Interview
Verbindliche Regelungen zum Schutz der Beschäftigten

Der kürzlich vorgelegte „Stressreport Deutschland 2012“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin belegt, wie dringlich Maßnahmen gegen Stress und Arbeitshetze im Betrieb sind.

7. Februar 20137. 2. 2013


Wie weit sind wir auf dem Weg zu wirksamen Regeln gegen Stress am Arbeitsplatz gekommen?


Hans-Jürgen Urban: Für unseren Vorschlag einer „Anti-Stress-Verordnung“ haben wir viel Lob und Anerkennung erfahren. Die Arbeitgeberseite allerdings mauert. Jüngstes Beispiel: Der Entwurf einer gemeinsamen Erklärung von Bundesregierung, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften zum Kampf gegen Stress und psychische Erkrankungen war nahezu fertig abgestimmt. Die Hardliner auf der Arbeitgeberseite haben ihn dann kurzfristig torpediert. Jetzt ist der Gesetzgeber gefordert: Der Ignoranz bei vielen Arbeitgebern ist nur mit verbindlichen Regelungen in einer Verordnung beizukommen. Dem Problemdruck in den Betrieben, der steigenden Zahl psychischer Erkrankungen darf die Bundesregierung nicht länger tatenlos zusehen.
 

 

Arbeitgebervertreter führen die Zunahme von psychischen Erkrankungsfällen insbesondere auf ein geändertes Diagnose-Verhalten der Ärzte zurück.


Wenn Ärzte heute einen besseren Blick für psychische Erkrankungen und bessere Diagnoseinstrumente haben, so ist das grundsätzlich zu begrüßen. Wichtig ist auch die größere Bereitschaft der Betroffenen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Beides zusammen erklärt aber nur zum geringsten Teil die alarmierend hohen Zahlenwerte. Wenn heute psychische Erkrankungen für 41 Prozent der Frühverrentungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verantwortlich sind, dann muss sich Prävention vor allem auf den Stress am Arbeitsplatz beziehen.

 


Von den Arbeitgebern – so beispielsweise aktuell durch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt – wird behauptet, die Bedeutung der Arbeitswelt für psychische Erkrankungen würde überschätzt.


Eher haben wir es mit einer Unterschätzung der schädlichen Wirkungen zu tun! Denn Stress und psychische Belastungen können zu ganz unterschiedlichen Formen von Erkrankungen beitragen ― zum Beispiel auch zu Magen-Darm- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Folge von Schichtarbeit. Deswegen sollten wir uns hüten, im Zusammenhang mit Stress nur auf psychische Erkrankungen als mögliche Folgen zu schauen. Aber niemand bestreitet ernsthaft, dass Menschen Probleme aus der Arbeit ins Privatleben mitschleppen und umgekehrt aus dem Privatleben in den Betrieb. Das ändert aber nichts an den Befunden der Wissenschaft über die Wechselwirkung von Arbeit und Gesundheit: Der schädliche Einfluss etwa von mangelnder Anerkennung oder fehlender Kontrolle über das Arbeitspensum wird dabei deutlich herausgestellt. Unsere Aufgabe als Gewerkschaft ist es, diese Befunde ernst zu nehmen und Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten durchzusetzen. Wir würden es begrüßen, wenn die Arbeitgeber sich endlich ihrer Verantwortung stellen würden

 


Es werden manchmal Zweifel laut, ob überhaupt mit einer Verordnung etwas gegen psychische Belastungen ausgerichtet werden kann.


Das wird dann damit begründet, dass Menschen verschieden sind und dass sie mit Belastungen unterschiedlich umgehen. Aber wir sollten uns keine unsinnige Diskussion aufdrängen lassen: Natürlich haben wir es mit Individuen zu tun. Und diese entwickeln ihre eigenen Strategien, wie sie mit den Anforderungen in ihrem Alltag zurechtkommen. Die Diskussion führt dann in die Irre, wenn bei den Beschäftigten mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten gesehen werden und wenn ihnen die Verantwortung für Stressfolgen zugeschrieben wird, weil sie angeblich ungenügende Bewältigungsstrategien hätten. Im Straßenverkehr gelten ja dieselben Tempolimits für bessere wie schlechtere, für erfahrene wie unerfahrene Autofahrer. Und für ihre Fahrzeuge gelten einheitliche Sicherheitsnormen. Niemand käme auf die Idee, eine Höchstgeschwindigkeit oder eine Sicherheitsnorm vom jeweiligen Fahrzeuglenker abhängig zu machen. Die heutigen Regelungen sind begründet durch Erkenntnisse, die in Jahren und Jahrzehnten gesammelt und auch verändert wurden.

Gleiches gilt beispielsweise für Temperaturen oder das Heben und Tragen am Arbeitsplatz. Hier gibt es Regeln, obwohl nicht alle Beschäftigten die gleiche Raumtemperatur als angenehm empfinden. Und dass ein durchtrainierter, junger Kollege das Heben einer Last anders beurteilt als ein Älterer mit Rückenbeschwerden, liegt auf der Hand. Aber deshalb bestreitet doch niemand die Notwendigkeit von klaren Maßgaben für den Arbeitgeber in Form von Vorschriften und Regeln.
 

 

Welche praktischen Folgen im Betrieb hätte eine „Anti-Stress-Verordnung“?


Der Arbeitgeber müssten zunächst im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung prüfen, in wieweit etwa von der Arbeitsaufgabe, der Arbeitsorganisation oder den sozialen Beziehungen – zum Beispiel dem Führungsverhalten ― Gesundheitsgefährdungen für die Beschäftigten ausgehen. Anschließend müssten Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Das hieße etwa: Wenn die Arbeit zu monoton und stumpfsinnig ist, muss für mehr Abwechslung bei den Arbeitsanforderungen gesorgt werden. Oder wenn die Beschäftigten unter Kompetenzwirrwarr leiden, müssen Kompetenzen und Verantwortung klar geregelt werden. Die staatlichen Aufsichtsbehörden hätten endlich eine Rechtsgrundlage, die Arbeitgeber zu solchen Prüfungen und Abhilfemaßnahmen zu veranlassen. Und die Betriebsräte ein starkes Instrument, mit dem sie die Arbeitgeber leichter dazu bringen, sich mit dem Problem psychischer Arbeitsbelastungen endlich auseinanderzusetzen und Prävention zu betreiben.

 


Was ist aus Deiner Sicht wichtig für eine erfolgreiche Auseinandersetzung in den kommenden Wochen und Monaten?


Die Allianz gegen den Stress am Arbeitsplatz ist auf gutem Wege: Verschiedene Länder bringen gerade eine Bundesratsinitiative für eine Anti-Stress-Verordnung auf den Weg. Alle Oppositionsfraktionen des Bundestags sind an unserer Seite. Die öffentliche Diskussion begünstigt die Debatte, weil sie die Probleme klar benennt, die für die Menschen aus Stress und arbeitsbedingten Belastungen entstehen. Ein weiterer Meilenstein für die IG Metall ist unser Anti-Stress-Kongress am 23. und 24. April in Berlin. Von dort sollen wichtige Impulse ausgehen für die weitere betriebliche Arbeit, für die Diskussion in der Öffentlichkeit und in der Politik.

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