„Vom Klatschen allein kann man nicht leben“

Bericht aus GeschäftsstellenDie IG Metall hat mit den aktuellen Tarifabschlüssen schnell gehandelt, um Beschäftigung zu sichern, Einkommensverluste durch Kurzarbeit zu minimieren und zusätzliche Freistellungstage bei Kita- und Schulschließungen zu ermöglichen. Doch es ist Zeit, grundsätzlich das kostenoptimierende Denken zulasten der Menschen in allen Bereichen der Gesellschaft auf den Prüfstand zu stellen.

1. Mai 20201. 5. 2020


Die Corona-Krise hat die regulären Tarifverhandlungen abrupt beendet. Die IG Metall hat mit schnellen Soforthilfe-Abschlüssen gehandelt, reichen diese Solidarpakete aus?

Fred Hartmann, Erster Bevollmächtigter: Die Betriebe in unserer Geschäftsstelle sind sehr unterschiedlich aufgestellt. In den großen Betrieben gibt es Aufzahlungen auf das Kurzarbeitergeld wie bei Faurecia bis zu 80 Prozent auf das Nettoeinkommen. Aber wenn Beschäftigte bei Kurzarbeit nur die gesetzlichen 60 Prozent ihres Nettoeinkommens oder mit Kindern 67 Prozent bekommen, dann wird es eng. Deshalb haben wir schnell gehandelt und in den von der IG Metall betreuten Branchen Tarifabschlüsse vereinbart, die Beschäftigung sichern und die monatlichen Einkommensverluste durch eine Umverteilung der Jahressonderzahlungen minimieren. Die Arbeitgeber müssen einen Solidartopf mit 350 Euro pro Beschäftigtem anlegen, um soziale Härten aufzufangen.
Die zusätzlichen fünf Freistellungstage schaffen Entlastung bei Kita- und Schulschließungen. Doch wir brauchen auch gesetzliche Regelungen, damit Beschäftigte in allen Branchen unterstützt werden.
Stefan Brandt, ehrenamtlicher Zweiter Bevollmächtigter:
Die tariflichen Regelungen sind der Situation geschuldet. Die ratierliche Auszahlung der Sonderzahlungen auf das Kurzarbeitergeld und der Solidartopf sind keine dauerhafte Lösung. Und in Betrieben ohne Tarifbindung oder Betriebsrat gibt es oft keine Jahressonderzahlungen und keine fairen Grundeinkommen, weil die Arbeitgeber genau die durch die Tarifflucht einsparen. Die Unternehmen bekommen in der aktuellen Krise Milliardenzuschüsse und die Sozialbeiträge für die Beschäftigten erstattet, auch den Arbeit- nehmeranteil, der sollte dann wenigstens an die Beschäftigten weitergegeben werden.

Ist es jetzt Zeit, über den Wert der Arbeit neu nachzudenken?

Hartmann: Diese Krise fördert die soziale Schieflage noch stärker zutage. Vom Klatschen alleine kann man nicht leben. Die viel zu niedrigen Einkommen in vielen Bereichen, nicht nur in den systemrelevanten Branchen, müssen endlich korrigiert werden. Die Beschäftigten haben eine finanzielle Wertschätzung verdient und damit auch eine ökonomische Teilhabe.

Wie geht es weiter?

Brandt: Wir werden nach dem Abklingen der Pandemie wieder in die Zukunftsgespräche mit den Arbeitgebern einsteigen, um unsere Themen für einen fairen, demokratischen und ökologischen Wandel der Arbeitswelt aufzunehmen. Doch wir sind jetzt alle gefordert, uns auch gesellschaftlich für eine Trendwende einzusetzen.
Hartmann:
Um unsere Themen breit zu diskutieren, werden wir im Bereich unserer Geschäftsstelle die betrieblichen Strukturen wie Vertrauensleute und Betriebsräte weiter ausbauen. Dass wir gemeinsam etwas erreichen können, zeigt sich immer wieder in den Tarifrunden. Doch je mehr wir sind, desto mehr erreichen wir auch gesellschaftspolitisch. Deshalb werden wir die Mitgliedergewinnung verstärken und die Tarifbindung weiter ausbauen.
Brandt:
Die Mitbestimmung ist nur stark, wenn sie von allen gelebt wird. Das heißt auch, wir müssen als Metallerinnen und Metaller offensiver in den Betrieben für unsere Arbeit werben.

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Fotos: IG Metall
Fred Hartmann, Erster Bevollmächtigter
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Stefan Brandt, ehrenamtlicher Zweiter Bevollmächtigter
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