Metaller nehmen geflüchtete Ukrainer auf
Endlich ein sicheres Dach über dem Kopf

Lars ist Vertrauensmann bei VW, Willi Betriebsrat bei Alstom. Die beiden Metaller haben eines gemeinsam. Sie haben ukrainische Familien aufgenommen, die vor der Bombardierung ihrer Dörfer geflohen sind.

23. März 202223. 3. 2022


„Das Wichtigste ist, dass wir in Sicherheit sind und es den Kindern gut geht“, sagt Serhii Myhryn. Der Ukrainer hatte mit seiner Familie fluchtartig ihren Heimatort Makariw westlich von Kiew verlassen. Das Dorf war von beiden Seiten unter Dauerbeschuss. Tagelang wagten Serhii und seine Familie nicht, den schützenden Keller ihres Hauses zu verlassen. Zum Schluss gab es keinen Strom mehr. Ihnen blieb nichts anderes als die Flucht nach Westen. Mit dem Auto schlugen sie sich über Polen bis Berlin durch.

Dort trafen sie auf den Metaller Willi Diebitsch. Willi ist Metaller und Betriebsrat bei Alstom in Berlin, wo er als Zulassungsingenieur arbeitet. Er hatte über eine Internetseite angeboten, Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen. Dann ging alles ganz schnell. Willi und seine Frau Astrid, auch sie aktiv in der IG Metall, konnten die ukrainische Familie Myhryn Anfang März in Empfang nehmen. Seit zwei Wochen wohnen die Myhryns nun bereits im obersten Stock des Reihenhauses in Reinickendorf: Vater Serhii, Mutter Sascha, die sechsjährige Milana und der ein Jahr ältere Wladislaw.
 

Vier Tage im Versteck

Willi und Astrid versorgten die Familie mit Kleidung und gingen mit aufs Sozialamt. Weil die Kinder dringend medizinische Behandlung brauchten, waren sie bereits zur Untersuchung in der Berliner Charité. Der Stress durch die Kriegseindrücke und die Tage der Flucht lässt zwar langsam etwas nach. Immer noch lastet aber ein bleierne Müdigkeit auf allen Familienmitgliedern. „In den vier Tagen im Keller konnten wir immer nur wenige Stunden am Stück schlafen. Der Schlafrhythmus kam total durcheinander. Das Schlafdefizit merken wir immer noch.“

Serhii hat in Kiew in der IT-Branche als Entwickler für Unternehmenssoftware gearbeitet. Er hofft, in seinem Beruf auch hier in Deutschland Arbeit zu finden. Willi hat sich schon mal in seinem Betrieb Alstom in Hennigsdorf erkundigt, wie die Chancen stehen, Serhii dort unterzubringen. Die Familie bangt jetzt um Verwandte, die noch in der Ukraine geblieben sind, und um ihr Haus, das sie zurücklassen mussten. Es wurde von russischen Truppen besetzt. „Wir haben vier Jahre lang daran gebaut und wissen nicht, ob und in welchem Zustand wir es jemals wiedersehen. Die Nachbarhäuser sind bereits zerstört“, sagt Serhii.
 

Geflüchtete Familie aus der Ukraine

Über die Schrecken des Krieges hinweghelfen: Metaller Lars Schulz und seine Frau Magdalena mit ukrainischen Gastkindern auf dem Spielplatz. Foto: IG Metall


Die ukrainische Familie ist ihren Gastgebern für die Aufnahme sehr dankbar. „Willi und Astrid waren unsere Rettung.“ Die Diebitschs haben schon zugesagt, dass sie auch die Schwester von Sascha aufnehmen, wenn sie fliehen muss. Als die Kollegen im Betrieb von Willis und Astrids Engagement erfuhren, waren alle schwer beeindruckt. Eine Arbeitskollegin hat sich daraufhin entschlossen, ebenfalls Kriegsflüchtlinge aufzunehmen.

Auch der Metaller Lars Schulz hat nicht lange überlegt. Die Bilder vom Krieg haben ihn nicht ruhen lassen. Der 49 Jahre alte Industriemechaniker ist mit einer Polin verheiratet und wohnt mit dem sechs Jahre alten Sohn in Diemelstadt Rhoden in einem alten, aber großen Fachwerkhaus. Schulz arbeitet als Bildungskoordinator für den Betriebsrat von VW Baunatal und berät Kolleginnen und Kollegen rund um den Bildungsurlaub.
 

Zwei Familien aufgenommen

„Meine Frau Magdalena und ich haben ein großes Herz und helfen immer gerne“, sagt Lars. „Schon 2015 haben wir uns engagiert und syrischen Flüchtlingen mit vielen Dingen geholfen. Für uns war sofort klar, dass wir auch den Menschen aus der Ukraine helfen werden. Zuerst mit Medikamenten- und Sachspenden. Später war uns klar, dass wir anders helfen wollen. Zum Glück war die Ferienwohnung in unserem Haus frei und wir konnten sie sofort der Familie Iltschenko aus Kiew zur Verfügung stellen.“

Die Eltern Olena und Oleg Iltschenko flohen am 24. Februar aus Kiew. Gemeinsam mit ihren beiden autistischen Kindern Kiril (10) und Timofij (6) und ihrer 70-jährige Oma, die bereits an Alzheimer leidet. Nach acht Tagen Irrfahrt kam die Familie in Nordhessen an. Es flossen Tränen der Erleichterung als sie endlich eines sicheres Dach über dem Kopf hatten. Lars und Magdalena unterstützen die Ukrainer wo es geht, um das Ankommen in diesem für sie unbekannten Land so einfach wie möglich zu machen.

Wenige Tage nach der Aufnahme der Familie bekamen die Gastgeber die Nachricht von einer Mutter mit fünf Kindern aus Kiew, die auf der Flucht ist und nicht weiß, wohin sie soll. Lars und Magdalena regelten auch das und brachten die Geflüchteten in einer freien Wohnung in Diemelstadt unter. Mit viel Organisationstalent und vielen Helfern gelang es,  mit Möbelspenden die leere Wohnung innerhalb von zwei Tagen bezugsfertig einzurichten.

Die Mutter Katheryna und ihre Kinder kamen am 11. März per Bahn in Kassel an. Die Angst und die Unsicherheit waren ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie wussten nicht, was sie erwartet. Mit einem sicheren Schlafplatz und etwas zu Essen wäre die Familie schon glücklich gewesen. Mit dem Einsatz mehrerer Helfer hatten Lars und Magdalena einen warmen und sicheren Zufluchtsort geschaffen. „Zu sehen, wie Kinder, die nach Tagen und Nächten der Flucht, endlich wieder anfangen zu lachen und zu spielen – das gibt uns Kraft weiterzumachen“, sagt er. „Wir hoffen, dass sich noch mehr Menschen finden, die ihre Türen und Herzen in dieser schlimmen Zeit aufmachen.“


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