Nach dem Gewerkschaftstag: Interview mit dem Ersten IG Metall
Tarifbindung ist der Schlüssel zum Erfolg

Arbeitszeit und Tarifbindung: Das sind die zwei Themen, die für Jörg Hofmann ein Herzensanliegen sind. Vor allem die Tarifbindung ist für den neuen IG Metall-Vorsitzenden die Gerechtigkeitsfrage Nummer eins.

30. Oktober 201530. 10. 2015


Noch mal Herzlichen Glückwunsch zum neuen Ersten Vorsitzenden. Warst Du zufrieden mit den Erfolgen der vergangenen Jahre?

Jörg Hofmann: Ja! Ich finde, wir haben ― alle zusammen ― die IG Metall gut vorangebracht. Und die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Erreicht haben wir unter anderem insgesamt ordentliche Entgelterhöhungen, zum Beispiel 13,3 Prozent in der Metall- und Elektroindustrie in vier Jahren. Aber auch in den anderen Branchen ― in Industrie und Handwerk ― konnten wir die Entgelte und Arbeitsbedingungen verbessern. Auch in der Politik haben wir etwas für die Beschäftigten bewegt: Stichwort Mindestlohn, Stichwort Rente mit 63. Wir haben dafür gesorgt, dass in der Debatte um die Zukunft der Arbeit nicht nur die Technik, sondern auch die Menschen und ihre Arbeit im Fokus stehen.

Was sind für Dich die wichtigen Themen, auf die sich die IG Metall in den nächsten Jahren konzentrieren sollte?

Mir liegen drei Dinge besonders am Herzen: Erstens, dass wir auch künftig nicht nur Politik für Stammbelegschaften machen, sondern weiterhin auch für prekär beschäftigte Kolleginnen und Kollegen. Die Debatten auf dem Gewerkschaftstag haben ja gezeigt: Das Thema bewegt die IG Metall. Da bleiben wir dran. Zweitens, dass wir Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft der Arbeit finden und mit diesen Antworten Beschäftigung sichern. Eins steht bei mir schon lange ganz oben auf der Agenda: die Digitalisierung der Arbeitswelt so zu gestalten, dass die Beschäftigten nicht unter die Räder kommen. Und drittens, dass die IG Metall das Thema Arbeitszeit mit all ihren Facetten anpackt. Auch dazu haben wir eine tolle Debatte in Frankfurt geführt. Werkverträge, Arbeitszeit und Alterssicherung ― diese Themen wurden uns von den Delegierten mit den Leitanträgen auf die Tagesordnung gesetzt.

Und Du hast das Thema Tarifbindung in Deinem Zukunftsreferat zur Gerechtigkeitsfrage Nummer eins gemacht?

Ja, ich bin davon überzeugt, dass wir uns auf die Erhöhung der Tarifbindung fokussieren müssen. Um die Zukunft der Arbeit zu gestalten, brauchen wir Tarifbindung. Sie entscheidet darüber, ob und was wir gestalten können ― im Betrieb oder in der Politik. Ein Beispiel: Ein Facharbeiter verdiente 2010 in unseren Industriebranchen mit Tarifvertrag 20,65 Euro. Ohne Tarifvertrag 17,12 Euro. Das sind 18 Prozent weniger. Nicht nur das Einkommensniveau driftet massiv auseinander. Dies gilt auch für Arbeitszeiten, Urlaub und andere Sozialleistungen. Übrigens hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch auf die Bedeutung der Tarifbindung für den Sozialstaat hingewiesen und ihre Unterstützung zugesagt. Gut so!

Wie ist es denn um die Tarifbindung heute bestellt?

Aktuell arbeiten etwa 50 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen. Das ist viel zu wenig. Aber wir haben auch schon Erfolge vorzuzeigen: Seit Beginn dieses Jahres konnten wir zum Beispiel mit einer ganzen Reihe von Betrieben der Kontraktlogistik Haustarife abschließen. Mittelfristig streben wir aber auch für diese Branche Flächentarife an. Und wir versuchen, in den Einsatzbetrieben Regelungen für Vergabeprozesse zu erreichen. Nur tarifgebundene Werkvertragsunternehmen dürfen den Zuschlag für Aufträge bekommen. Wir müssen einem Niedriglohnsektor mitten in den hoch profitablen Vorzeigebranchen der deutschen Exportindustrie entgegentreten. Dazu haben wir Parlament und Regierung ausdrücklich aufgefordert. Arbeitsministerin Andrea Nahles bringt in diesen Tagen einen entsprechenden Gesetzesentwurf ein.

Wie willst Du diese vielen Themen denn angehen?

Nicht ich ― wir wollen gemeinsam die Zukunft der Arbeit gestalten. Wir werden alles tun, um die Mitbestimmung zu stärken und mehr direkte Beteiligung zu ermöglichen. Gemeinsam mit den Beschäftigten, Betriebsräten und Vertrauensleuten wollen wir Lösungen und Regelungen erarbeiten, die die Arbeit im Betrieb besser machen.

Also mit den Beschäftigten reden statt über sie?

Genau. Wir wollen gemeinsam mit den Betriebsräten und Vertrauensleuten Beteiligungsprozesse organisieren. Wir sollten nicht so tun, als ob wir schon wüssten, was die Beschäftigten für gute Arbeit brauchen ― wir sollten sie fragen. Im Leitantrag „Beteiligungsgewerkschaft IG Metall“ sind für unsere Handlungsfelder viele gute Vorschläge gemacht worden.

Was steckt hinter der von den Delegierten beschlossenen Arbeitszeitkampagne?

Es geht auch beim Thema Arbeitszeit um Gestaltungsmacht. Unser zentrales operatives Ziel in den nächsten drei Jahren ist nicht weniger als die Neukonzeptionierung der Arbeitszeitpolitik. Wir lassen uns nicht ins Bockshorn jagen von scheinbar alternativlosen Flexibilisierungsstrategien der Arbeitgeber. Und wir wollen, dass die Beschäftigten selbstbestimmter ihren Arbeitstag und ihr Arbeitsleben gestalten können. Gerade junge Leute erheben diesen Anspruch immer deutlicher. Das müssen wir aufgreifen.

Und wie sieht es mit Deiner persönlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus?

Ich glaube nicht, dass sich daran viel ändern wird. Ich versuche, an den Wochenenden so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie zu verbringen.

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