Den Wandel gestalten

Mit einem Transformationsatlas will die IG Metall Ausmaß und Auswirkungen des Wandels der Arbeitswelt sichtbar machen. Wie groß die Umbrüche werden, zeigt sich bei den Automobilzulieferern. Arbeitgeber müssen Beschäftigte qualifizieren. Die Politik ist gefordert, den Strukturwandel zu begleiten.

1. Juni 20191. 6. 2019
Jan Chaberny


Was das Wort Transformation konkret bedeutet, wird hier greifbar: ein warmer Maitag in Halle 2 bei ZF in Saarbrücken, die Montagelinie blitzt und blinkt ― an ihr werden Getriebe für den Mobilitätswandel gebaut. „Wir haben unser 8-Gang-Automatgetriebe weiterentwickelt und bieten es jetzt auch als Hybridvariante an, mit der man voll elektrisch fahren kann“, sagt Betriebsratsvorsitzender Matthias Scherer. „Das Unternehmen steckt mitten im Umbruch. Wir treiben die Elektrifizierung des Antriebsstranges voran und senken die CO2-Emissionen im Straßenverkehr.“

Die Zielsetzung ist ambitioniert: Bereits in zehn Jahren, so die Planungen des Automobilzulieferers, sollen 80 Prozent der
Getriebe, die in Saarbrücken hergestellt werden, Hybridvarianten sein. „Wir produzieren derzeit rund 2,5 Millionen Getriebe im Jahr“, sagt Matthias Scherer. „Die Umstellung wird ein enormer Kraftaufwand.“ Auf die 8500 Beschäftigten, die derzeit am Standort arbeiten, kommen tief greifende Umbrüche zu.

Die Treiber des Wandels sichtbar zu machen, den Stand der Transformation und die Auswirkungen auf die Beschäftigten systematisch zu erfassen ― das war Aufgabe und Ziel des Transformationsatlas der IG Metall, der in den vergangenen Monaten in Betrieben überall in der Republik erstellt wurde. Auch bei ZF in Saarbrücken.

In einem gemeinsamen Workshop haben Matthias Scherer und sein Team einen Fragebogen bearbeitet, der es ermöglicht, frühzeitig Hinweise über Veränderungen zu erlangen, die die Beschäftigten betreffen, und zugleich einen Überblick über den konkreten Handlungsbedarf zu bekommen. „Wir stehen vor fundamentalen Umbrüchen“, sagt Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall. Die Transformation werde die Art, wie wir leben und arbeiten, komplett verändern. „Mit dem Transformationsatlas wollen wir die Hotspots der Veränderung aufzeigen.“


Treiber des Wandels

Bei ZF, das wurde mit dem Atlas sichtbar, stecken sie mitten in der Transformation. Hier wirken unterschiedliche Treiber, die sich gegenseitig verstärken und potenzieren. „Die Umbrüche betreffen uns gleich doppelt“, erzählt Matthias Scherer. „Erstens kommt der Mobilitätswandel, der zu großen Veränderungen für die Beschäftigten führen wird. Zweitens wird die fortschreitende Digitalisierung die Abläufe in der Fabrik stark verändern.“ Beide Entwicklungen haben konkrete Auswirkungen auf die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen am Standort. Beide Entwicklungen müssen gestaltet werden.

Das gilt nicht nur für ZF, dem Zulieferer mit weltweit 140 Standorten und insgesamt 140 000 Beschäftigten, davon 50 000 in Deutschland. Das gilt auch für kleine Unternehmen und Betriebe, die in der zweiten und dritten Zulieferreihe stehen.


Aktive Arbeitsmarktpolitik

Unstrittig ist, dass die Automobilindustrie vom Mobilitätswandel tiefgreifend betroffen sein wird. Im Antriebsstrang könnte in den nächsten elf Jahren ein Abbau von 90 000 Stellen direkt stattfinden und von zusätzlichen 35 000 Stellen, wenn es nicht gelingt, die Komponenten für E-Mobilität in Deutschland zu fertigen. „Diese Umwälzungen sind nur zu bewältigen, wenn wir jetzt massiv in Qualifizierung und in Arbeitsplätze der Zukunft investieren“, so der Erste Vorsitzende der IG Metall. „Erste Trends unseres Transformationsatlas zeigen: Viele Betriebe sind für die Transformation nicht einmal ansatzweise gerüstet. Die Unternehmen müssen dringend strategischer planen ― beim Personal und bei ihren Produkten.“

Es werde aber auch einer aktiven Arbeitsmarktpolitik bedürfen. „Hier sind auch neue Instrumente gefordert, wie ein Transformationskurzarbeitergeld“, so Jörg Hofmann. Damit könnten Beschäftigte in den Betrieben gehalten und für neue Tätigkeiten an neuen Dienstleistungen und Produkten qualifiziert werden. Aufgabe der Arbeitgeber sei, für eine verbindliche Personal- und Qualifikationsplanung zu sorgen.

Genau darauf dringen Matthias Scherer und sein Team bei ZF in Saarbrücken. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Beschäftigten neue Fertigkeiten erwerben und geforderte Kompetenzen entwickeln können“, sagt der Betriebsrat, „nur auf diese Weise wird der Wandel zu meistern sein. 4500 Menschen arbeiten am Standort Saarbrücken in der Getriebeproduktion, an zwei Montagelinien wird derzeit das Hybridgetriebe gefertigt, weitere Linien sind in Planung. Zukünftig, so das Ziel, wird nahezu die gesamte Belegschaft in der Fertigung der Hybridgetriebe eingesetzt werden. Das bedeutet aber, dass ein großer Teil von ihnen qualifiziert werden muss. „Wir haben einen Qualifizierungsplan“, sagt Matthias Scherer. „Wir wissen, welcher Beschäftigte welchen Wissensstand hat und was wir tun müssen, um ihn für eine bestimmte Stelle weiterzuqualifizieren.“

Längst nicht überall aber gibt es gezielte Qualifizierungskonzepte. Längst nicht überall fließen die nötigen Investitionen in neue Technik, in neue Produkte.


Große Herausforderungen

„Die Transformation stellt sich bei uns ganz unterschiedlich dar“, sagt Patrick Selzer, Geschäftsführer der IG Metall Saarbrücken. Auf der einen Seite gebe es Betriebe wie ZF, große Zulieferer, die mit Hochdruck neue Produkte und Geschäftsmodelle entwickeln, die hohe Summen in die Qualifizierung der Mitarbeiter investieren. „Es gibt aber auch Betriebe, vor allem kleinere, die nicht so weit sind oder die schlicht nicht das nötige Kapital haben, um sich etwa auf den Mobilitätswandel einzustellen. Diese Betriebe stehen vor riesigen Herausforderungen.“

 

800 Menschen arbeiten beim Automobilzulieferer Voit in St. Ingbert. "Uns allen ist bewusst, dass wir uns auf den Mobilitätswandel ausrichten müssen", sagt Betriebsrat Roland Marx.

800 Menschen arbeiten beim Automobilzulieferer Voit in St. Ingbert. "Uns allen ist bewusst, dass wir uns auf den Mobilitätswandel ausrichten müssen", sagt Betriebsrat Roland Marx.

 

Einer von ihnen ist Voit Automotive. 800 Menschen arbeiten beim Automobilzulieferer aus St. Ingbert in der Nähe von Saarbrücken. Die Beschäftigten sind in der Metallumformung eingesetzt, sie stellen aber auch Druckgussteile aus Aluminium her, die dann, etwa bei ZF, in Getriebe verbaut werden. „Uns allen ist bewusst, dass wir uns auf den Mobilitätswandel ausrichten müssen“, sagt Roland Marx, der lange Jahre Betriebsratsvorsitzender war und sich heute als freigestellter Betriebsrat um Digitalisierung kümmert ― eine große Herausforderung. „Ich habe den Eindruck, Aufträge werden immer mehr über den Preis entschieden. Qualität spielt eine untergeordnete Rolle“, sagt Betriebsrat Marx. „Uns fehlt das Kapital für große Investitionen.“ Diese sind nötig, um neue Produkte zu entwickeln, um den Beschäftigten Wege zu zeigen. „Wir wollen auf dem Markt der E-Mobilität Fuß fassen“, sagt Roland Marx. Bei Voit gießen sie zwar einen Teil des Gehäuses für Elektromotoren ― bislang aber nicht in ausreichend hoher Stückzahl. Noch sei das kein großes Problem, bald könnte es eines werden. „Der Transformationsatlas hat uns klar gezeigt: Uns stehen gewaltige Umbrüche bevor“, sagt Roland Marx. „Die nächsten eins, zwei Jahre werden entscheidend sein. Da wird sich zeigen, ob wir den Wandel werden bewältigen können.“

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