Interview mit Waldemar Richter: heute hier, morgen dort
Die Menschen müssen aufstehen und für ihre Rechte eintreten

Seit zehn Jahren pendelt Waldemar Richter bereits der Arbeit hinterher. Mal muss er von der Ostsee nach München, ein anderes Mal bekommt er einen Auftrag in Hamburg. Inzwischen arbeitet er seit zwei Jahren in Kiel. Die Orte wechseln, doch das spärliche Gehalt und die unsicheren ...


... Arbeitsbedingungen ändern sich nicht.

Waldemar Richter ist Leiharbeitnehmer. Seit Jahren hatte er keinen Urlaub, vor dem Ruhestand graut ihm. Nie hätte der gelernte Meister gedacht, dass er bis 67 und länger arbeiten muss. Um seinen ohnehin niedrigen Lebensstandard zu halten, bleibt diese Tatsache scheinbar unvermeidbar. Der 56-Jährige hofft, dass er irgendwann fest angestellt wird. Dafür strengt er sich doppelt und dreifach an, ist motiviert und nimmt den ständigen Ortswechsel in Kauf. Seine festangestellten Kolleginnen und Kollegen unterstützen ihn. Sie setzen sich mit Waldemar und den anderen Leiharbeitnehmern zumindestens für eine gleiche Entlohnung ein.

Waldemar, wie betrachten Sie Ihre Zukunft im Hinblick auf Ihre Alterssicherung?
Die ist nicht so rosig, was die Leiharbeitsfirmen betrifft. Dadurch, dass wir wenig verdienen, hat man keine Möglichkeit was aufzubauen. Ich müsste zum Beispiel die Riester-Rente beantragen, aber ich kann nicht Riestern, weil ich nicht genug Geld habe. Es ist nicht drin. Das kann man vergessen. Also in der Beziehung ist mein Anstellungsverhältnis negativ, weil ich als Leiharbeiter nichts aufbauen kann. Meiner Rente sehe ich deshalb nicht zuversichtlich entgegen.

Finden Sie das ungerecht?
Ja sehr, wir Leiharbeiter haben keine Chance, um uns etwas aufzubauen.

Wie würden Sie sich das denn wünschen?
Eine betriebliche Altersvorsorge wäre nicht schlecht. Aber da macht meine Firma nicht mit. Da passiert nichts.

Freuen Sie sich denn auf Ihre Rente?
Nein, überhaupt nicht. Es sieht so aus, als wenn ich nach 67 noch arbeiten muss, weil ich mir das anders nicht leisten kann. Von der Rente habe ich so gut wie nichts, davon kann ich nicht leben. Im Alter muss ich meinen Lebensstandard noch weiter herunterschrauben, obwohl ich schon jetzt sehr bescheiden lebe.

Sie gehen praktisch davon aus, dass Sie in Altersteilzeit gehen müssen?
So nebenbei muss ich nachher noch Geld dazu verdienen.

Was halten Sie denn von der Rente mit 67?
Ob man dieses Alter überhaupt schafft ... Im Moment ist ja meine Arbeit physisch nicht so anstrengend. Aber über Leiharbeit habe ich auch schon Jobs gemacht, wo ich über sechseinhalb Tonnen in einer Schicht umschlagen musste. Das geht dann ins Kreuz, das hält man nicht lange durch. Ich hab dann auch zu meinem Arbeitgeber gesagt: „Da könnt Ihr einen 20-Jährigen hinschicken, aber ich schaffe das nicht mehr.“ Da musste ich mich dann auch krank schreiben lassen.

Haben Sie sich denn Ihr Leben so vorgestellt als Sie mit Arbeiten begonnen haben?
Nein, so habe ich mir das natürlich nicht vorgestellt. Ich habe ja auch mal den Weg in die Selbstständigkeit gewagt, aber da hatte ich dann so viele Außenstände, dass ich die Firma schließen musste.

Wie viel bleibt Ihnen denn übrig?
So hundert Euro, aber das geht ja immer gleich wieder für andere Sachen weg. Sie müssen sich ja ab zu mal wieder was kaufen, obwohl ich ja schon nicht viele Klamotten besitze. Außerdem steigen ja alle anderen Kosten ständig.

Was erwarten Sie denn eigentlich von der Politik?
Viele behaupten, dass eine Lohngrenze von 7,50 Euro reicht. Aber das reicht nicht. Damit kann ich nicht leben. Ich weiß nicht, was die sich dabei gedacht haben. Da soll mir doch mal ein Politiker zeigen, wie man mit einem Stundenlohn von 7,50 Euro über die Runden kommt.

Was erwarten Sie von der Gesellschaft?
Die Menschen müssten wieder aufstehen und für ihre Rechte eintreten. Das würde ich mir schon mehr wünschen. Aber ich habe den Eindruck, dass es der Gesellschaft egal ist, was mit uns Leihern passiert. Zwar finden viele unsere Situation ungerecht, aber wenn es darauf ankommt, sagt keiner was. Also der Betriebsrat haut zum Beispiel drauf, aber der muss auch keine Angst um seinen Job haben.

Wo sehen Sie sich denn in näherer Zukunft, beispielsweise in den nächsten fünf Jahren?
Ich hoffe, dass ich noch ein paar Jahre irgendwo als Festangestellter arbeiten kann, dass ich wirklich was für die Rente machen kann, denn sonst sieht es nicht gut aus. Ich kann ja nicht privat vorsorgen und wegen meines niedrigen Lohns habe ich ja nur niedrige Rentenansprüche.

Was bedeutet Solidarität für Sie?
Die Solidarität könnte besser sein. Also ich zum Beispiel, obwohl ich wirklich nicht viel habe, gebe immer noch was ab.

Was bedeutet Respekt für Sie?
Ich wünsche mir mehr Respekt vor der Berufserfahrung, die man besitzt.

Beschreiben Sie mal Ihren Arbeitsalltag?
Montags fahre ich immer mit dem Zug nach Kiel. Die Fahrkarte muss ich selbst bezahlen. Ich bekomme zwar zehn Euro am Tag Auslöse, aber davon muss ich die Unterkunft und die Hin- und Rückfahrt zahlen. Das reicht ja nicht. Dort bleibt eigentlich mein ganzes Geld hängen. Ich habe immer Spätschicht und bediene die ganze Zeit mehrere Maschinen.

Leiharbeit ist moderne Sklavenarbeit. Die Vermittler sitzen im Büro und verscherbeln uns für Geld an die Arbeitgeber. Das ist wirklich kein Leben.

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