Zukunftsperspektiven einer jungen Leiharbeiterin
Es reicht hinten und vorne nicht

Viele junge Menschen klotzen richtig ran, trotzdem bleiben eine sichere Arbeit und ein auskömmlicher Verdienst ein Wunschtraum. Wie das Leben aus dem Lot geraten kann, erzählt eine junge Mutter und Leiharbeiterin, die merkt, dass jetzt in der Babypause für sie das Geld richtig knapp ist.

9. Oktober 20139. 10. 2013


Birgit Stein (Name von der Redaktion geändert) ist seit vier Monaten Mutter eines Sohnes. Sie lebt allein und hat kaum Unterstützung, weder in finanzieller Hinsicht noch was die Betreuung ihre Kindes angeht. Bevor sie schwanger wurde, war sie Leiharbeiterin bei BMW in Dingolfing. Obwohl der Verdienst nicht üppig war, denkt die 21-Jährige an die Zeit im Betrieb mit Wehmut zurück. „Die Arbeit hat mir sehr gut gefallen, die Kollegen waren super, die haben keinen Unterschied gemacht zwischen uns Leihwerkern und den Stammbeschäftigten“, sagt Birgit.

Sie arbeitete in der Fertigung, im Rohbau vom BMW der 7er Reihe. Für die Heckklappen legte sie Teile ein. Als sie vergangenes Jahr schwanger wurde, hätte sie gerne weitergearbeitet. Aber der Verleihbetrieb, bei dem sie angestellt ist, die Firma Randstad, schickte sie nach Hause. Die Akkordarbeit und die Belastung durch Metallstaub wären für das Ungeborene schädlich gewesen.

Nach der Erkrankung in die Leiharbeit

Birgit Stein hat das Handicap, dass sie keine abgeschlossene Ausbildung vorweisen kann. Nach der Hauptschule begann sie eine Schulung zur Hauswirtschafterin. „Mein Ziel war, die Mittlere Reife nach zu machen“, erzählt sie. Doch dann kam etwas völlig Unerwartetes dazwischen. Sie erkrankte an Lymphknotenkrebs. Es folgten Krebstherapie und Reha, gezwungenermaßen brach sie die Ausbildung ab. Als sie gesundheitlich wieder hergestellt war, geriet sie in die Mühlen der Leiharbeit, weil sie Geld brauchte. Über den Verleiher Randstad kam sie zu BMW nach Dingolfing. Zwei Jahre arbeitete sie bei dem Autohersteller und war nicht unzufrieden. Immerhin brachte ihr der Job 1400 Euro netto. Schrittweise konnte sie Schulden, die sich in der Vergangenheit aufgebaut hatten, zurückzahlen.

Jetzt aber muss sie von 805 Euro Elterngeld im Monat leben. Nun rächt sich das niedrige Lohnniveau einer Leiharbeiterin. Denn das Elterngeld beträgt 67 Prozent vom Nettolohn, was im zurückliegenden Jahr durchschnittlich verdient wurde. „Was ich jetzt bekomme, reicht vorne und hinten nicht“, klagt die junge Mutter. Sie muss sich viel verkneifen und knapp kalkulieren. Umso schlimmer traf sie die Nachricht, dass sie anfangs sogar zu viel Elterngeld bekommen hatte und für die ersten Monate jeweils 400 Euro zurückzahlen musste. Ohne finanzielles Polster kam sie in echte Bedrängnis.

Schichtarbeit mit Kind geht nicht

Der Zeit, wenn in ein paar Monaten das Elterngeld ausläuft, sieht sie erst recht mit mulmigem Gefühl entgegen. Sie würde unglaublich gerne wieder bei BMW arbeiten, aber der Zwei-Schicht-Betrieb ist für sie mit dem Kind nicht machbar. Die Betreuung ist ungeklärt. „Ich glaube, mit dem Kind ist es für mich vorbei“, meint sie. Mental stellt sie sich darauf ein, dann von Hartz IV leben zu müssen. „Ich habe Angst vor der Zukunft, ich fürchte, dass ich meinem Sohn keine guten Startchancen geben kann und das belastet mich.“

Fragmentierte Lebensläufe junger Menschen wie bei der jungen Mutter häufen sich. Unsichere Beschäftigungen sind an der Tagesordnung. Gut ein Drittel aller jungen Menschen sind laut der aktuellen Studie von TNS Infratest Politikforschung von sogenannter prekärer Beschäftigung betroffen. An der Onlinebefragung im Auftrag der IG Metall hat auch Birgit Stein teilgenommen. In der Studie mit dem Titel „Persönliche Lage und Zukunftserwartungen der Jungen Generation 2013“ geht es viel um atypische und prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

Prekär bedeutet unsicher, instabil, mit ungewissen Aussichten. Ein dauerhafter Arbeitsplatz in einem Unternehmen, wo man gelernt hat, dann Berufserfahrung sammelt und wo man viele Jahre vielleicht sogar bis zur Rente arbeitet, bleibt für viele ein Traum. Den Berufsalltag in deutschen Unternehmen erleben viele als Durchlauferhitzer: Da mal ein unbezahltes Praktikum, dort ein Zwischenparken in einer schulischen Maßnahme. Hat man endlich einen Ausbildungsplatz ergattert, kommt das Zittern um die Übernahme. Nicht wenige landen schließlich doch in der Leiharbeit. Wer das erlebt, hat irgendwann den Kanal voll.

Psychisch stark belastet

Verständlicherweise fassen viele junge Menschen ihre eigene Lebensplanung da mit spitzen Fingern an. Statt bei den Eltern auszuziehen und eine eigene Wohnung zu nehmen, bleiben sie wegen knapper Kasse im „Hotel Eltern“ wohnen. Sich an einen Lebenspartner zu binden und Kinder in die Welt zu setzen, verschieben viele auf später. Wer nicht weiß, wie er sich morgen finanzieren soll, schaut erst mal, wie er selber durchkommt. In der TNS-Infratest Studie, die die IG Metall seit 2009 regelmäßig durchführt, um die Einschätzungen junger Menschen zu erfragen, geben neun von zehn Beschäftigten an, dass die unsichere Arbeitsplatzsituation über längere Zeiträume zu psychischen Belastungen führt. Viele sind mit ihrer beruflichen Situation unzufrieden und sehen ihre Entwicklungschancen in düsteren Farben. Die Einschätzung spiegelt sich auch in den Einkommen wider. In der Generation der unter 35-Jährigen stagnieren sie bei unter 2000 Euro.

Die Studienergebnisse stützen die IG Metall in ihrer Forderung an Politik und Unternehmen. Die Verhältnisse für junge Menschen müssen wieder ins Lot kommen. Die Lage fördert Politikverdrossenheit und Wahlenthaltung der jungen Generation. Die Jugendstudie zeigt, dass den jungen Menschen am meisten am Herzen liegt, dass die Auswüchse von prekärer Beschäftigung gestoppt werden. Die Politiker haben die Misere zum Großteil zu verantworten. Es ist jetzt Zeit für einen Kurswechsel und für eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt.

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