Jörg Hofmann zur Zukunft der industriellen Produktion
Die menschenleere Fabrik wird es nicht geben

Für die 3,7 Mio. Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie fordert die IG Metall in der kommenden Tarifrunde das Recht auf Bildungsteilzeit, die die Arbeitgeber mit finanzieren sollen. Darüber und über Industrie 4.0 sprach der Zweite Vorsitzende der IG Metall Jörg Hofmann mit der „Rheinpfalz“.

20. Dezember 201420. 12. 2014


Herr Hofmann, warum sollen die Arbeitgeber per Bildungsteilzeit den Batikkurs für Fortgeschrittene bezahlen?

Es geht doch nicht um den Batikkurs. Die Arbeitgeber sollen dafür zahlen, dass sie auch morgen noch Arbeitnehmer haben, die die Aufgaben, die in der Arbeitswelt der Zukunft auf sie zukommen, qualifiziert erledigen können.

Die Arbeitgeber sagen jedenfalls, sie wollen das nicht bezahlen. Haben Sie Ihr Anliegen vielleicht nicht ausreichend kommuniziert?

Arbeitgeber sträuben sich meist, wenn sie bezahlen sollen, insofern ist diese Reaktion nicht sonderlich originell. Wir sind jedenfalls überzeugt, dass der beruflichen Weiterbildung eine immer stärkere Bedeutung zukommt, wenn die Menschen länger arbeiten sollen und sich das Umfeld immer schneller verändert. Und hier haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine gemeinsame Verantwortung.

Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger verwies im Gespräch mit der RHEINPFALZ kürzlich darauf, dass die Unternehmen bereits jährlich acht Milliarden Euro in Fortbildung investieren. Reicht das denn nicht?

Nein, sicher nicht. Die acht Milliarden fließen in die Aus- und Weiterbildung, davon geht die Hälfte in die Weiterbildung. Wenn man sich diese vier Milliarden Euro genauer anschaut, fließt viel in die Qualifikation für den Tagesbedarf, etwa weil der Kollege eine neue Maschine bedienen muss. Die Art von Weiterbildung, um die es uns geht, nämlich sich auch berufsqualifizierend fortzubilden für Arbeitsaufgaben von morgen, macht allenfalls knappe zehn Prozent des Weiterbildungsaufwands aus. Verglichen mit dem Umsatz in der Metall- und Elektroindustrie, der in diesem Jahr die Eine-Billion- Grenze wieder überschreiten wird, wird eine große Zahl zum Scheinriesen, der sich real im Zehntelpromille-Bereich bewegt.

Wie hat man sich Bildungsteilzeit konkret vorzustellen?

Wir brauchen zwei Varianten. Der eine Kollege wird sagen: Ich arbeite jetzt erst einmal vor und mache dann meinen Vollzeit-Techniker. Und ein anderer wird sagen: Ich schaffe es in Teilzeit und mit einem teilweisen Lohnausgleich, noch ein berufsbegleitendes Studium zu absolvieren. Deshalb soll Bildungsteilzeit, wie die Altersteilzeit, das geblockte Modell ebenso zulassen wie echte Teilzeit.

Themenwechsel. „Industrie 4.0“ – nur ein neues Reizwort für Zeitungsschlagzeilen und Veranstaltungstitel, oder steckt da mehr dahinter?

Wir nehmen dieses Thema sehr ernst. Denn wir stehen vor einer neuen Art industrieller Produktion. Die wird dadurch ausgelöst, dass sich die Möglichkeiten, riesige Datenmengen in Echtzeit zu verarbeiten und zu übertragen, stark erhöht haben und sich weiter erhöhen werden. Zudem entwickelt sich die Sensortechnik weiter. Das Internet der Dinge und der Menschen wird möglich. Das wird eine extreme Dynamik zur Folge haben und zwar in verschiedene Richtungen, etwa bei der klassischen Automatisierungstechnologie. Die Robotik steht meines Erachtens durch die Entwicklung von Leichtbaurobotern sogar vor einem Riesensprung, wenn die Roboter aus ihren Käfigen entlassen und künftig quasi Hand in Hand mit den Montagearbeitern mobil tätig werden. Das bedeutet eine extreme Reduzierung von Kosten und deutlich mehr Flexibilität im Einsatz.

Was heißt das für die Beschäftigten?

In der gesamten Wertschöpfungskette werden sich die Qualifikationsprofile verändern. Nur ein Beispiel: Der Konstrukteur wird viel stärker mit Simulationsmodellen zu tun haben als mit stofflicher Konstruktion.

Von welchen Zeiträumen sprechen wir?

Diese Entwicklungen sind schon heute in den Betrieben zu beobachten. Wir sollten davon ausgehen, dass das sehr dynamisch fortschreiten wird. Wie schnell, das kann Ihnen keiner sagen. Aber dieser Prozess ist weder zu stoppen noch wird er langsam vonstatten gehen.

Droht durch „Industrie 4.0“ die menschenleere Fabrik?

Nein, das wird nicht passieren. Die Konfliktlinien verlaufen eher entlang der Themen Beschäftigung und Qualifikation. Da geht es dann auch darum, wie die Interaktion zwischen Mensch und Maschine gestaltet wird. Wird es so sein, dass der Mensch nur noch Restaufgaben übernimmt, in cyberphysikalischen Systemen vom Computer gesteuert? Oder werden die Arbeitenden unterstützt, indem Informationen besser aufbereitet werden und sich dadurch mehr Entscheidungsmöglichkeiten in größeren Verantwortungsbereichen ergeben? Das sind Gestaltungsfragen. Auf alle Fälle wird dieser Prozess Auswirkungen auf Berufs- und Qualifikationsbilder haben. Wir bilden beispielsweise Berufe aus, die wir heute noch brauchen, die aber ganz offensichtlich in zehn Jahren niemand mehr brauchen wird.

Welche zum Beispiel? 

Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einer jungen Frau, die sich zur Oberflächentechnikerin ausbilden ließ und nun mit Freude und mit Stolz auf den Beruf als Lackiererin arbeitet. Dieser Frau muss man heute schon sagen, dass ihr Job und Berufsbild in zehn Jahren nicht mehr gefragt ist, weil diese Aufgabe vollständig von Robotern übernommen werden wird. Diese Beschäftigten müssen unabhängig von ihrem noch bestehenden Arbeitsplatz die Chance haben zu sagen: Ich muss mich rechtzeitig umorientieren, um nicht morgen im Abseits zu stehen. Arbeitgeber machen sich diese Gedanken nicht. Sie brauchen ja noch bis zum bitteren Ende diese Arbeitskraft. Gerade für solche Fälle fordern wir die Bildungsteilzeit.

Haben die Unternehmen schon verinnerlicht, was mit „Industrie 4.0“ auf sie zukommt?

In ihrer Gesamtheit sicher nicht. Das beginnt schon bei der Infrastruktur. 45 Prozent der Betriebe haben noch kein WLan, 41 Prozent kein Breitbandkabel. Da fehlt es an beidem: Infrastruktur und Bereitschaft für Innovation. Wenn sich das nicht ändert, ist für die heimische Industrie die Tür zu. Den größten Schwachpunkt sehe ich derzeit bei den kleinen und mittleren Betrieben. Das waren in der Vergangenheit die Innovationstreiber. Aber die laufen nun Gefahr abgehängt zu werden, weil die Art der Innovation eine andere ist. Da wird nicht mehr an der Maschine ausprobiert, sondern man hat es nur noch mit digitalen Modellen und Simulationen zu tun. Wenn da im deutschen Mittelstand nicht sehr schnell die Erkenntnis wächst, dass man nicht den Zug verpassen darf, dann bekommen wir ein Problem.

 

Der Text ist ursprünglich am 20. Dezember 2014 in „Die Rheinpfalz“ erschienen.

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