Einstellungen, Demokratieverständnis, Identität: Wie tickt die Nachwendegeneration?

Bericht aus Geschäftsstelle LudwigsfeldeStudie der Otto-Brenner-Stiftung: Konkrete Situation ist entscheidender als „kulturelle“ Unterschiede

1. April 20191. 4. 2019


Intershops und Transitstrecken haben sie nie kennengelernt. Auch Erfahrungen mit der Staatssicherheit und die Beschränkung der Reisefreiheit kennen sie nur aus Erzählungen. Die Generation der nach 1989 Geborenen ist im vereinten Deutschland aufgewachsen. Wie ist es um die viel zitierte „Mauer in den Köpfen“ bei denen bestellt, die die deutsche Teilung nie selbst erlebt haben?


„Mauer in Köpfen“ bröckelt

Die Otto-Brenner-Stiftung hat nachgefragt, ob die Nachwendegeneration in ihrer Haltung zu Politik, Gesellschaft und Wirtschaft vereint oder immer noch gespalten ist. Ein Ergebnis lautet: Die „Mauer in den Köpfen“ existiert auch in der Nachwendegeneration noch, aber sie bröckelt.

Die Auswertung von 30 Tiefeninterviews sowie eine Online-Befragung mit 2183 jungen Frauen und Männern zeigt: Es gibt auch bei denen, die nie in einem geteilten Deutschland gelebt haben, noch Unterschiede in der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Situation, in der Demokratiezufriedenheit und im Gerechtigkeitsempfinden.

So sind zum Beispiel nur 59 Prozent der jungen Menschen in Ostdeutschland der Meinung, die wirtschaftliche Situation ihrer Region sei gut, während dies bei 74 Prozent der Westdeutschen der Fall ist. Auch in punkto Arbeitsmarktperspektive schätzen die jungen Frauen und Männer im Westen ihre Chancen in ihrer Region besser ein als Gleichaltrige im Osten Deutschlands.

Unterschiede fanden die Forscher auch in den Einstellungen zu Politik und Gesellschaft. Der Studie zufolge sind junge Ostdeutsche (51 Prozent) seltener mit den Leistungen der Demokratie zufrieden als Westdeutsche (58 Prozent). Und sie haben auch seltener das Gefühl, dass es in der Gesellschaft gerecht zugeht (Ost: 41 Prozent / West: 53 Prozent).


Wirtschaftslage entscheidend

Die Ursachen für diese Unterschiede sind auf die konkrete jeweilige Situation zurückzuführen und weniger das Ergebnis „kultureller“ Differenzen und von Unterschieden in der eigenen Sozialisation, so die Forscher. Demokratiezufriedenheit und Gerechtigkeitsempfinden hängen – unabhängig von West und Ost – vielmehr damit zusammen, wie gut die jungen Frauen und Männer die wirtschaftliche Lage ihrer Region und die Perspektive in ihrer Heimatregion beurteilen.


Die Wiedervereinigung

Noch deutlich größer sind die Differenzen bei der Einschätzung und Bewertung der Wiedervereinigung. Zwar sagen zwei Drittel aller Befragten in West und Ost, dass die Wiedervereinigung insgesamt gelungen und so lange her sei, dass sie für das eigene Leben keine Rolle mehr spielt. Aber gleichzeitig sagen nur 33 Prozent der jungen Ostdeutschen, dass „es heutzutage keinen Unterschied mehr macht, ob man aus West- oder Ostdeutschland kommt“. Die Westdeutschen sehen das anders: Sie stimmen dieser Aussage zu 57 Prozent zu.


„Ostdeutsche“ Identität

Für sie sind die Wiedervereinigung und die Folgen auch weniger bedeutsam als für die Nachwendegeneration im Osten. „Ostdeutsch“, so ein Ergebnis der Studie, ist für junge Frauen und Männer „im Osten auch eher Teil ihrer Identität“: Sie fühlen sich eher als „Ostdeutsche denn als Deutsche“, so die Untersuchung.

Weitere Informationen gibt es bei der Otto-Brenner-Stiftung.

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