Operation Übernahme: bunt, schräg – und erfolgreich
Die IG Metall-Jugend macht für die Zukunft mobil

Was gehört zu einem richtig guten Leben? Liebe. Freunde. Genug Geld haben. Arbeit, die Spaß macht und außerdem noch Zukunftsperspektiven bietet. Alles absolut wichtig. Doch leider immer schwerer zu erreichen. Daher müssen sich junge Menschen heute umso stärker für ihre Zukunft engagieren. Und ...

31. August 201031. 8. 2010


... immer mehr sind dabei – mit Erfolg.

Zwei Zimmer hat sie, die neue Wohnung. Nicht riesig, aber es ist das erste eigene Zuhause und für ihn allein groß genug. Sebastian Müller hat bis jetzt bei seinen Eltern gelebt. Das war okay, „aber mit 26 will man ja auch mal auf seinen eigenen Füßen stehen“, sagt er. Früher ging das nicht, weil er nicht wusste, was aus ihm wird. Jetzt stehen die gepackten Umzugskartons in der Elternwohnung.

Nach der Schule hatte Sebastian Glück. Er konnte den Beruf erlernen, den er sich gewünscht hatte: Mechatroniker. Bei Thyssen- Krupp Nirosta in Krefeld, seinem Heimatort. Im Februar 2009 machte er die Abschlussprüfung – ausgerechnet zu der Zeit, als es mit der Wirtschaftskrise und Kurzarbeit richtig los ging. „Da hieß es plötzlich: Wegen der Krise kann uns der Betrieb nicht übernehmen. Wir sollten in eine Transfergesellschaft wechseln“, berichtet Sebastian. „Das war ein echter Schock für mich. Am Anfang der Ausbildung hatte es noch geheißen, dass wir danach einen festen Job bekommen. Plötzlich waren alle Pläne und Träume futsch.“

Aktiv gerettet
Sebastian und die anderen Azubis bei Nirosta wollten das nicht einfach hinnehmen. Sie machten mit bei einer Aktion und Demonstration vor dem Werktor. Organisiert hatte das die Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV). Unter dem Motto „Operation Übernahme“. Das ist eine Initiative der IG Metall-Jugend, die das Ziel hat, dass alle Azubis nach der Ausbildung in feste Stellen übernommen werden. Bei Nirosta erreichten Betriebsrat und JAV, dass die Azubis wenigstens erst mal ein Jahr als Kurzarbeiter bleiben und während dieser Zeit eine Weiterbildung machen konnten. Ihr Kalkül: Vielleicht ging es dem Unternehmen in zwölf Monaten ja wieder besser und die Azubis könnten dann eine Dauerstelle bekommen. Sebastian machte einen Ausbilderschein und erhielt Einblick in Betriebswirtschaftslehre und Metallkunde. Klar, das brachte ihm was, aber ihn quälte immer wieder die entscheidende Frage: Was kommt danach?

Die Hängepartie dauerte eineinhalb Jahre. Aber dann gab es ein Happy End: Vor kurzem hat Nirosta ihn unbefristet übernommen. Er arbeitet jetzt in der Mess- und Regeltechnik im Kesselhaus, von wo aus das Stahl- und das Kaltwalzwerk mit Dampf versorgt wird. Seine neue Wohnung ist zehn Minuten vom Werk entfernt. Sebastian ist kein Einzelfall. Was er noch vor ein paar Monaten erlebte, machen zurzeit viele Jugendliche durch. In der Krise schickten viele Firmen ausgerechnet ihren Nachwuchs – die ausgelernten Azubis – auf die Straße. Oder sie boten erst gar keine Ausbildungsplätze mehr an. In den Industrie- und Handwerksbetrieben, für deren Beschäftigte die IG Metall zuständig ist, sind die Ausbildungsplätze im Krisenjahr 2009 um fast 20 Prozent zurückgegangen. Und auch in diesem Jahr sieht es nicht sehr viel besser aus, obwohl sich die Wirtschaft wieder berappelt. Die nackten Zahlen: 1,5 Millionen 20- bis 29-Jährige haben keinen Berufsabschluss. Die Aussichten – mit oder ohne Ausbildung – sind für viele mau. „Viele von uns Jungen kennen sichere und fair bezahlte Arbeit nur vom Hörensagen“, klagt Eric Leiderer, Jugendsekretär beim IG Metall-Vorstand in Frankfurt am Main. „Sie müssen sich mit Leiharbeit, befristeten Jobs oder Praktika durchschlagen.“

Firmen bieten immer noch zu wenig Ausbildungsplätze an
Doch weder Arbeitgeber noch Regierungspolitiker meinen, dass sie mehr tun müssen. Firmenchefs jammern über die „geburtenschwachen Jahrgänge“. Und dass es angeblich nicht genug Jugendliche für ihre Lehrstellen gibt. Und dass die, die sich bewerben, oft nicht gut genug seien. Aber sie klagen auch, dass bald ein „Fachkräftemangel“ droht. Doch daran sind die Firmen zum großen Teil selbst schuld. Denn Tatsache ist: Sie bieten immer noch zu wenig Ausbildungsplätze an. Im August gab es rund 45 000 mehr junge Leute, die einen Ausbildungsplatz suchten, als Angebote da waren.

Die junge Generation darf nicht zum Krisenopfer werden, sagt die IG Metall-Jugend. „Wir wollen, dass alle Azubis übernommen werden, und zwar unbefristet und in ihrem erlernten Beruf“, fordert Eric Leiderer. Im Gegensatz zu vielen Politikern und Arbeitgebern tut die IG Metall auch etwas für mehr Ausbildungsplätze und für die Übernahme danach. Betriebsräte unterstützen sie dabei.

Rund um Weiden in der Oberpfalz gibt es wunderschöne Landschaften mit Burgen und Wäldern, aber Arbeitsplätze sind dünn gesät. 4000 bis 5000 Jobs gingen in den letzten Jahren in Weiden verloren.Und mit ihnen verschwanden auch Perspektiven für junge Leute. Die etwa 770 Beschäftigten bei der Firma Constantia veredeln und bedrucken Folien für Joghurtdeckel und andere Lebensmittel, Schoko-Osterhasen und Tabletten. Obwohl die Firma auch schwierige Zeiten hinter sich hat, setzte der Betriebsrat durch, dass zehn Prozent aller Beschäftigten Azubis seinmüssen, also zurzeit mehr als 70 Jugendliche. 80 Prozent von ihnen muss das Unternehmen nach der Abschlussprüfung unbefristet weiterbeschäftigen. „Und die anderen 20 Prozent werden zurzeit auch alle übernommen“, berichtet Bernhard Rohl, der Betriebsratsvorsitzende.

Dran bleiben
Oft müssen Betriebsräte und JAVis für die Übernahme hart kämpfen. Zum Beispiel im sächsischen Plauen. Dort ist die Firma Neoplan, bei der Reisebusse gebaut werden. Von den 447 Beschäftigten sind 38 Azubis. Früher gab es, wenn sie mit der Ausbildung fertig waren, immer Streit darüber, ob sie bleiben können. Ewigkeiten hingen sie in der Luft. „Manche waren schon draußen, als endlich entschieden wurde, dass sie doch übernommen werden“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Marcus Galle. Jetzt haben Betriebsrat und IG Metall mit den Arbeitgebern einen Vertrag abgeschlossen, in dem steht, dass die Azubis mindestens zwölf Monate übernommen werden. Weil die Krise inzwischen vorbei ist, hofft Marcus Galle, dass sie danach bleiben können.

Anfang 2009 hat die IG Metall-Jugend ihre „Operation Übernahme“ gestartet. Seitdem haben bundesweit zehntausende Jugendliche, Azubis und Studierende bei Aktionen mitgemacht – auf der Straße und in den Betrieben. Allein auf der Operation-Übernahme-Internetseite sind fast 240 Aktionen dokumentiert.

Zugleich hat die IG Metall mit jungen Mitgliedern zusammen die Übernahmechancen nach der Ausbildung verbessert: Dank neuer Tarifverträge haben Betriebe jetzt auch in Krisenzeiten viele Möglichkeiten, die schlechten Zeiten zu überbrücken, ohne die Jungen zu entlassen: Etwa Übernahme in Teilzeit, in Kurzarbeit, nach einer längeren Weiterbildungszeit oder nach ihrem Wehr- oder Zivildienst. Tausende Azubis, aber auch dual Studierende, die parallel zum Studium im Betrieb ausgebildet werden, haben jetzt eine Zukunft.

Doch neben ihnen gibt es die Hunderttausenden ohne Ausbildung, in schlecht bezahlten, unsicheren Jobs oder ohne Arbeit. Das darf nicht sein, sagt die IG Metall. Im Herbst startet sie die Kampagne „Kurswechsel für ein Gutes Leben“ mit zahlreichen Aktionen in ganz Deutschland. Darin geht es auch um eine große Initiative für junge Beschäftigte.

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