Interview mit Constanze Kurz zu Industrie 4.0 und Smart Factory
Arbeiten in der Industrie 4.0

Die Industrie 4.0, die „vierte industrielle Revolution“, wird aktuell heiß diskutiert. Wir sprachen mit Constanze Kurz. Sie arbeitet als Expertin der IG Metall mit Fachleuten aus Wirtschaft und Forschung an der Umsetzung der Industrie 4.0.

10. September 201410. 9. 2014


Was heißt überhaupt Industrie 4.0?
Constanze Kurz:
Industrie 4.0 bedeutet die umfassende Vernetzung der Produktion. Alle kommunizierenmiteinander: Teile, Maschinen, Beschäftigte – und sogar die Kunden. So kann die Produktion in Echtzeit flexibel umgestellt werden, etwa, wenn der Kunde per Internet Sonderwünsche eingibt. Eine zentrale Steuerung wird überflüssig, weil sich die einzelnen Komponenten in einem offenen „cyber-physischen System“ gegenseitig steuern.

Aber warum „vierte industrielle Revolution“? Was ist daran neu? Computer und Netzwerke in Fabriken gibt es doch schon.
Ja, aber bisher eher als Insellösungen. In der Regel hat jede Maschine ihr Programm. Bei einer Umstellung auf ein anderes Produkt müssen Programme geändert, Maschinen und Teile umgerüstet sowie Arbeitsabläufe angepasst werden. In der Industrie 4.0 jedoch gibt es all diese Brüche nicht mehr, weil alle Komponenten in ein einziges Netzwerk eingebettet sind. Dies bedeutet deutlich kürzere Reaktionszeiten, spart Energie und Material und macht auch Kleinserien kostengünstig.

Bundesregierung, Wirtschaft und Wissenschaft investieren kräftig in die Industrie 4.0. Was erhoffen sie sich davon?
Sie wollen die internationale Wettbewerbsfähigkeit vor allem bei hochwertigen Produkten nachhaltig verbessern und neue Absatzmärkte erschließen. Da werden die heutigen Produktionssysteme, etwa im Maschinenbau, trotz der hohen Qualität auf Dauer nicht reichen. In Zukunft wird Flexibilität auf Kundenwunsch immer wichtiger.

Wie nahe ist die Industrie 4.0 überhaupt? Kommt sie bald – oder ist das Zukunftsmusik?
Natürlich ist da noch viel zu tun. Insbesondere bei der Verschmelzung von Produktion und IT. Da gibt es noch viele verschiedene in sich geschlossene Systeme. Wir brauchen eine standardisierte und offene Softwarearchitektur, auf die alle zugreifen und anpassen können – so wie heute etwa schon für Smartphone-Apps. Aber es gibt bereits eine Pilotanlage: die „Smart Factory“ beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Kaiserslautern, wo auch Unternehmen mitforschen. Und auch in den Betrieben laufen erste Projekte, etwa bei Daimler, Trumpf, Siemens oder Bosch, die auch im Arbeitskreis Industrie 4.0 dabei sind.

Auch die IG Metall ist im Arbeitskreis Industrie 4.0 dabei. Warum? Und wie kam das?

Detlef Wetzel hat bereits Anfang 2012 wenige Wochen nach der Gründung des Arbeitskreises unsere Beteiligung sichergestellt. Weil wir gesehen haben, dass das Thema für die Zukunft von Standorten, Beschäftigung und Arbeit bedeutsam ist. Wir haben gesagt: Ihr dürft nicht allein die technischen Neuerungen sehen und dabei die Beschäftigten vergessen. Industrie 4.0 wird auch erhebliche Veränderungen für die Arbeit mit sich bringen. Deshalb müssen Technik- und Arbeitsgestaltung zusammengedacht werden.

Was kommt denn auf die Beschäftigten zu? Wie wird sich die Arbeit verändern?

Das kommt auf die Umsetzung an. Wenn die zentrale, hierarchische Steuerung entfällt, können Gestaltungsspielräume für die Beschäftigten entstehen. Und diese Gestaltungsspielräume müssen wir nutzen. Dann wird auch die Arbeit besser, interessanter, verantwortungsvoller – und wird sich mehr in Richtung Problemlösung verlagern.

Was fordert die IG Metall konkret bei der Umsetzung?

Die Beschäftigten dürfen keine Rädchen in der cyber-physischen Fabrik sein, wie es Detlef Wetzel kürzlich formuliert hat. Die Menschen müssen die Systeme steuern, nicht umgekehrt. Höhere Flexibilität ja – aber nicht auf Kosten der Beschäftigten. Und die Arbeit darf auch nicht prekär sein, mit Niedriglöhnen und Leiharbeit. Wir wollen bessere statt billigere Arbeit. Basis dafür ist eine lernförderliche Arbeitsorganisation. Alle müssen die Chance auf Weiterbildung haben, von den Ingenieuren bis zu den Angelernten.

Wird die IG Metall ihre Forderungen durchsetzen können?

Wir sind früh dabei und haben daher auch schon einige Schneisen bei der Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung in die Umsetzungsempfehlungen schlagen können. Und das Verständnis für die Belange der Beschäftigten in Wirtschaft und Wissenschaft ist gewachsen. Wir werden zunehmend als vollwertige Projektpartner akzeptiert, weil die anderen ja sehen, dass wir in den Betrieben nah dran und kompetent bei Innovationen aufgestellt sind. Viele Unternehmensvertreter sehen auch ein, dass sie Betriebsräte und Beschäftigte beteiligen und ihr Wissen nutzen müssen, um dieses dicke Brett zu bohren.

Zu guter Letzt die entscheidende Frage: Wird die Umsetzung der Industrie 4.0 in den Betrieben Arbeitsplätze kosten?

Das lässt sich im Moment noch nicht sicher sagen. Wenn wir in den Betrieben mitgestalten und unsere Vorstellungen durchsetzen, werden die Chancen für die Beschäftigten überwiegen. Ich glaube nicht an die menschenleere Fabrik. Denn auch in der Industrie 4.0 wird nicht alles von allein laufen. Da braucht es qualifizierte Beschäftigte mit Erfahrung und Engagement.

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