Auswirkungen der Corona-Krise auf Beschäftigte und Beschäftigung

Bericht aus Bezirk MitteDie Gesundheitskrise löst eine Wirtschaftskrise aus, die an die Krise 2008/2009 erinnert. Jene trifft auf Umbruchsituationen in den Betrieben, ausgelöst durch die Transformation. Wir fragen Carsten Bätzold, wie sich die Situation bei Volkswagen Kassel in Baunatal darstellt.

1. Juni 20201. 6. 2020


Welche Erinnerungen hast Du an die letzte große Wirtschaftskrise 2008/2009?

Carsten Bätzold: Damals wurden bei uns „über Nacht“ 1000 Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter nicht weiter verlängert. Das war ein bleibender Eindruck, aus dem wir viel gelernt haben. Seit 2012 haben wir fast 4000 Kolleginnen und Kollegen aus der Leiharbeit in die Stammbelegschaft geholt. Seitdem verknüpfen wir betriebliche Auseinandersetzungen immer mit der Frage, ob die Leiharbeitskolleginnen und -kollegen dadurch gefährdet oder gesichert werden. Wir haben eine Vereinbarung abgeschlossen, die regelt, dass Mehrarbeit als Freizeit entnommen werden muss. Das führt dazu, dass der Übernahmedruck steigt, weil diejenigen, die ihre Mehrarbeit entnehmen, durch andere ersetzt werden müssen.

Welche Auswirkungen erlebt Ihr im Moment bei Volkswagen?

Bätzold: Es ist eine verrückte Situation. Auf der einen Seite kauft im Moment niemand ein Auto, auf der anderen Seite sehen wir aber, dass durch den Neuanlauf des ID in Zwickau und den gleichzeitigen Bau des Golf Variant ein hoher Personalbedarf entsteht und wir noch gar nicht wissen, wie das miteinander gehen kann. Kassel ist ein Komponentenwerk, und wenn keine Autos gekauft werden, hat das Auswirkungen auf den Bedarf an Bauteilen, die wir hier herstellen. Im Bereich des Aftersales sieht es ganz anders aus, die Menschen entscheiden sich im Moment eher dazu, ihre Autos reparieren zu lassen.

Wie gehen die Kolleginnen und Kollegen mit dem Hochfahren der Produktion um, und vor welche Herausforderungen stellt Euch das?

Bätzold: Die Situation differenziert, es gibt diejenigen, die sagen, ich will wieder arbeiten, will wieder eine Struktur in meinem Tag. Es gibt einen genauso großen Teil von Beschäftigten, bei denen es große Ängste gibt, sich anzustecken. Und es gibt den großen Block derer, der zunächst mal abwartet, was jetzt kommt. Wir als Betriebsrat haben sehr stark gemeinsam mit dem Management in die bisherige Arbeitsorganisation eingegriffen: Alle Arbeitsplätze sind markiert, damit der Abstand eingehalten werden kann. Plexi-Glasscheiben sind gezogen, und es gibt keinen Arbeitsplatz, der nicht begangen wurde. Es gibt auch Bereiche, an denen eine Maskenpflicht herrscht, damit kommen nicht alle gleichermaßen klar. Es gibt die Aussage von unserem Werkleiter und auch von mir als Betriebsratsvorsitzendem: Sicherheit geht vor Stückzahl. Das ist schon ein Phänomen, bedenkt man die Jagd nach Stückzahlen, nach Produktivität in den letzten Jahren.

Vor welchen Herausforderungen stehen wir aus Deiner Sicht nach der Corona-Krise?

Bätzold: Schon vor der Krise standen wir vor großen Umbrüchen, bedingt durch die Dekarbonisierung und die zunehmende Digitalisierung. Ich wünsche mir, dass wir die Diskussion über die Gestaltung einer gerechten Transformation intensiv wieder aufnehmen.
Ich glaube, dass wir neben den wirtschaftlichen Auseinandersetzungen vor allem die Fragen der Demokratie und der Beteiligung nach vorne bringen müssen. Das alles kreist natürlich um die Frage, wie sieht Arbeit in der Zukunft aus, wie lässt sich eine gerechte Transformation umsetzen.
Es gibt viele Verteilungsfragen, die wir lösen müssen, die sich aber nur in Auseinandersetzungen lösen lassen. Wir müssen die Kolleginnen und Kollegen bei der Lösung der Konflikte mitnehmen. Wir brauchen das gemeinsame Gefühl, dass wir uns als wirkungsmächtig erleben, dass wir eine große Kraft entwickeln können. Wir müssen uns als IG Metall über ein neues Bewegungs- und Beteiligungskonzept Gedanken machen, das alle unsere Ressourcen bündelt und unsere Durchsetzungsmacht stärkt.

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Foto: BR Volkswagen
Carsten Bätzold, Vorsitzender des Betriebsrates bei Volkswagen Kassel in Baunatal: Wir müssen uns als IG Metall über ein neues Bewegungs- und Beteiligungskonzept Gedanken machen, das alle unsere Ressourcen bündelt und unsere Durchsetzungsmacht stärkt.
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