Warum Deutschlands Wirtschaft so stabil ist
Tarifautonomie hat deutsches Jobwunder ermöglicht

Eine neue wissenschaftliche Studie belegt, dass der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands weniger auf die Hartz-Reformen als vielmehr auf die erfolgreich parktizierte Tarifautonomie hierzulande zurückzuführen ist.

4. Februar 20144. 2. 2014


Der viel bestaunte Wandel Deutschlands vom „kranken Mann Europas“ zu einer dynamischen und wettbewerbsstarken Volkswirtschaft wird oft auf eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik zurückgeführt, vor allem auf die nach 2002 durchgeführten Hartz-Reformen. Einer neuen Studie zufolge, die jetzt im Journal of Economic Perspectives erschienen, ist dieser Erfolg jedoch vielmehr auf die Flexibilität des deutschen Lohnfindungssystems zurückzuführen, insbesondere auf die Tarifautonomie. Diese erlaubte eine Dezentralisierung des Lohnfindungsprozesses und hat dadurch zu einer dramatischen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Volkswirtschaft beigetragen.

Unabhängigkeit der Tarifpartner hat zentrale Bedeutung
Es sei vor allem die Flexibilität des deutschen Lohnfindungssystems und die Unabhängigkeit der Tarifpartner von staatlichen Einflüssen, die den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands möglich gemacht habe. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie, die jetzt im Journal of Economic Perspectives erschienen ist. Unter dem Titel „From Sick Man of Europe to Economic Superstar: Germany’s Resurgent Economy“ werden die Umstände analysiert, die zu dem viel beachteten Wandel der deutschen Volkswirtschaft geführt haben.

Die besondere Struktur der industriellen Beziehungen in Deutschland sei geprägt durch die Tarifautonomie. Hier würden Verdienste und Arbeitsbedingungen nicht zentral rechtlich geregelt, sondern durch Verträge zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften, zwischen Unternehmensleitung und Betriebsräten.

Professor Christian Dustmann vom University College London und einer der Autoren der Studie, vergleicht die Lohnfindung hierzulande mit der etwa in Italien oder Frankreich. In diesen Ländern sei sie geprägt von weitaus zentralisierteren und gesetzlich stärker verankerten Arbeitsmarktinstitutionen. Reformen seien daher viel stärker vom politischen Prozess abhängig. „Ob diese Länder in absehbarer Zeit eine ähnliche Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit wie Deutschland erreichen können ist daher fraglich“ so Professor Dustmann. Er folgert weiter: „Wir glauben nicht, dass der politische Prozess alleine – ohne die im Rahmen der Tarifautonomie existierenden Flexibilitätsspielräume – in der Lage gewesen wäre, die dramatische Dezentralisierung der Lohnfindung in Deutschland herbeizuführen, welche letztendlich für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit entscheidend war.“

Jobwunder kam nicht wegen der Hartz-Reformen
Jedenfalls hätten nicht – wie oft behauptet – die Hartz-Reformen der Jahre 2002 bis 2005 entscheidende Rolle für das deutsche Jobwunder gespielt. Der Grundstein für die dramatische Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft sei vielmehr schon ein Jahrzehnt früher, Mitte der 90er Jahre, mit dem Prozess der Dezentralisierung der Lohnsetzung gelegt worden. Für die Autoren der Studie, Christian Dustmann (University College London), Bernd Fitzenberger (Universität Freiburg), Uta Schönberg (University College London) und Alexandra Spitz-Oener (Humboldt-Universität zu Berlin), war das Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung entscheidend.

Die Wiedervereinigung und die damals einsetzende Globalisierung seien eine extreme wirtschaftliche Herausforderung gewesen. In Folge dessen sei es in Deutschland gelungen, die Lohnverhandlungen immer mehr zu dezentralisieren. Die damit einhergehende Lohnzurückhaltung habe zu fallenden Lohnstückkosten und einer deutlichen Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportindustrie geführt.

Die Studie zeigt auf, dass man sich von der Vorstellung, dass Europa seine Krise durch Arbeitsmarktreformen im Stil der Hartz-Gesetze in den Griff bekommen könnte, verabschieden sollte. Nicht die Hartz-Reformen sollten Vorbild sein, vielmehr müsse – wie dies in Deutschland praktiziert wirde – eine Dezentralisierung der Lohnverhandlungen angestrebt werden, wobei gleichzeitig die Mitspracherechte der Arbeitnehmer etwa über Betriebsräte, gesichert werden muss.

Neu auf igmetall.de

Newsletter bestellen