Arbeits- und Gesundheitsschutz
Arbeiten bis zum Umfallen

Jeder Zehnte Beschäftigte arbeitet mit suchthafter Intensität, also von sich aus mehr und länger als es der Gesundheit guttut. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie. Elementar für die Betroffenen ist es, eine gesundheitsförderliche Betriebskultur aufzubauen und frühzeitig Hilfe anzubieten.

12. Mai 202312. 5. 2023


Sie arbeiten ohne Pausen, am besten immer weiter, immer länger, immer schneller. Sie können abends kaum abschalten, auch an den Wochenenden nicht entspannen. Immerzu kreisen die Gedanken um die Arbeit, stets ist da dieser Antrieb, weiterzumachen, weiterzuarbeiten - auch, wenn der Körper müde, längst ausgelaugt ist, wenn alles im Kopf schwingt und schwirrt: Rund zehn Prozent aller Erwerbstätigen, das zeigt eine aktuelle Studie, arbeiten suchthaft. Das geht auf die Gesundheit.  

Suchthaft Arbeitende stufen ihren Gesundheitszustand nicht nur etwa doppelt so häufig als weniger gut oder schlecht ein wie nicht betroffene Erwerbstätige. Eine neue Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Technischen Universität Braunschweig, die die Hans-Böckler-Stiftung gefördert hat, zeigt außerdem: Deutlich häufiger als andere Beschäftigte haben suchthaft arbeitende Kolleginnen und Kollegen körperliche oder psychosomatische Beschwerden. Zugleich aber suchen sie deswegen seltener ärztliche Hilfe.
 

Jeder Zehnte arbeitet suchthaft

Die Studie beruht auf Daten von gut 8000 Beschäftigten, die zu ihrem Arbeitsverhalten und ihrem Wohlbefinden befragt worden sind. Die Forschenden ordnen rund ein Zehntel der Befragten in die Kategorie suchthaftes Arbeiten ein. Das heißt, diese Kolleginnen und Kollegen arbeiten nicht nur „exzessiv“, sondern auch „zwanghaft“. Ein zwanghaftes Verhältnis zum Job machen die Forscherinnen und Forscher an folgenden Aussagen fest: „Es ist wichtig für mich, hart zu arbeiten, auch wenn mir das, was ich tue, keinen Spaß macht“, „Es fällt mir schwer zu entspannen, wenn ich nicht arbeite“ oder „Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir frei nehme.“

Die Folgen von suchthaften Arbeiten sind gravierend. 28 Prozent der betroffenen Beschäftigten gaben an, ihr allgemeiner Gesundheitsstatus sei weniger gut oder schlecht. Bei den „gelassen“ Arbeitenden waren es hingegen nur 14 Prozent. Ähnlich ist das Ergebnis bei den abgefragten Einzelbeschwerden: Nur 8 Prozent der suchthaft Arbeitenden gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten keine Beschwerden gehabt zu haben.
 

Gravierende Folgen für die Gesundheit

Insgesamt, das zeigt die Studie, sind bei den suchthaft Arbeitenden alle Arten von Beschwerden häufiger. Das gilt besonders für die psychosomatischen Beschwerden, etwa Schlafstörungen und Niedergeschlagenheit, aber auch für Muskel- und Skelettbeschwerden wie zum Beispiel Rückenschmerzen. Suchthaft Arbeitende gehen darüber hinaus seltener zu Ärztinnen oder Ärzten. Rund 30 Prozent von ihnen haben mehr als sechs unbehandelte Beschwerden. Bei den Gelassenen sind es 15 Prozent mit mehr als sechs unbehandelten Beschwerden. 

Einen deutlichen Unterschied machen die Forschenden auch bei den Fehltagen aus. Mit 45 Prozent meldete sich fast die Hälfte der suchthaft Arbeitenden an keinem einzigen Tag im Jahr vor der Befragung krank. Bei den Gelassenen waren es lediglich 36 Prozent. Es deutet sich an, dass „suchthaft Arbeitende der Behandlung und Genesung ihrer Beschwerden weniger Beachtung schenken als gelassen Arbeitende“, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auf Grundlage der Befunde und des Forschungsstands sei zudem anzunehmen, dass suchthaft Arbeitende „besonders von einem erhöhten Risiko für Burnout und depressiven Verstimmungen betroffen“ seien.
 

Frühzeitig Hilfe anbieten

Dringend geboten sei es deshalb, in den Unternehmen „Betriebskulturen zu etablieren, die exzessivem und zwanghaftem Arbeiten entgegenwirken“. Eine elementare Rolle spielten dabei betriebliche Gesundheitsförderung sowie die Mitbestimmung der Beschäftigten: So arbeiten in Betrieben mit Betriebsrat 8,7 Prozent der Beschäftigten suchthaft, in Betrieben ohne betriebliche Mitbestimmung sind es dagegen 11,9 Prozent.

Wichtig darüber hinaus ist es, dass psychische Belastungen, die am Arbeitsplatz entstehen, im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung erhoben und wirksam reduziert werden. Bei dauerhafter Überlastung, das ist wissenschaftlich bewiesen, steigt das Risiko für Burnout oder psychische Erkrankungen. Auch überlange Arbeitszeiten sind mit gesundheitlichen Gefährdungen verbunden. Betroffene haben nicht nur ein erhöhtes Unfallrisiko. Es nimmt auch die Wahrscheinlichkeit zu, unter Schlafstörungen oder Erschöpfung zu leiden. Eine gründliche Gefährdungsbeurteilung ist daher elementar. Der Betriebsrat hat hier umfassende Mitbestimmungsrechte, von denen er Gebrauch machen sollte.

Betriebsvereinbarungen abschließen

Nicht zuletzt dürften auch Betriebsvereinbarungen eine besondere Rolle bei der Reduzierung von übermäßigen Belastungen spielen: Die Autorinnen und Autoren der Studie sehen in ihnen „ein wichtiges Instrument der betrieblichen Regulierung, welches exzessivem und zwanghaftem Arbeiten entgegenwirken kann“.

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