Zeit zu handeln: Im Osten droht Fachkräftemangel
„Welcome“ im Osten

Zu wenig Ausbildungsplätze, zu wenig gut bezahlte Stellen. Weil sie zu Hause keine Perspektiven haben, ziehen viele junge Leute aus dem Osten in den Westen. Die Folge: drohender Fachkräftemangel, der alles noch schlimmer macht. Die IG Metall sagt: Höchste Zeit zu handeln.

4. Oktober 20104. 10. 2010


Gern wäre Steve Körner in Zwickau geblieben. Darum suchte er zuerst in der näheren Umgebung eine Firma, die ihn zum Mechatroniker ausbildet. Er fand aber keine, also bewarb er sich bundesweit. Für ihn die richtige Entscheidung: Seit über zwei Jahren ist der 25-Jährige Auszubildender bei der Autozulieferfirma Hirschmann Car Communication in Neckartenzlingen in der Nähe von Stuttgart, 430 Kilometer von Zwickau entfernt. „Meine Prognose ist, dass ich hier bleibe“, sagt er, „denn hier habe ich bessere Perspektiven als zu Hause“.

Fluchtgründe
So wie Steve wandern Jahr für Jahr tausende junge Frauen und Männer aus dem Osten in den Westen ab. Nicht nur fehlende Ausbildungsplätze vertreibt sie, oft sind es auch schlechte Löhne. Fachkräfte verdienen im Osten im Schnitt ein Drittel weniger als im Westen. In vielen Betrieben gelten keine Tarifverträge. In Thüringen zum Beispiel sind nur 24 Prozent der Firmen tarifgebunden. Nur die Hälfte der Beschäftigten wird nach Tarif entlohnt. Die Massenflucht kann schon bald dramatische Folgen haben: Es droht ein Fachkräftemangel, der die Wettbewerbsfähigkeit und damit die wirtschaftliche Zukunft der ostdeutschen Länder gefährdet. „Die Zeit drängt. Es muss gehandelt werden“, sagt Armin Schild. Er ist der Leiter des IG Metall-Bezirks Frankfurt, zu dem Thüringen gehört. Dem Land in der Mitte der Republik kehrt alle 40 Minuten ein Einwohner den Rücken. In Thüringen hat die IG Metall zusammen mit den Arbeitgebern und der Landesregierung in einer „Konzertierten Aktion“ eine Reihe von Aktivitäten geplant, um das Land für Fachkräfte interessant zu machen. Ähnliche Initiativen hat die IG Metall auch in den anderen Bundesländern auf den Weg gebracht.

Wanderbewegungen
Seit 2000 verlieren die ostdeutschen Bundesländer jedes Jahr im Durchschnitt vier Prozent ihrer Einwohner. Der Saldo aus Zu- und Abwanderungen bis 2006, in Prozent:
Die Wander-Karte


Tarif attraktiv
Wer gute Fachleute gewinnen will, muss eine ordentliche Bezahlung bieten. In Thüringen mussten selbst die Arbeitgeber erkennen, dass die Löhne besser werden müssen, wenn das Land „als Wirtschaftsstandort attraktiver“ werden soll. Vor kurzem unterschrieben sie einen Aufruf mit, in dem die Firmen aufgefordert werden, sich an die Tarifverträge zu binden. In diesem Aufruf, der ein Ergebnis der „Konzertierten Aktion“ ist, setzen sie sich auch dafür ein, die Übernahme zu verbessern. Etwa dadurch, dass Ausgelernte, die nicht sofort übernommen werden können, für eine Übergangsphase durch weiterführende Qualifizierungen aufgefangen werden.

Von Null auf Eins
Auch die Zahl der Ausbildungsplätze soll steigen. Ein Weg dazu ist ein „Ausbildungsjahr Null“. Oft behaupten Arbeitgeber, sie könnten nicht mehr junge Leute ausbilden, weil viele nicht „ausbildungsreif“ seien. Damit sie sich auf diese Verteidigungslinie nicht mehr zurückziehen können, sollen Jugendliche künftig vor der Ausbildung sechs bis zwölf Monate ein Langzeitpraktikum im Betrieb machen können. Darin können sie zeigen, dass sie ausbildungsfähig sind. Steve Körner war in den Weihnachtsferien in Zwickau. Dort sah er eine Bar, die die Urlaubsheimkehrer aus dem Westen mit einer „Welcome Party“ begrüßte. Vielleicht wird so etwas ja mal überflüssig weil mehr Firmen zu Hause den jungen Leuten etwas bieten und „Willkommen“ heißen.
zur Studie der Otto Brenner Stiftung „Fachkräftemangel in Ostdeutschland“
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