Sozialbetriebe
Auf uns kann keiner verzichten

Alt, krank, kaputt – und Tschüss? Es geht auch anders.

27. Juli 201027. 7. 2010


Der Acht-Tonnen-Portalkran fährt das Stahlblech hinüber zur Schneidemaschine. Klirren, Zischen. Der letzte Schnitt für heute ist fertig und passt. Bald ist Feierabend für die fünf Beschäftigten, die hier Proben für die Qualitätskontrolle brennen. Früher haben sie im Walzwerk in der Halle nebenan gearbeitet.

Doch nun ist die Arbeit dort zu schwer für sie: Ein 58-Jähriger, der bei einem Arbeitsunfall einen schweren Splitterbruch am Bein erlitten hat. Eine 53-Jährige, die durch 34 Jahre Schichtarbeit krank wurde. Ein 54-Jähriger,dem Magen und Milz herausoperiert wurden. Und doch leisten sie trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen wichtige Arbeit für ihr Unternehmen. Genauso wie ihre anderen 21 Kollegen im „Technischen Sozialbetrieb“ von Ilsenburger Grobblech in Sachsen-Anhalt, am Ostrand des Harz: Sie sind zuständig für Reparaturen, Schwertransporte im Werk, Winter- und Grünanlagendienst.
 


Beschäftigung sichern

Auch Olaf Schmiedeck hat Einschränkungen. Er ist stark sehbehindert. Sein Arbeitsplatz ist gerade neu eingerichtet worden: PC mit Super-Zoom- Bildschirm, Scanner zum Vergrößern von Gedrucktem, ein sprechendes Handy, das Texte scannen und vorlesen kann. Seit der „Wende“ im Jahr 1990 ist Schmiedeck Schwerbehindertenvertreter bei Ilsenburger Grobblech. Er erinnert sich noch an ganz andere Zeiten: Als die Treuhand in der Wende-Flaute den Betrieb 1992 an die Preussag, heute Salzgitter AG verkaufte, platzte die Bombe: „Die neue Personalleitung kam an und wollte prompt 12 Schwerbehinderte entlassen. Wir mussten etwas tun.“


Heute denkt die Personalleitung anders: „Wir suchen ständig neue Projekte, mit denen wir dauerhaft Beschäftigung für Leistungsgeminderte sichern können“, sagt Personalleiter Harald Geef. „Gleichzeitig versuchen wir jedoch alles, damit die Beschäftigten, auch Schwerbehinderte, an ihrem alten Arbeitsplatz weiterarbeiten können. Oft über eine vorübergehende Wiedereingliederung und Reha im Sozialbetrieb.“

Über geeignete Maßnahmen beraten Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung und Personalleitung im Einzelfall, gemeinsam mit den Beschäftigten. Das ist seit drei Jahren in einer Vereinbarung zum „betrieblichen Eingliederungsmanagement“ geregelt. Heute arbeiten in Ilsenburg 46 Schwerbehinderte und Gleichgestellte, bei 750 Beschäftigten insgesamt. „Seit der Gründung des Sozialbetriebs 1994 ist kein einziger Beschäftigter wegen Krankheit oder Behinderung gekündigt worden“, zieht Schmiedeck zufrieden Bilanz. Die Idee zum Sozialbetrieb kam Beriebsrat und Schwerbehindertenvertretung schon 1991 bei einem Besuch im heutigen Schwesterbetrieb Salzgitter Flachstahl, 50 Kilometer entfernt in Niedersachsen.



Selbst machen statt fremd vergeben

260 der 4800 Beschäftigten bei Salzgitter Flachstahl sind schwerbehindert und gleichgestellt. Seit 1987 gibt es hier einen „Technischen Sozialbetrieb“ mit heute 234 Beschäftigten in mehreren Bereichen. Das Team „Industrielle Dienstleistungen“ ist ständig in den Werkhallen unterwegs: Maschinen reinigen, ausgelaufenes Öl absaugen, Lackbeschichtungen erneuern. In der Tischlerei fertigen gelernte Tischler und Zimmerleute Möbel, Kisten und sogar Fußböden.
Zuvor haben sie in Produktion oder Instandhaltung gearbeitet, wurden krank und arbeiten nun wieder in ihrem erlernten Beruf. Haushandwerker streichen, tapezieren, bauen um oder reparieren Sanitäranlagen. Auch Umzüge mit dem werkeigenen 7,5-Tonnen-Umzugswagen sind Sache des Sozialbetriebs. Und sogar Feste organisiert der Haustechnik-Bereich, mit einem großen Festzelt, eigener Beschallungstechnik und Bestuhlung – nicht nur im Werk, sondern auch außerhalb, etwa bei Vereinsfesten. Natürlich alles gesundheitsgerecht, betont die Bereichsleiterin. „Schwere Lasten heben wir mit Gabelstaplern. Und jeder macht nur das, was seine Gesundheit zulässt.“

Die Sozialbetrieb-Wäscherei wäscht nicht nur die Arbeitskleidung aus Salzgitter selbst, sondern auch die der Schwesterbetriebe in Peine und Ilsenburg in großen Maschinen. „Richtig gewaschen“, betont der Meister, „nicht chemisch gereinigt, wie bei externen Wäschereidienstleistern üblich, an die wir die Wäsche früher herausgegeben haben.“ In einem Extraraum wird gerade ein neuer Arbeitsplatz eingerichtet: Ein Rollstuhlfahrer wird dort an einer computergesteuerten Stickmaschine Namensschriftzüge und Logos auf die Blaumänner auftragen. Ein zweiter Rollstuhlfahrer wird damnächst als Sachbearbeiter im Reinigungsdienst eingestellt.

Im ältesten Bereich des Sozialbetriebs, der Werkstatt, arbeiten fast 60 Schlosser, Sattler und Elektriker. Sie reparieren Bürostühle und Elektrowerkzeuge, fertigen Schilder und sogar Treppen und Geländer – auch für die beiden Schwesterwerke in Peine und Ilsenburg.


 

Sinn und Wertschätzung

Die Unternehmensleitung investiert: allein 200 000 Euro in eine neue CNC-Brennmaschine in der Werkstatt. Dazu kommen öffentliche Fördergelder. „Wir sind unter dem Strich oft billiger als die Fremdvergabe“, erklärt der Leiter des Sozialbetriebs, Roland Staab. „Wir überprüfen jeden Monat die Liste der fremd vergebenen Aufträge, und schlagen vor, was wir übernehmen können. Mittlerweile werden wir sogar gezielt aus Produktion und Instandhaltung angefragt“.

„Insourcing“ statt „Outsourcing“. Das Geld geht nicht nach draußen, sondern bleibt im Betrieb. Vor allem aber sichert das Jobs für kranke und behinderte Beschäftigte. „Und vor allem sinnvolle Arbeit“, betont der Vorsitzende der Konzernschwerbehindertenvertretung Peter Reich. „Früher hieß es: Du bist abgeschoben zu den ’Kaputten’. Heute werden die Kollegen für ihre Leistung geschätzt und sind engagiert. Das Ansehen des Sozialbetriebs ist mächtig gestiegen.“

„Miteinander, statt gegeneinander“ ist für die Schwerbehindertenvertreter Reich und Schmiedeck das zentrale Motto. Doch beide wissen: Dies alles ist vor allem möglich, weil Arbeitnehmer in der Stahlindustrie deutlich mehr Mitbestimmungsrechte als anderswo haben. Beispielsweise sitzen Arbeitsdirektoren, die von der IG Metall kommen, mit im Vorstand. Bei der Salzgitter AG ist das Peter-Jürgen Schneider und bei Salzgitter Stahl Michael Kieckbusch. „Das sagen wir auch allen sehr deutlich: Woanders, ohne Schwerbehindertenvertretung und IG Metall, sieht das ganz anders aus.“

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