Crowdwork als Herausforderung für Gewerkschaften – Interview
„Auch New Worker brauchen Gewerkschaften“

Die Gewerkschaften sind wichtiger denn je, meint Christiane Benner, Vorstandsmitglied der IG Metall. Aber sie müssen sich angesichts des radikalen Umbruchs der Arbeitswelt ebenfalls fundamental verändern, sagt sie im Interview mit „Xing spielraum“.

18. März 201518. 3. 2015


XING spielraum: Frau Benner, Sie sind ja so etwas wie die Zukunftsbeauftragte der IG Metall. Aber Gewerkschaft und „New Work“ – passt das eigentlich zusammen?
Gut. Aber was genau meinen Sie mit „New Work“? Die Veränderungen passieren ja nicht von heute auf morgen. Wir beobachten in unseren Unternehmen, dass es eine unterschiedliche Geschwindigkeit bei der Einführung neuer Arbeitsformen gibt. Nehmen wir das Beispiel mobiles Arbeiten. Davon sind immer mehr Beschäftigte betroffen. Und bei aller neuen Erscheinung. Den Beschäftigten ist es wichtig, dass auch mobile Arbeitszeit erfasst wird. Und sie wollen auch ein Recht darauf, abschalten zu können. Nach den Wünschen der Beschäftigten haben wir Betriebsvereinbarungen abgeschlossen. Dabei geht es uns nicht nur darum, die Gefahren zu bannen, auch ― und vor allem ― die Chancenhaben wir im Blick. Denn das sollte der Nutzen der neuen Techniken sein: dass sie Leben und Arbeit erleichtern. Mit einer in Deutschland noch recht jungen internetbasierten Arbeitsform, dem Crowdworking, beschäftigen wir uns seit etwa 2011, vernetzen uns mit Aktiven aus den USA, weil die Entwicklungen dort weiter sind als hier. Crowdworking ist ein außerordentlich spannendes Terrain mit vielen Licht-und Schattenseiten. Vieles ist noch in der Entwicklung. Aber eines ist klar: Formen der Arbeit verändern sich fundamental und damit verändert sich auch die IG Metall mit ihren Themen und Angeboten. Und trotz „New Work“ bleiben einige Themen die gleichen: faire Bezahlung, ein Arbeitsumfeld mit respektvollem und wertschätzendem Umgang und eine (einigermaßen) planbare Zukunft. Und dafür stehen Gewerkschaften seit ihren Ursprüngen.

Neue Umfragen zeigen zum Beispiel, dass sich immer mehr Menschen „mehr Demokratie“ in ihren Unternehmen wünschen – aber kaum jemanden fallen dabei die Gewerkschaften ein. Was ist da schief gelaufen aus Ihrer Sicht?
Dass sich immer mehr Menschen „mehr Demokratie“ in Unternehmen wünschen, ist in jedem Falle sehr erfreulich. Auch die IG Metall wünscht sich neben den bereits vorhandenen Formen noch mehr Demokratie in den Unternehmen. Betriebsratswahlen sind demokratische Wahlen. Dort, wo Beschäftigte einen Betriebsrat haben, schätzen sie ihn sehr. Das zeigt die hohe Wahlbeteiligung von über 70 Prozent. Ich sehe bewährte Formen der Mitbestimmung durch Betriebsräte oder Gewerkschaften und neue Formen der Beschäftigten-Beteiligung nicht als Widerspruch. Vielleicht kann genau der geschützte Raum mit verbrieften Rechten den Einzelnen darin bestärken, seine Meinung zu äußern. Wir beobachten, dass Unternehmen unter einem enormen Innovationsdruck und auch Veränderungsdruck stehen. Die Expertise der Beschäftigten zu Strategien, Ausrichtung etc. ist immer öfter systematisch gefragt, weil Unternehmen damit erfolgreicher und reaktionsschneller sind. Genau wie Unternehmen mit Betriebsräten nachweislich innovativer sind. Mitbestimmung auf unterschiedlichsten Ebenen scheint ein Erfolgsrezept zu sein. Die IG Metall hat im Frühjahr 2013 eine Beschäftigtenumfrage gemacht, die größte, die je gemacht wurde: Mehr als eine halbe Million haben sich daran beteiligt. Ein Drittel davon waren nicht Mitglieder der IG Metall. Die Ergebnisse, die wir gewonnen haben, hinsichtlich Wünschen zur Arbeitszeit und Weiterbildung sind Basis für unsere Politik in den Betrieben und für unsere Tarifforderungen. Ich denke, das ist ein Beispiel für Beteiligung, das seinesgleichen sucht.

Auch die Frauen treten immer vehementer für mehr Gleichberechtigung am Arbeitsplatz ein – noch so ein Thema, das den Gewerkschaften entglitten ist, oder?
Naja, die Frauenbewegung war insgesamt schon mal etwas aktiver. Mit über 400.000 Frauen, die bei uns Mitglied sind, gehen wir die drei Themen Vereinbarkeit von Arbeit und Leben, Entgeltgerechtigkeit und Karrierechancen stringent an. Dass es immer noch fast 23 Prozent Einkommens-Gap zwischen Frauen- und Männereinkommen gibt, ist eine gravierende Ungerechtigkeit. Wir können allerdings nachweisen, dass die Entgeltlücke in Unternehmen mit Tarifbindung wesentlich geringer ist. Seit Jahren machen wir uns stark für mehr Frauen in den Führungsetagen ― jetzt liegt endlich ein Gesetzentwurf vor. Innergewerkschaftlich praktizieren wir längst die 30 Prozent Quote für Frauen in Führung. Die Frauen – auch sehr viele junge – erkennen das an. Wir haben einen stetigen Aufwärtstrend bei der weiblichen Mitgliederentwicklung.

Und wie wollen Sie für die Generation Y wieder attraktiver werden?
Wir gehen dorthin, wo die jungen Menschen arbeiten. Nicht nur in die Betriebe. Auch auf den Campus. Wir kennen die Themen, die sie bewegen. Und es ist ja so: Bei aller Coolness, die ihr angedichtet wird und wie sich vielleicht auch selbst präsentiert, hat diese Generation doch einiges zu schultern: Sie hören seit Kindesbeinen, „ohne Bildung geht nichts“, „kein Schulabschluss ist der Anfang vom Untergang“. Anforderungen, die in einem ziemlich maroden Bildungssystem nicht leicht zu erfüllen sind. Sie leben in einem Dschungel von Optionen, der viele Freiheiten bietet, aber auch den Zwang, vieles selbst und alles richtig zu entscheiden.Wir stellen fest: die Generation Y hat Wünsche und Werte, die mit unseren Zielen und Werten korrespondieren. Der Wunsch nach einem sicheren Arbeitsplatz und damit nach einer planbaren Zukunft steht übrigens ganz weit oben ― noch vor einem hohen Einkommen. Und wir stellen fest: Da, wo wir mit jungen Menschen ernsthaft ins Gespräch kommen, wo wir einerseits fragen und zuhören, andrerseits informieren, da stoßen wir auf Interesse und auf Zustimmung. Wir haben momentan über 30.000 Studierende als Mitglieder. Wir sind mit insgesamt 230.000 Mitgliedern unter 27 Jahren der größte Jugendverband Deutschlands. Aber genauso wie sich die Unternehmen verändern müssen, um für Bewerber attraktiv zu sein, so müssen sich Großorganisationen verändern. Wir haben dazu eine große Kampagne „Neue Zeiten. Neue Fragen. Gemeinsam für neue Antworten aufgelegt.“ Dort kommt genau die Generation Y zu Wort.

Ist die Behauptung „die Digitalisierung raubt Arbeitsplätze“ richtig oder falsch?
Beides wird zutreffen: Arbeitsplätze beziehungsweise Arbeiten werden von Maschinen übernommen werden. Gefährdet sind laut Studien diejenigen, die einen hohen Anteil an Standardisierung und Routinetätigkeiten haben. Das finden wir nicht unbedingt schlimm. Denn ein großer Teil der Beschäftigten (ganz besonders der jungen) will spannende und abwechslungsreiche Aufgaben. Die Frage ist, was passiert mit den Menschen, die ihre Jobs verlieren? Es werden neue Tätigkeiten entstehen. Anspruchsvollere mit mehr kreativem Potential. Da geht es darum, dass sich Menschen schon vorausschauend weiterqualifizieren. Qualifizierung und Weiterbildung, das viel gepriesene lebenslange Lernen, werden zum Dreh- und Angelpunkt in der von Umbrüchen gekennzeichneten Arbeitswelt. Und schon sind wir wieder bei der Nützlichkeit von Gewerkschaften. In der bereits erwähnten Beschäftigtenbefragung bejaht ein großer Teil die Notwendigkeit der Weiterbildung, aber die wenigsten haben dafür die Bedingungen, die sie brauchen. Es fehlt an Zeit, es fehlt an Geld. Deshalb fordert die IG Metall eine persönliche Bildungsteilzeit, also – analog zur Altersteilzeit – bezahlte Freistellungen zur Weiterbildung, für weiterführende Abschlüsse etc. Dafür wollen wir verbindliche, also tarifvertragliche Regelungen.? (Anmerkung der IG Metall: Der Einstieg in die Bildungsteilzeit ist geschafft.)

Schafft der neue, globale Markt nicht seine eigenen Wirklichkeiten, die von lokalen Akteuren wie den deutschen Tarifparteien kaum noch zu beeinflussen ist?
Man darf, was national an politischer Gestaltung möglich ist, nicht unterschätzen. In großen Konzernen gelingt es uns, sogenannte internationale Rahmenabkommen abzuschließen und so Mindestbedingungen zu regeln, die international gelten. Es gibt Spielräume, die wir nutzen. Das mag sich für ein Start-up oder für Solo-Selbständige etwas weit weg anhören. Aber es ist wichtig, dass wir Standards für gute Arbeit setzen und ausbauen. Unsere Mitbestimmungsrechte und gut organisierte Belegschaften sind hierfür die Voraussetzung. In den USA haben Solo-Selbständige den gesetzlichen Mindestlohn eingeklagt. Aber dafür brauchte es erstmal eine Lobby, die einen Mindestlohn durchgesetzt hat. Aber natürlich werden bei globalisierten Märkten, bei fast grenzenlosen Arbeitsmärkten externe Kräfte wirksam, die wir keinesfalls unterschätzen. Wir sind als Gewerkschaften international gut vernetzt und in einem stetigen Austausch. In internationalen Konzernen gibt es auch international organisierte Interessenvertretungen. Wir haben in einigen Konzernen gemeinsame Gewerkschaftsbüros in verschiedenen Ländern eröffnet.

Das Interview führte Ralf Klassen. Es ist im Online-Magazin „Xing spielraum“ erschienen.
Neu auf igmetall.de

Newsletter bestellen