IT-Dienstleister
„Die IG Metall kann auch Software“

Überall fehlen IT-Fachkräfte – doch das heißt noch lange nicht, dass dann auch automatisch die Gehälter steigen. Die IG Metall setzt auch bei IT-Dienstleistern immer mehr Tarifabschlüsse durch. Aktuell gerade bei der VW-Softwaretochter CARIAD. 1200 Beschäftigte waren dafür im Warnstreik.

22. Februar 202322. 2. 2023


Ja: Auch Software-Entwickler können streiken. 1200 Beschäftigte der VW-Softwaretochter CARIAD haben mit Warnstreiks für ihren neuen Tarifabschluss Druck gemacht. Und in der vierten Verhandlungsrunde kam der Durchbruch: Die bundesweit fast 6000 Beschäftigten erhalten dauerhaft mehr Geld in drei Stufen: 3 Prozent mehr ab August, weitere 3 Prozent ab Januar 2024 und noch mal 2,5 Prozent mehr ab November 2024.

Dazu kommt bereits jetzt eine Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro netto, die vollständig noch im Februar ausbezahlt wird, sowie im Februar 2024 eine weitere pauschale Sonderzahlung von 750 Euro brutto.

Zudem nimmt CARIAD bis 2025 Verhandlungen mit der IG Metall über eine Erfolgsbeteiligung auf.

Die gewählte Tarifkommission der IG Metall mit „Caridians“ aus allen Standorten hat dem Verhandlungsergebnis einstimmig zugestimmt.
 

„Wir müssen für uns selbst verhandeln“

„Die IG Metall kann auch Software. Das haben wir bei CARIAD gezeigt“, meint Gerhard Retzer, CARIAD-Betriebsrat aus Ingolstadt und Mitglied der IG Metall-Verhandlungskommission. Er war früher schon IG Metall-Betriebsrat bei Audi in Ingolstadt und hat vor zwei Jahren den allerersten Tarifvertrag bei CARIAD mitverhandelt, noch bevor überhaupt Beschäftigte im Unternehmen waren. Damals fuhren sie noch im Windschatten und haben im Wesentlichen an die Tarife bei den „Marken“ VW, Audi und Porsche angeknüpft.

Das war bei der CARIAD-Tarifbewegung 2023 nun erstmals anders, betont Britta Berlet, CARIAD-Betriebsrätin aus Berlin und Mitglied der Verhandlungskommission. „Wir mussten erstmals für uns selbst verhandeln. Und bei den Verhandlungen wurde uns auch schnell klar, dass wir einem Verhandlungspartner mit eigenen, teils gegensätzlichen Interessen gegenübersitzen.“

Das sehen auch immer mehr Beschäftigte so: Fast 700 „Caridians“ traten in den letzten 12 Monaten in die IG Metall ein.
 

Immer mehr IT’ler in der IG Metall

Auch beim französischen IT-Dienstleister ATOS mit rund 30 Standorten in Deutschland hat die IG Metall vor einigen Wochen einen neuen Tarifabschluss erreicht – gemeinsam mit der IG BCE. Die Beschäftigten erhalten 5,2 Prozent (ab Oktober 2023) und 3,3 Prozent (ab Oktober 2024) mehr Geld. Die Mitglieder der IG Metall erhalten exklusiv darüber hinaus noch 1500 Euro Inflationsausgleichsprämie zusätzlich. Zudem konnte mit dem Tarifabschluss der Personalabbau infolge der internationalen Umstrukturierung des ATOS-Konzerns reduziert und betriebsbedingte Kündigungen bis 2027 ausgeschlossen werden.

Auch bei ATOS war das nur möglich, weil die Beschäftigten mit Aktionen Druck für ihren Tarifabschluss gemacht haben. Bereits 2013 setzten sie ihren ersten Tarifvertrag durch.

Neu damals: Beschäftigte konnten ihre Arbeitszeit frei zwischen 35 und 40 Stunden wählen. Eine ähnliche Regelung hat die IG Metall vor zwei Jahren auch bei CARIAD vereinbart: Hier sind 28 bis 40 Stunden möglich.

„Weg von der Selbstausbeutung“, war ein Ziel der ATOS-Beschäftigten damals. Zudem sollte der Arbeitgeber nicht mehr allein über Entgelterhöhung entscheiden.
 

Ohne Tarif geht oft nichts beim Gehalt

Wie wichtig ein Tarifvertrag ist, merken immer mehr IT-Fachkräfte. Denn ohne Tarif geht oft nichts. Die Beschäftigten des indischen IT-Konzerns HCL Technologies am Standort Wolfsburg (Hauptkunde ist VW) etwa haben die Nase voll: 200 von 800 Beschäftigten haben in den letzten beiden Jahren gekündigt. Der wesentliche Grund: Die Entgelte liegen rund 25 Prozent unter dem Tarif der IG Metall in der Metall- und Elektroindustrie.

„Es gab nie so richtig Gehaltsanpassungen“, kritisiert HCL-Betriebsrat Patrick Kohl. „IT-Berater verdienen hier etwas oberhalb des Mindestlohns.“

Eine Inflationsausgleichsprämie gibt es übrigens auch nicht bei HCL.

Die Beschäftigten von HCL organisieren sich jetzt in der IG Metall. Sie fordern den Beitritt zum Metall-Tarif, inklusive einer Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro.
 

Mehr Geld und kürzere Arbeitszeiten mit Tarif

Eigentlich werden IT-Fachkräfte überall händeringend gesucht. Dennoch heißt das noch lange nicht, dass dann auch die Gehälter steigen. HCL ist kein Ausreißer: In vielen IT-Betrieben hat sich über Jahre wenig am Gehalt getan. Das zeigt auch die ITK-Entgeltanalyse der IG Metall.

Mit Tarifvertrag gibt es auch für Beschäftigte in der ITK-Branche (Informations- und Kommunikationstechnik) mehr Geld: Im Schnitt zahlen Betriebe mit Tarif 14 Prozent mehr für vergleichbare Tätigkeiten als ohne Tarif, wobei die Beschäftigtenstruktur nicht immer vergleichbar ist.

Noch extremer sind die Unterschiede bei den Arbeitszeiten: Zwei Drittel der Beschäftigten in ITK-Betrieben mit Tarifvertrag arbeiten 37,5 Stunden oder weniger in der Woche. In den Betrieben ohne Tarifvertrag arbeitet fast die Hälfte der Beschäftigten 40 Stunden oder mehr.
 

Bessere Tarife nur mit genug IG Metall-Mitgliedern

Ob die Beschäftigten mit der IG Metall einen Tarifvertrag durchsetzen können – und wie gut die Konditionen dann sind, hängt vor allem von der Stärke der IG Metall im Betrieb ab.

Auch bei CARIAD sind noch viele nicht in der IG Metall organisiert. Das wollen die Mitglieder der Tarifkommission, die Betriebsräte und Vertrauensleute ändern und jetzt noch mehr Beschäftigte überzeugen. In der Tarifbewegung setzte die IG Metall-Tarifkommission auf Transparenz und Kommunikation. Im „Tarif Tuesday“ stellten sie sich regelmäßig per Videokonferenz den Fragen und Meinungen, auch gleich nach dem Verhandlungsergebnis.

Viele Beschäftigte hakten nach oder posteten sogar eigene Excel-Berechnungen in den Chat. Bald war jedoch klar: Der neue CARIAD-Haustarifabschluss kann sich sehen lassen und muss den Vergleich zu dem Flächentarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie vom November 2022, der auch bei Audi und Porsche gilt, nicht scheuen.

 „Alles in allem ist das ein guter Tarifabschluss, vor allem für unsere aktuelle Situation“, meint Stefan Heinze, CARIAD-Betriebsrat aus Wolfsburg und Mitglied der Verhandlungskommission – auch mit Blick auf die schwierige Situation im VW-Konzern und die Anlaufprobleme bei der Entwicklung von VW.OS, dem Betriebssystem für Autos aller Konzern-Marken. Um noch bessere Tarifergebnisse zu erreichen, müssen aus Stefans Sicht noch mehr Beschäftigte Mitglied der IG Metall werden: „Wir müssen lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Und wir müssen mehr werden.“

Informationen zum Tarifabschluss sowie Hintergründe zur Tarifbewegung bei CARIAD

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