigten werden

Das begrifflich und begreiflich zu machen, dazu Handlungsoptionen zu formulieren, das war Ziel der von IG Metall und Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam ausgerichteten Engineering- und IT-Tagung in Berlin. „Mir liegt der Fokus zu sehr auf der Beschwörung von Gefahren, wenn wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter über neue Formen der Arbeit im Zug der Digitalisierung sprechen“, sagte Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall auf der Tagung. „Ich will, dass die Digitalisierung eine Erfolgsstory für die Beschäftigten wird.“

Mut, Kreativität und Neugier seien nötig, damit dies gelingen kann. Damit mehr Selbstbestimmung und individuelle Gestaltungsspielräume in der täglichen Arbeitsgestaltung möglich werden, damit Beschäftigte Zeitsouveränität mit Freiräumen fürs Denken, für kreative Lösungen, für Individualität erhalten. „Unser erfolgreiches Mitbestimmungssystem in Deutschland eignet sich dafür hervorragend“, so Christiane Benner.


„Es ist wichtig, den Überblick zu behalten“

Nötig ist dafür, einen Überblick über die konkreten Auswirkungen der gegenwärtigen Transformation zu bekommen. Gegenwärtig, darauf verwies Jan Marco Leimeister, schlagen die Folgen der Digitalisierung an vielen Stellen gleichzeitig auf. „Es ist wichtig, den Überblick zu behalten, um Digitalisierung gestalten zu können“, betonte der Professor für Wirtschaftsinformatik in seinen Vortrag in Berlin.

Grundsätzlich, so Leimeister, lassen sich drei Dimensionen der Digitalisierung unterscheiden. Während es den Unternehmen auf der von ihm beschriebenen X-Achse darum gehe, ihre internen Prozesse kostengünstiger und intelligenter zu organisieren, suchten sie auf der Y-Achse nach Lösungen, um im Wettbewerb mit Plattformen wie Amazon, Apple, Facebook, Google und Co. zu bestehen. Auf der Z-Achse hingegen ist all das versammelt, was „Business Development“ heißt, neue Geschäftsmodelle also, die die Digitalisierung hervorbringt. „Dahinter verbergen sich Mobilitätskonzepte, Cyber-physische Systeme, adaptives Kundebeziehungsmanagement und vieles mehr“, so Christiane Benner.


Die größten Herausforderungen

Wichtig ist nun, dass mit fortschreitender Digitalisierung auf allen drei Achsen jeweils unterschiedliche, in jedem Fall aber gewaltige Änderungen einhergehen – was dazu führt, dass betriebliche und gewerkschaftliche Herausforderungen von Achse zu Achse ganz unterschiedlich sind und sein müssen. Neue Themen, die die Unternehmen gegenwärtig beim Organisieren kostengünstiger und intelligenter Prozesse vorantreiben, ist etwa die Einführung von Mitarbeiter-Portalen und Self Service Systemen, die Konzentration von IT-, Personal-oder Einkauffunktionen in Shared Service Centern, aber auch die Digitalisierung von Produktion und Vertrieb. „Unsere Herausforderungen sind dabei in erster Linie Beschäftigung zu sichern, eine Zunahme bei der Arbeitsbelastung zu vermeiden, passende Softwareergonomie, einen hinreichenden Datenschutz, vor allem aber notwendige Qualifizierung für die Beschäftigten durchzusetzen“, betonte Christiane Benner in Berlin.

Doch auch die beiden anderen Achsen haben große Auswirkungen auf die Arbeit der Beschäftigten: Das liegt an der Logik der App-Ökonomie, die darin besteht, kostenlose Angebote zu entwickeln, die so viele Menschen wie möglich begeistern. Aus den Nutzungsverhalten der Kunden, zum Beispiel Bewegungsprofilen oder Kaufgewohnheiten, können dann gewinnträchtige Serviceangebote oder ganz neue Geschäftsmodelle entstehen. „Voraussetzung dafür aber ist, schnell und umfassend auf Kundenwünsche reagieren zu können“, sagt Christiane Benner. „Und das hat große Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation.“


Beschäftigte wollen Schutz durch gute Rahmenbedingungen

Die Unternehmen probieren derzeit vieles aus, viele neue Arbeitsformen: internes und externes Crowdsourcing etwa, Design Thinking, User Centered Design oder agiles Arbeiten in kleinen Teams. Agile Arbeit bedeutet, sich flexibel und schnell an neue Rahmenbedingungen anzupassen. Ein Projekt oder Produkt wird in kleinen Schritten entwickelt, die Projektteams organisieren sich selbst. Das ist erstmal ungewohnt, das kann auch erstmal Angst machen. „Viele Beschäftigte empfinden eine digitalisierte Wirtschaft als Bedrohung. Sie wollen Schutz und Sicherheit durch gute Rahmenbedingungen“, sagt Christiane Benner. „Digitalisierung hat gleichzeitig emanzipatorisches Potential, agiles Arbeiten schafft dafür Möglichkeiten. Unsere Betriebsvereinbarungen, die diese neuartigen Prozesse regeln, verbinden deshalb Schutz- und Gestaltungsaspekte.“

Bei Daimler zum Beispiel gibt es eine Betriebsvereinbarung zur „Schwarmarbeit“. Darin ist unter anderem geregelt, dass alle mitmachen dürfen, aber keiner muss. Beschäftigte, die vorübergehend in „Schwärmen“ oder „Inkubatoren“ arbeiten, werden von ihren Aufgaben aus ihrer Linienfunktion freigestellt. „Und es gibt wirklich innovative Ideen, wie man die agilen Teams vor Überlastung schützt“, so Christiane Benner.


Team kann „demokratischen Stopp“ ausrufen

In einer Betriebsvereinbarung etwa ist geregelt, dass die Gruppe selbst einen „demokratischen Stopp“ ausrufen kann. Sofort finden dann Gespräche mit der Unternehmensleitung und dem Betriebsrat statt – und es werden Fragen gestellt: Müssen die Projektlaufzeiten verändert werden? Oder wird die Personalkapazität erhöht? „Die Probleme der Beschäftigten werden immer gemeinsam besprochen und es wird nach Lösungen gesucht“, sagt Christiane Benner. Das sei ein guter Weg. „Wir müssen aber sicherstellen, dass die Beschäftigten die Ressourcen, die sie für neue Aufgaben oder Arbeitsmethoden brauchen, auch wirklich bekommen, also Qualifizierung, Arbeitsmittel und Entscheidungsspielräume.“ Die IG Metall sei offen für flexible und auch agile Arbeitsformen. „Sie sind aber nur erfolgreich, wenn eine neue Beteiligungskultur entsteht und eine zeitgemäße Unternehmensführung vorhanden ist. Das heißt auch: Nichts geht ohne Betriebsrätinnen, Betriebsräte und die IG Metall.“

Zukunft der Arbeit - Digitalisierung

Neu auf igmetall.de

Newsletter bestellen