Aktionswoche militärische Luftfahrt
Gemeinsam für unsere Sicherheit

Weil die Bundesregierung vermehrt Flugzeuge für die Bundeswehr aus amerikanischer Produktion beschafft, fürchten die Beschäftigten der Branche um ihre Jobs. Unter dem Motto „Für unsere Sicherheit“ gingen sie in den vergangenen Tagen bundesweit gegen die Einkaufspolitik der Regierung auf die Straße.

16. November 202316. 11. 2023


Die Situation ist angespannt: Derzeit beschafft die Bundesregierung vermehrt Flugzeuge und Hubschrauber für die Bundeswehr aus amerikanischer Produktion. Sie regelt dabei allerdings nicht, dass Bauteile für diese Maschinen an deutschen Standorten gefertigt werden, und auch nicht, dass die Wartung oder Weiterentwicklung der gekauften Flugzeuge und Helikopter in heimischen Betrieben ausgeführt wird. Weil das so ist, fürchten die Beschäftigten der Branche zunehmend um ihre Jobs.

Unter dem Motto „Für unsere Sicherheit“ zeigten deshalb in den vergangenen Tagen über 12 500 Kolleginnen und Kollegen an bundesweit über 20 Standorten Flagge gegen die derzeitige Einkaufspolitik der Bundesregierung – sie taten das gemeinsam mit Arbeitgebern der Branche. Nach Überzeugung der IG Metall gefährdet die Bundesregierung ohne Not die Zukunftsfähigkeit der deutschen militärischen Luftfahrtindustrie und erhöht die Abhängigkeit von den USA.


2023 Aktionstag Airbus Stade

Aktionstag Airbus Aerostructures in Stade.

 

Weiterentwicklung der eigenen Produktion

Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall macht deutlich: „Wir richten uns an die Politik. Mit dem klaren Signal, dass unsere Erwartungshaltung ist, dass wir das gute Niveau der militärischen Luftfahrtindustrie und damit gute Arbeitsplätze nur halten können, wenn es eine politische Weichenstellung gibt zur Weiterentwicklung der eigenen Produkte.“

Bisher wurden von der Bundesregierung 35 Stück der von Lockheed Martin produzierten F35-Maschinen bestellt. Nun sollen weitere Flugzeuge folgen. Dazu sollen auch schwere Transporthubschrauber sowie der Seefernaufklärer P8 kommen. Die Bundesregierung aber hat es bisher versäumt, die deutsche Luftfahrtindustrie in die Wartung und Weiterentwicklung der Systeme einzubinden. Die Produktion der Systeme und deren Technologie bleiben in der Hand amerikanischer Hersteller. Im Gegensatz dazu hat z.B. die Schweiz bei der Beschaffung ihrer 36 F35 einen Wertschöpfungsanteil von 60 Prozent des Kaufpreises im eigenen Land vertraglich vereinbart. Darüber hinaus sichert der Vertrag der Schweiz den Zugang zu Spitzentechnologien und den Aufbau neuer Fähigkeiten.


Drohender Verlust tausender Arbeitsplätze

„Der Einkauf bei US-Konzernen ist für die militärische Luftfahrtindustrie in Deutschland ein Schlag ins Gesicht“, so Jürgen Kerner. „Mittelfristig verursacht die Regierung damit den Verlust tausender hochqualifizierter Arbeitsplätze.“ Verzichte Deutschland auf den militärischen Flugzeugbau, schwäche dies auch den zivilen Flugzeugbau enorm. „Mit massiv negativen Konsequenzen für Technologieentwicklung und die heute über 100.000 hochqualifizierten Beschäftigten“, so Jürgen Kerner.

Die IG Metall fordert deshalb, dass Rüstungsaufträge an klare Bedingungen geknüpft werden – und verweist auf die übliche Praxis anderer Staaten, die dies bei Großbeschaffungen seit langem tun, um Produktion und damit Arbeitsplätze im eigenen Land abzusichern. Dies ist dringend notwendig, denn in Deutschland steht beispielsweise die Produktion des Hubschraubers Tiger vor dem Aus. Auch die Weiterentwicklung des Eurofighters ist ungeklärt.


Technologiefahrplan für den militärischen Flugzeugbau

„Wir fordern, dass bei Auftragsvergabe aus Steuergeldern die Beschäftigung und Förderung von technologischer Weiterentwicklung in Deutschland berücksichtigt werden“, betont Jürgen Kerner. Es brauche einen „Technologiefahrplan für den militärischen Luftfahrzeugbau in Europa“ – mit der Weiterentwicklung des Eurofighters und des Tigers. „Wir fordern Planungssicherheit für eine industrialisierte Produktion durch feste Endlinien und die Abnahme festgelegter Stückzahlen durch die Regierung“, so Kerner. Durch bessere Unterstützung mittelständischer Zulieferunternehmen, auch bei deren Qualifizierung und Zertifizierung, müssten die Lieferketten weiter gesichert werden.

Schließlich sei die Einkaufspolitik der Bundesregierung auch unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten fragwürdig: Im Zweifelsfall seien US-Konzerne verpflichtet, zuerst amerikanische Streitkräfte vollumfänglich mit Ersatzteilen zu versorgen, bevor Streitkräfte anderer Länder berücksichtigt werden.

„Die IG Metall sieht die USA ganz eindeutig als Partner, deshalb kommt es für uns nicht infrage, Europa gegen Amerika auszuspielen“, so Jürgen Kerner. „Aber gerade im Verhältnis mit Verbündeten muss man fragen, ob es nicht besser ist, auf dem eigenen Kontinent zu produzieren und zu kaufen statt Schlüsselindustrien versanden zu lassen.“

Stimmen aus den Betrieben
Thomas Stocker , MTU Aero Engines, München

Thomas Stocker, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender und Vertrauenskörperleiter, MTU Aero Engines, München

Jetzt müssen die Weichen gestellt werden, um unsere Standorte zukunftsfähig zu gestalten. Dafür ist es notwendig, den Entwicklungsauftrag für die Weiterentwicklung des Eurofighter auf den Weg zu bringen - damit wir als Nation nicht in vollständige Abhängigkeit von außereuropäischen Strategien, Technologien und Lieferanten geraten.

Bettina Albert, Betriebsratsvorsitzende, Rolls-Royce, Oberursel

Bei uns am Standort Oberursel sind rund 100 Kolleginnen und Kollegen im Verteidigungsbereich beschäftigt. Ein Großteil dieser Arbeitsplätze ist gefährdet, wenn unsere Regierung keine Folgeaufträge im Anschluss an die auslaufenden Waffensysteme platziert. Unsere Regierung sollte vor allem die Interessen der eigenen Wirtschaft im Blick haben. 

Martin Gnad, Betriebsratsvorsitzender, Airbus Helicopters, Donauwörth

Wir haben bei uns am Standort engagierte Kolleginnen und Kollegen, das nötige Know-How, eine gute Infrastruktur – das müssen wir nutzen. Die Politik muss in diesem Sinne handeln. Für uns bei Airbus Helicopters in Donauwörth heißt das: Wir brauchen auch in Zukunft die Vergabe von Wartung, Service und Weiterentwicklung beim schweren Transporthubschrauber an Airbus Helicopters.

Michael Brömsen, Betriebsratsvorsitzender, Airbus Helicopters Technik, Calden

Wir brauchen, an unserem Standort bei Airbus Helicopters Technik in Calden, aber eben auch gesamt als Branche, eine stabile Auftragslage, langfristige Planungssicherheit. Genau das sollte in der „Zeitenwende“ mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro unterstützt werden. Das Geld muss aber auch bei uns ankommen.

Thomas Pretzl, Betriebsratsvorsitzender, Airbus Defence and Space, Manching

Bei uns am Standort gilt: Wer Zeitenwende sagt, muss Eurofighter kaufen. Leider aber agiert die Politik nicht so konsequent. Fakt ist aber: Wenn jetzt die Weiterentwicklung und der anschließende Bau weiterer Eurofighter nicht beauftragt wird, bleibt der nächsten Regierung nichts anderes übrig als amerikanische Kampfjets zu kaufen. Das wäre für die deutschen Standorte alles andere als gut.

Armin Maier-Junker, Betriebsrats-, Gesamtbetriebsrats- und Konzernbetriebsratsvorsitzender, HENSOLDT AG, Ulm

Wenn wir für die Zukunft weiterhin ein wichtiger Partner für die Bundeswehr oder andere NATO-Armeen sein wollen, dann ist politische Unterstützung unerlässlich. Es geht uns nicht um Subventionen, sondern um politische Vorgaben für eine sichere Zukunft und eine vernünftig ausgerüstete Bundeswehr. 

Michael Reisch, Politischer Sekretär

Michael Reisch, Politischer Sekretär, Betriebsbetreuer: Hensoldt, Airbus D/S, Ulm

Wir als IG Metall fordern das Steuergeld an Bedingungen wie zum Beispiel der Weiterentwicklung des Eurofighter in Hinblick auf FCAS, gebunden werden. Sichere Arbeitsplätze und Lieferketten sind die Voraussetzungen für unsere Unabhängigkeit in der militärischen Luftfahrt. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass es im Zweifel von den US-Amerikanischen OEM „America first“ heißt.

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