Wellenbrecher

Vier Wochen lang arbeitet Raimund Meß als Mechaniker auf einem Schiff im östlichen Mittelmeer. Zusammen mit anderen jungen Ehrenamtlichen aus ganz Europa engagiert sich der Metaller in der Flüchtlingshilfe. Was treibt ihn an?

1. Dezember 20191. 12. 2019
Jan Chaberny


Plötzlich sind da Lichtkugeln, gelb strahlende Suchscheinwerfer am Horizont. Unaufhörlich schwenken sie über das nachtschwarze Meer, von links nach rechts und wieder zurück. Ein hastiger Blick auf den Bordcomputer – viele kleine Punkte auf dem Radar: eine Ansammlung von Booten irgendwo da draußen, mitten in der Nacht. Da müssen sie hin, das ist klar.

Deshalb sind sie ja da.

„Wir haben den Motor angeworfen“, sagt Raimund Meß jetzt, an einem kalten Novembertag, einen Monat nach seiner Rückkehr an Land. Einen Monat, nach seiner Rückkehr aus der Ägäis, wo er, zusammen mit anderen jungen Menschen, zwischen der griechischen Insel Lesbos und dem türkischen Festland unterwegs gewesen war: Mit einem alten Schiff, der Mare Liberum, 21 Meter lang, fünf Meter breit, immer entlang der europäischen Grenze, immer auf der Suche nach Flüchtlingsbooten. „Als wir ankamen, wurden wir bereits erwartet“, sagt Raimund Meß. Schiffe der Küstenwache voraus, Fragen über Funk. „Mare Liberum, what is your intention?“

Mare Liberum, was ist Ihre Absicht?

Das ist eine Frage, die man auch Raimund Meß stellen kann, und wenn man sie stellt, an diesem kalten Novembertag, dann erzählt Raimund, dass es ihre Absicht und Aufgabe gewesen sei, so nah wie möglich an die Flüchtlingsboote ranzufahren, sich in ihrer Nähe aufzuhalten, dabei zu sein und detailliert zu protokollieren und zu dokumentieren, was in der Ägäis geschieht, Tag für Tag, Nacht für Nacht. „Die Bedingungen für Bootsüberfahrten sind alles andere als sicher“, erzählt Raimund Meß, und während er das alles erzählt, muss man ihn irgendwann sanft unterbrechen: Halt, Raimund, halt! Nun sag einmal: Was ist Deine Absicht gewesen? Warum bist Du im Spätsommer nach Lesbos gereist? Warum auf dieses Schiff gegangen?

„Ich wollte mir ein Bild von der Situation vor Ort machen“, sagt Raimund da. „Ich wollte vor allem meinen Teil dazu beitragen, um auf die Situation von Flüchtlingen aufmerksam zu machen, die mit klapprigen Booten die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland wagen. Es ist mir wichtig zu verstehen, was dort passiert.“

Das ist nicht einfach so gesagt, soziales Engagement zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Raimund Meß: Mit 16 macht der gebürtige Thüringer eine Ausbildung zum Gießereimechaniker bei einem mittelständischen Automobilzulieferer, mit 17 wird er IG Metall-Mitglied. Politisch aktiv ist er seit seiner Jugend. Seit den Tagen, als Schulfreunde, mit denen er vorher Fußball spielte, plötzlich anfingen, über Ausländer zu schimpfen. Nun, mit 29, ist er auf dem Weg, Gewerkschaftssekretär zu werden. „Da kann ich mich für gute Arbeitsbedingungen einsetzen und meine Erfahrungen und Kompetenzen einbringen.“

Das konnte er auch auf dem Schiff.

Ende Juli schreibt Raimund Meß eine E-Mail an Mare Liberum, ein transnationaler, ehrenamtlicher Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit einem eigenen Schiff Beobachtungsfahrten auf der Ägäis durchzuführen. Schnell ist man sich einig – Raimund soll als Mechaniker auf der Mare Liberum anheuern. Die Crew braucht dringend einen Fachmann, der die Lenkung des Beiboots reparieren, der eine Solaranlage auf dem Dach des Schiffs installieren kann.


Schichtdienst

An einem Montag Mitte September kommt Raimund an Deck, mit dabei ist ein Portugiese, ein Spanier, eine Französin. Der Kapitän kommt aus Deutschland und ist mit Ende dreißig deutlich der älteste. Sieben Ehrenamtliche, die Stunden sind strikt eingeteilt. „Wir haben im Schichtdienst gearbeitet“, erzählt Raimund. „Immer zwei zusammen haben drei Stunden Wache gehalten. Nach sechs Stunden war man wieder an der Reihe.“

Es konnte passieren, dass stundenlang nichts geschah – und dann, vor allem nachts, sahen sie plötzlich kleine schwarze Punkte auf dem Radar. Dann wussten sie: Jetzt geht es los. „Vor Ort mussten wir dann entscheiden, ob wir kooperieren und also nicht nah ranfahren oder auf Konfrontation gehen und mit Kameras dokumentieren.“ Anstrengend sei diese Arbeit gewesen, körperlich auslaugend, manchmal psychisch belastend – aber nein, sagt Raimund: Bereut habe er seinen Einsatz nicht eine Sekunde, im Gegenteil. „Ich werde mich weiter für die Mission engagieren.“ Es bleibe noch so viel zu tun.  

 Allein im Jahr 2018, das dokumentieren Zahlen der Internationalen Organisation für Migration, starben 174 Kinder, Frauen und Männer im östlichen Mittelmeerraum auf dem Weg nach Europa.   

 


Weitere Informationen zur Arbeit von Mare Liberum findet Ihr auf der Homepage des Vereins. Hier gibt es auch die Möglichkeit, Geld zu spenden.

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