Gastbeitrag von Wolfgang Lemb im „Handelsblatt“
Das Feigenblatt

Die EU-Kommission will der Investitionsschwäche Europas mit einer Reihe von Investitionsprojekten entgegenwirken. Doch der „Juncker-Plan“ greift zu kurz. Damit Europa nicht weiter zerfällt, müssen Alternativen her, die wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltig wirken. Das erklärt ...

20. Dezember 201620. 12. 2016


... Wolfgang Lemb in seinem Gastbeitrag im „Handelsblatt“.

Die Zahlen klingen beeindruckend: Wenn es nach der EU-Kommission geht, soll die Investitionssumme des Juncker-Plans von 315 auf 500 Milliarden Euro bis 2020 aufgestockt werden. Was uns die Kommission damit sagen will: Wir kleckern nicht, sondern klotzen! Angesichts der dramatischen Investitionsschwäche in Europa ist die Bedeutung, die die Kommission ihrer Investitionsoffensive beimisst, durchaus gerechtfertigt. Aber ein Blick auf die Struktur des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) – das Herzstück des Juncker-Plans – offenbart, dass es sich bei dem bisher verständigten Ziel von 315 Milliarden Euro um nicht mehr als einen Marketinggag handelt.

Vereinfacht gesagt: Durch kleinere Umschichtungen im EU-Haushalt werden der Europäischen Investitionsbank (EIB) Garantien in Höhe von 16 Milliarden Euro zugesichert, damit diese dann riskantere Investitionsprojekte als zuvor mitfinanziert. Man erhofft sich, dass damit zusätzliche Investitionen in Höhe von 315 Milliarden Euro angeregt werden. Also unternimmt man gegen die Investitionsschwäche nicht viel mehr als vor dem EFSI – nämlich die Ko-Finanzierung von Investitionsprojekten durch die EIB.

Niemand wird bestreiten, dass der EFSI zur Finanzierung einer Reihe von Investitionsprojekten beitragen konnte. Aber im austeritätspolitischen Umfeld, in das die EU sich manövriert hat, wirken diese wie ein Strohfeuer, das man versucht, bei strömendem Regen am Leben zu erhalten. Die Frage ist doch, wer investiert in einen schrumpfenden Markt mit ungewissen Nachfrage-, Absatz- und damit Renditeerwartungen?

Der Juncker-Plan hat weite Teile der politischen Linken verstummen lassen: Schließlich kritisiert man nicht das zarte investitionspolitische Pflänzchen, sondern lobt vielmehr die Kommission für ihre Bemühungen. Die Konservativen wiederum freuen sich, dass der politische Druck gemildert wird, den immer noch strauchelnden Krisenstaaten Südeuropas durch eine echte öffentliche Investitionsoffensive und eine Abkehr vom rigiden Austeritätskurs auf die Beine zu helfen. Während die politisch Rechten sich zurücklehnen und auf ein Scheitern des Europäischen Projekts hoffen.

Mehr denn je gilt es daher, darauf zu drängen, dass sich die politisch Verantwortlichen nicht hinter dem Feigenblatt Juncker-Plan verstecken dürfen. Seit langem liegen Vorschläge des Deutschen wie Europäischen Gewerkschaftsbundes für einen nachhaltigen öffentlichen Investitionsplan auf dem Tisch. Damit Europa nicht weiter zerfällt, bedarf es wirklicher Alternativen im Sinne eines wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltigen Wachstumspfades. Der Juncker-Plan jedenfalls trägt zu keiner dieser drei Dimensionen wesentlich bei.

Der Gastbeitrag von Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, erschien am 20. Dezember 2016 im „Handelsblatt“.

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