Frauen fördern, Zukunft gestalten

Im vergangenen Jahrhundert hat sich für Frauen viel in Richtung Gleichstellung bewegt. Doch es gibt noch viel zu tun, sagt Christiane Benner im Gespräch.

1. März 20211. 3. 2021
Interview: Jacqueline Sternheimer


110 Jahre Internationaler Frauentag – die IG Metall hat in gewerkschaftlicher Tradition viel mit der Frauenbewegung erreicht. Auf welche erkämpften Erfolge blickt die IG Metall zu diesem Anlass zurück?

Christiane Benner: Wie viel Zeit haben wir? Nein im Ernst, da fällt mir richtig viel ein: Wir haben gute Standards beim Mutterschutz, deutlich mehr Entgeltgerechtigkeit durch Tarifverträge, Leichtlohngruppen sind Geschichte, die 35-Stunden-Woche im Westen, mehr Frauen auf allen Ebenen in den Unternehmen, zusätzliche freie Tage für Pflege, Kinderbetreuung und in Schicht und vieles mehr. Das ist wirklich eine ganze Latte an Erfolgen, auf die wir sehr stolz sein können.


Und was macht Dir Bauchschmerzen?

Mich beunruhigt, dass in vielen Ländern autoritäre, vermeintlich starke Männer an Rückhalt bei den Menschen gewinnen. Umso wichtiger sind da besondere Lichtblicke wie das starke Gedicht „The Hill We Climb“. Mich haben die Sehnsucht und der Optimismus von der Lyrikerin Amanda Gorman tief berührt: „Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, dass wir, um unsere Zukunft an die erste Stelle zu setzen, zuerst unsere Unterschiede beiseitelegen müssen.“ Darum geht es.  Da bin ich froh, dass wir uns in der IG Metall einig sind: Solidarität ist nicht verhandelbar. Gleichstellung ist nicht verhandelbar.


Wie will die IG Metall diese Ziele durchsetzen?

Digitalisierung, Transformation, Globalisierung – das alles sind Megatrends, die im Betriebsverfassungsgesetz noch keine Rolle spielen. Das Gesetz muss runderneuert werden. Ein Facelift reicht nicht. Leider gibt es keine einfachen Antworten. Populisten machen es sich zu einfach. Ich bin überzeugt: Wir haben die besseren ­Antworten. Häufig fehlt es aber Betriebsräten an erzwingbaren Mitbestimmungsrechten, zum Beispiel für Qualifizierungsmaßnahmen.

Die Transformation wird auch Frauenarbeitsplätze stark verändern und gefährden.  Bei Conti Babenhausen haben wir vereinbart, dass wir jetzt ganz gezielt An- und Ungelernte qualifizieren. Das war das Ergebnis zäher Verhandlungen. Arbeitgeber sitzen das Thema aus und treten dann Entlassungswellen los. Das akzeptieren wir nicht.


Frauen sind in der Coronakrise stärker benachteiligt. Hat die Coronakrise bereits erreichte Fortschritte zunichtegemacht? Welche Konflikte haben sich für Frauen im Arbeitsumfeld verschärft?

Aus den Betrieben höre ich oft: Gerade Mütter haben im vergangenen Jahr ihre Arbeitszeiten reduziert. Und zwar aus der bloßen Not heraus, weil Kitas und Schulen zu waren. Das wirft übrigens Frauen und Männer zurück, das wird mir auch in vielen Gesprächen in der IG Metall gesagt. Viele Männer wollen mehr familiäre Verantwortung übernehmen. Dies hat auch die Beschäftigtenbefragung der IG Metall wieder unterstrichen: Männer und Frauen wünschen sich mehrheitlich eine Wochenarbeitszeit im Bereich kurzer Vollzeit. Deshalb ärgert es mich auch unglaublich, dass da so viele Arbeitgeber blockieren.


Wie kann das gefördert werden?

Ich weiß, dass viele den Kopf gerade woanders haben. Aber wir müssen diesen Kulturwandel schaffen: mehr Wahlfreiheit, mehr Partnerschaftlichkeit, mehr Zeit für Freizeit und Leben. Die neue Vereinbarkeitsrichtlinie der Europäischen Union schlägt eine Vaterschaftsfreistellung nach der Geburt vor. Andere Länder wie Finnland sind schon ein ganzes Stück weiter: Väter haben dort Anspruch auf 54 Tage Vaterschaftszeit nach der Geburt. Finanzielle Anreize sind für Väter besonders wichtig: Das sehen wir auch in Deutschland beim Elterngeld. Ich finde, wir sollten uns noch mehr Partnerschaftlichkeit leisten. Das ist gut für unsere Kinder, für Familien und Unternehmen. Gut, dass unsere Aktiven in den Betrieben so viel Positives in den Unternehmen anstoßen: Sie sorgen dafür, dass der Wiedereinstieg nicht zum Karrierekiller wird. Bei BMW wird gerade auf Initiative des Betriebsrats Führen in Teilzeit eingeführt. Es geht also. Nicht zuletzt müssen wir Vereinbarkeit im Schichtbetrieb möglich machen. Bei Volkswagen und Audi wird das pilothaft erprobt. Unglaubliches haben sie in der Krise geleistet: Über Nacht wurden Betriebsvereinbarungen abgeschlossen. Unser Ziel: Eltern entlasten, Arbeitsplätze sichern. Deshalb gilt an dieser Stelle mein herzlichster Dank allen Betriebsräten und Vertrauensleuten der IG Metall: Es ist unglaublich, was Ihr leistet, um Beschäftigte in dieser schwierigen Lage zu unterstützen. Ihr macht das wirklich toll! 


Die betriebliche Realität zeigt uns aber auch: Frauen haben auch schon vor der Coronakrise häufiger ihre Arbeit reduziert und arbeiten in Teilzeit.

Ja, das ist richtig und ich kann das auch gut verstehen: Eltern wollen natürlich Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen. Was aber gar nicht geht, ist, dass der Teilzeitwunsch zur Teilzeitfalle wird. Ich habe die Nase voll davon, immer wieder zu hören, dass Arbeitgeber eine Aufstockung der Arbeitszeit verweigern! Unser Tarifvertrag zur Kurzen Vollzeit und die Einführung der gesetzlichen Brückenteilzeit waren deshalb so unglaublich wichtige Schritte, aber Kulturveränderung braucht Zeit. Ein zweiter Punkt ist mir noch wichtig: Wenn ich mich in Deutschland umschaue, landen immer noch viel zu viele Menschen und vor allem Frauen in der Altersarmut. Das kann doch nicht wahr sein! Die Entgeltlücke ist daran schuld, aber auch das Steuersystem: Viele Lohnersatzleistungen werden anhand des Nettos berechnet. Auch das Kurzarbeitergeld. Für Frauen hatte das 2020 gravierende Folgen. Denn rund 90 Prozent aller Menschen in der Lohnsteuerklasse 5 sind Frauen. Ein Ende der Lohnsteuerklasse 5 wäre ein Quantensprung in der Geschlechtergerechtigkeit.


Ein Rundumblick zeigt: Es wurde viel erreicht, aber es gibt auch noch viel zu tun. Wo besteht noch Nachholbedarf in der eigenen Organisation? Was will die IG Metall für die Frauen- und Gleichstellungspolitik in der Zukunft erreichen?

Alle, die mich kennen, wissen: Das ist mir ein Herzensanliegen. Wir haben klare Ziele gesetzt. Das ist gar nicht so einfach, denn die Branchen der IG Metall sind männlich dominiert. Bei den weiblichen Mitgliedern werden wir nachlegen. Da sind wir durchaus selbstkritisch und fragen, wie können wir attraktiver für Frauen werden? Die Geschichte zeigt uns immer wieder: Wir brauchen weibliche Vorbilder. Vor Ort gibt es immer mehr Geschäftsführerinnen. Wir vernetzen unsere Frauen, beispielsweise auf unseren Betriebsrätinnentagen. Es geht darum, sich gegenseitig zu stärken. Einige Bezirke machen Angebote nur für Frauen. Für die IG Metall kann ich versprechen: Wir werden alles dafür tun, dass Frauen nicht zu den Verliererinnen der Krise werden.

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