Zusammen den Wandel gestalten

Fortschreitende Digitalisierung trifft die Luftfahrtbranche mit großer Wucht. Wie sie sich auf die Arbeit der Beschäftigten auswirkt, hängt davon ab, ob es im Betrieb gelingt, die Kolleginnen und Kollegen fit für die neue Arbeitswelt zu machen – so wie bei Airbus und Premium Aerotec.

1. Oktober 20181. 10. 2018
Jan Chaberny


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Wie kann man etwas gestalten, was man nicht fassen kann? Wie kann es gelingen, Menschen mitzunehmen auf eine Reise, wenn der Weg im Nebel liegt – und Begriffe, die man zur Hand hat, nichts erhellen, sondern eher verschleiern, vernebeln, verdunkeln? Digitalisierung, hört man, liest man, sei in den Betrieben auf dem Vormarsch. Immer mehr Roboter, digitale Assistenzsysteme, immer mehr Algorithmen und künstliche Intelligenz kämen zum Einsatz. So. Aha. Was lässt sich mit solchen Sätzen anfangen?

„Nichts lässt sich damit anfangen, gar nichts“, sagt Peter Grundhöfer.

„Man muss wissen, was im Betrieb geschieht, in jeder Abteilung. Erst dann kann man die Kolleginnen und Kollegen mitnehmen“, sagt Heiko Hedderich.

„Um etwas gestalten zu können, muss man verstehen, was da vor einem liegt und welche Auswirkungen es hat, sonst kann es nicht gelingen“, sagt Thomas Kattein.

Buxtehude, Anfang September, zu Besuch im Airbus-Werk am Stadtrand. Draußen sind es noch einmal knapp 30 Grad, drinnen, im Büro des Betriebsrats, ist es angenehm kühl. Thomas Kattein, Betriebsratsvorsitzender hier am Standort, sein Kollege Heiko Hedderich und Peter Grundhöfer, Betriebsrat bei Airbus am Standort Finkenwerder, haben eine Packung Kekse auf den Tisch gestellt, Wasser bereitgestellt – jetzt soll es losgehen.

 

Zusammen den Wandel gestalten

Furchtloser Blick in die Zukunft: die Betriebsräte Peter Grundhöfer (links), Heiko Hedderich und Marcus Baitis, der auch VK-Leiter bei Premium Aerotec ist (Foto: Thomas Hellmann)


Der Wandel trifft die Luffahrtbranche mit Wucht

Vor zwei Jahren haben sich Thomas Kattein, Heiko Hedderich, Peter Grundhöfer zusammen mit weiteren Kolleginnen und Kollegen hauptsächlich von norddeutschen Airbus-Standorten auf den Weg gemacht und gemeinsam versucht, Werkzeuge zu entwickeln, um den digitalen Wandel zu gestalten. Der trifft die Luftfahrtbranche mit großer Wucht.

Am Airbus-Standort Buxtehude, an dem 450 Beschäftigte elektronische Geräte zur Kommunikation in der Flugzeugkabine entwickeln und herstellen, haben sie eine Betriebslandkarte erstellt, eine Bestandsaufnahme über den Digitalisierungsstand am Standort. Um das zu schaffen, hat der Betriebsrat die Beschäftigten beteiligt – und mit 15 Abteilungen Workshops veranstaltet. „Wir haben intensive Gespräche mit den Beschäftigten geführt“, sagt Heiko Hedderich. „Wir wollten wissen, wie hoch der Grad der Vernetzung in den einzelnen Bereichen ist, ob und in welcher Form die einzelnen Arbeitsprozesse technikgesteuert sind und welche Potenziale es für eine zunehmende Vernetzung der Bereiche gibt.“ In einem zweiten Schritt wurde ermittelt, welche Auswirkungen der Einsatz digitaler Technik hat: auf die Beschäftigung, auf die Anforderungen an die Qualifikation und auf die Arbeitsbedingungen.


Belastungen senken

Was sich gezeigt hat? „Wir haben festgestellt, dass Industrie 4.0 nur sehr zögerlich am Standort Einzug hält“ sagt Heiko Hedderich. „Negative Auswirkungen auf die Arbeitsqualität gibt es so gut wie keine.“ Im Gegenteil: „Die Kolleginnen und Kollegen sehen im Einsatz von digitaler Technik die Chance, Effizienz zu steigern und Belastungen abzubauen“, sagt Thomas Kattein. Das sei dringend nötig: „Wir wollen Digitalisierung nutzen, um bei steigenden Aufträgen und gleichbleibender Personalstärke weitere Leistungsverdichtung zu verhindern.“ Klar sei aber auch, dass die Digitalisierung Tätigkeitsprofile gravierend verändern wird. „Von den Kolleginnen und Kollegen werden neue Fähigkeiten und Fertigkeiten gefordert.“

Welche neuen Anforderungen auf die Beschäftigten zukommen, hat das Team rund um Peter Grundhöfer am Standort in Hamburg-Finkenwerder abgebildet, 16 500 Menschen arbeiten hier. Dazu haben sie eine digitale Betriebslandkarte erstellt, ein Modul programmiert, das einen Überblick über die einzelnen Digitalisierungsprojekte am Standort ermöglicht und nun an allen Airbus-Standorten angewendet werden soll. „Wir haben ermittelt, ob mit dem Einsatz digitaler Technik Arbeitsplätze in den Abteilungen auf- oder abgebaut werden, welche Qualifikation erforderlich wird, ob Stress oder Entlastung zu erwarten ist und wie sich die Veränderungen auf das Entgelt auswirken können“, sagt Peter Grundhöfer. Abteilung für Abteilung haben sie sich angeschaut, welche Technologien eingeführt werden – und dann Steckbriefe verfasst, die Technik vorgestellt, Auswirkungen beschrieben.


Qualifizierung nötig

Die können von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz, von Abteilung zu Abteilung, von Standort zu Standort sehr unterschiedlich sein. In manchen Entwicklungsbereichen, in denen ein hoher Grad an Digitalisierung verwirklicht ist, ändern sich Tätigkeiten und Abläufe nur graduell. Anderswo, etwa in der Fertigung, wird sich die Arbeit grundlegender wandeln. „Zum Beispiel wird sich der Beruf des Strukturmechanikers in Richtung Maschinenbediener entwickeln“, sagt Peter Grundhöfer. „Für viele Beschäftigte ist Digitalisierung eine echte Herausforderung. Sie müssen gut qualifiziert werden, um sie zu meistern.“

Wie das gelingen kann, darüber haben sich die Kollegen in Varel intensiv Gedanken gemacht. „Bei uns am Standort werden zukünftig vermehrt digitale Produktionstechnologien eingesetzt“, sagt Marcus Baitis, Betriebsrat und Leiter des Vertrauenskörpers am Standort. 1 600 Menschen arbeiten bei Premium Aerotec in Varel, einer hundertprozentigen Tochterfirma von Airbus. Am Standort werden vor allem Baugruppen hergestellt, dazu große Komponenten für Flugzeugtürrahmen sowie Groß- und Kleinteile in der Zerspanung. „Bereits heute gibt es bei uns 3-D-Druck-Anlagen und fahrerlose Transportsysteme, ist die Montage von Türrahmen digitalisiert“, sagt Marcus Baitis. „Die Beschäftigten müssen lernen, mit digitaler Technik souverän zu arbeiten.“

In Varel geschieht das in einer digitalen Lernwerkstatt, die vom Betriebsrat entwickelt wurde und in der nun, nachdem anfangs Auszubildende von ihr profitiert haben, alle Beschäftigten des Standorts qualifiziert werden sollen. „In unserem Lean LAB gibt es verschiedene Stationen“, erzählt Betriebsrat Jörg Kater, „wir haben einen 3-D-Drucker, hochauflösende Scanner, kooperierende Roboter, eine digital bedienbare Fräse.“


Beschäftigte mitnehmen

Ja, natürlich, das sei sehr schön, sagt Jörg Kater. „Allerdings reicht es nicht, digitale Technik zu Übungszwecken vor Ort zu haben. Es ist auch wichtig, so eine Lernwerkstatt mit einem detaillierten Qualifizierungskonzept zu unterlegen.“

Daran arbeiten sie in Varel und an den anderen Standorten. „Wir entwickeln gerade ein Weiterbildungskonzept für Beschäftigte und Meister“, sagt Jörg Kater. „Es ist wichtig, dass wir alle Beschäftigten im digitalen Wandel mitnehmen. Keiner darf auf der Strecke bleiben.“

 


Projektreihe: Arbeit Innovation

  • Mit den Projekten der Reihe „Arbeit Innovation“ will die IG Metall die Zukunft der Arbeit gestalten und Beschäftigung sichern. Dafür unterstützt und qualifiziert sie Vertrauensleute, Betriebsräte und innerbetriebliche Experten.

  • Im Rahmen des Airbus-Projekts haben sich insgesamt 21 Betriebsräte der norddeutschen Airbus-Operations-Standorte sowie von Premium Aerotec und von Airbus Defence & Space im Bildungszentrum Berlin sowie in der Lernfabrikder Ruhruniversität Bochum fit in Sachen Industrie 4.0 gemacht. Mit dabei war auch die Arbeitsgruppe Arbeitszeiten des Gesamtbetriebsrats. Verantwortet haben die Projekte Julian Wenz und Petra Dreisigacker. Kontakt: julian.wenz@igmetall.de

  • Die Projekte der Reihe „Arbeit Innovation: Kompetenzen stärken – Zukunft gestalten“ werden im Rahmen des Programms „Fachkräfte sichern: weiterbilden und Gleichstellung fördern“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds gefördert.

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